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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Eine Bühne für die Republik
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Lydia Harder
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Eine Bühne für die Republik

Auftakt in Weimar: 1919 beraten die Abgeordneten im Nationaltheater über eine Verfassung für die junge Republik
Auftakt in Weimar: 1919 beraten die Abgeordneten im Nationaltheater über eine Verfassung für die junge Republik
© Stadtarchiv Weimar/Louis Held

90 Jahre Weimarer Nationalversammlung

Vor 90 Jahren tagte die Nationalversammlung in Weimar. Es war die Geburtsstunde der ersten deutschen Republik – und die nahm kein gutes Ende. Trotzdem war die Weimarer Verfassung ein Meilenstein. Was erinnert in der Hauptstadt der Klassik heute an die Ursprünge der deutschen Demokratie? Eine Spurensuche.

Deutschland, Februar 1919. Der Erste Weltkrieg ist vor bei, aber in Berlin toben Straßenkämpfe. Revolutionäre und Regierungstruppen liefern sich Schlachten auf dem Alexanderplatz, die Lage ist unübersichtlich – kein guter Ort, um der jungen Republik, die gleich nach der unfreiwilligen Abdankung des Kaisers ausgerufen wurde, eine Verfassung zu geben. Zuflucht bietet eine Stadt, die wie keine andere für das Wahre, Schöne, Gute steht: Weimar.

Hier finden die Parlamentarier nicht nur ein verschlafenes Städtchen vor, sondern auch das Deutsche Nationaltheater. Vor seiner klassizistischen Fassade stehen Schiller und Goethe, überlebensgroß, gegossen aus der Bronze französischer Kanonen. Im repräsentativen Theatersaal tagt die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung. Die große Loge, einst dem Großherzog vorbehalten, ist nun Stammplatz des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Seine Residenz sind die herzoglichen Gemächer des Stadtschlosses

Die Überschaubarkeit der Stadt schafft Nähe, anders als im nervösen Berlin. Die Abgeordneten tagen bis spät in die Nacht und sitzen danach im Gasthaus „Zum weißen Schwan”. In dessen Gästebuch schreiben sie: „Wir sind aus Berlin geflohen” und: „Nie den Mut verlieren”.

Im historischen Stadtkern von Weimar ist fast jeder Quadratmeter mit Geschichte aufgeladen. Schon Johann Wolfgang von Goethe quartierte im „Schwan” seine Gäste ein. Besonders begehrt bei den Parlamentariern der Weimarer Republik ist das Hotel „Elephant”, Schlafstätte von Wagner und Liszt. Auch Thomas Mann lässt seine berühmte Romanfigur Lotte hier übernachten. Die historische Aura des „Elephanten” machte sich später Adolf Hitler zunutze, der Weimar erstmals 1925, nach der Neugründung der NSDAP, besuchte. Hitler besuchte zwar das Goethe- und das Schiller-Haus, zeigte jedoch stets ein ausgesprochenes Desinteresse an den Klassikern. Ihn zog vor allem der Philosoph Friedrich Nietzsche an. In Weimar, einer der Städte Deutschlands, in der der Vorsitzende der Nationalsozialisten kein Redeverbot hatte, logierte Hitler in der Suite im ersten Stock des „Elephanten”. Wegen angeblicher Baufälligkeit ließ Hitler das Hotel 1937 bis auf die Grundmauern abreißen und von einem seiner Lieblingsarchitekten nach seinen Wünschen völlig neu gestalten. Weimars kulturelles Kapital war für die Verfechter der Weimarer Republik ebenso attraktiv wie für ihre Feinde.

Geschichte zum Anfassen: Jens Riederer zeigt im Weimarer Stadtarchiv Aufnahmen der Nationalversammlung von 1919
Geschichte zum Anfassen: Jens Riederer zeigt im Weimarer Stadtarchiv Aufnahmen der Nationalversammlung von 1919
© DBT/Werner Schüring

Jens Riederer atmet tief durch die Nase ein. Der Leiter des Stadtarchivs erkennt die Epochen Weimars allein am Geruch. In den Magazinen stapeln sich gebundene Zeitungen aus vergilbtem Papier. „So riecht das 19. Jahrhundert.” Geruchsnote: staubiger Dachboden. Das Archiv ist kühl und fensterlos. „Wegen des stetigen Verfalls”, sagt Riederer. Ein anderer Raum, gefüllt mit Akten, riecht säuerlicher – etwa nach Kompost. „Das ist das frühe 20. Jahrhundert.” Riederer blättert in einer der letzten Ausgaben der Weimarischen Zeitung. 1918 wurde das kaisertreue Blatt aus Protest gegen den demokratischen Umsturz eingestellt.

„Weimar ist etwas zugefallen, was die Kräfte der Stadt bisweilen überfordert”, sagt der Archivar. Reisende seien oft schockiert, dass hier ganz normale Leute leben. Die Museumsdichte in der Provinzstadt an der Ilm ist enorm. Es goethet und schillert überall – aber die Erinnerung an die kurze Blütezeit der Weimarer Republik ist längst verblasst.

Goethes Wohnhaus am Frauenplan sieht aus, als hätte der Dichter es gerade für einen Spaziergang verlassen. Touristen aus aller Welt laufen über die knarrenden Dielen und fotografieren die Holzstühle des Geheimrats. Heute bietet in Goethes Nachbarschaft ein Asia-Imbiss „buddhistische Speisen” an, ein Bäcker wirbt für seine „DDR-Brötchen”.

Auch die DDR beutete das Erbe von Weimar aus: Walter Ulbricht verkündete 1962, im Staate der Arbeiter und Bauern werde der dritte Teil des „Faust” geschrieben. An die Nationalversammlung von 1919 dagegen mochten die Historiker des Ostens nicht anknüpfen: In der Weimarer Republik sahen sie lediglich einen guten Nährboden für den Nationalsozialismus – und nicht die ersten Gehversuche der Demokratie in Deutschland.

Stadtführung unter den Augen von Goethe und Schiller: Touristen vor dem Weimarer Nationaltheater
Stadtführung unter den Augen von Goethe und Schiller: Touristen vor dem Weimarer Nationaltheater
© DBT/Werner Schüring

Sechs Monate lang tagte die Nationalversammlung in Weimar. Nach intensiven Debatten im Plenum und in einem 28-köpfigen Ausschuss wurde die Verfassung am 31. Juli 1919 verabschiedet. Der Reichspräsident ratifizierte sie am 11. August. Dann zog das Parlament wieder nach Berlin, wo sich die Lage inzwischen beruhigt hatte. Das Deutsche Nationaltheater blieb eine Bühne der Politik. Nur wenige Jahre nach der Nationalversammlung versuchten die Nazis, die Stadt für ihre Zwecke einzunehmen – und alle liberalen Kräfte, darunter die Architekten der Weimarer Bauhaus-Schule, zu vertreiben. 1926 hielt die NSDAP im Theatersaal ihren zweiten Parteitag nach der Neugründung ab. Auf diesem Parteitag wurde die Hitlerjugend gegründet – und marschierte auf dem Theaterplatz um die bronzenen Dichterfürsten herum. 1941 wurden Schiller und Goethe mit Ziegelsteinen eingemauert: So blieben sie unbeschadet, als im Februar 1945 eine Bombe ins Nationaltheater einschlug, das inzwischen als Munitionsfabrik diente. Nur die Fassade blieb stehen.

Das Gauforum am heutigen Weimarplatz atmet noch den Geist der Diktatur. Neben dem riesigen Aufmarschplatz steht ein Glockenturm, in dem nach heidnischen Riten die Toten geweiht werden sollten. Die monumentale Architektur, gebaut für „tausend Jahre”, ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Heute ist der bunkerartige Koloss, wo die Volksgemeinschaft zusammenkommen sollte und unter dem schon das Bernsteinzimmer vermutet wurde, ein Einkaufszentrum. Die Anlage unter dem Aufmarschplatz geht drei Etagen in die Tiefe, dort parken nun die Kunden des Kaufhauses „Weimar Atrium”. Und in der einstigen örtlichen Zentrale der NSDAP sitzt jetzt das Landesverwaltungsamt – eine pragmatische Lösung in einer Stadt, in der es kaum unbelasteten Boden gibt.

Den dunkelsten Schatten wirft der Ettersberg auf die Stadt. Dort wo einst Goethe gern spazierte, errichteten die Nazis 1937 das Konzentrationslager Buchenwald. So ist Weimar heute auch ein Ort der Gegensätze: Die Stadt als Stätte und Symbol der Weimarer Klassik, der Bildung und Humanität bleibt stets auch verbunden mit der durch den Namen „Buchenwald” verkörperten Erinnerung an Gewalt und Barbarei. Wo in den 1920er-Jahren die Hitlerjugend aufmarschierte, haben sich heute alternative Jugendkulturen angesiedelt. An der Fassade eines besetzten Hauses in der Gerberstraße rufen Plakate zu Antifa-Demonstrationen auf. Eine Straße weiter liegt das Stadtmuseum. Der Verleger Friedrich Justin Bertuch ließ hier 1780 ein Haus für eine Kunstblumenfabrik errichten, in der auch Goethes Frau Christiane Vulpius Gestecke gebunden hat. Jetzt wird hier Weimars Geschichte aufbereitet. Der Leiter Alf Rößner führt durch das Haus. Eine Ecke klärt über die Weimarer Republik auf. Rößner spricht von einer Nichtanerkennung der Leistungen der Nationalversammlung. Diese habe viel erreicht: die Trennung von Staat und Kirche etwa oder das Frauenwahl recht. „Solche Meilensteine verdienen Achtung.”

Alf Rößner will mit einer Ausstellung im Weimarer Stadtmuseum an die Nationalversammlung erinnern
Alf Rößner will mit einer Ausstellung im Weimarer Stadtmuseum an die Nationalversammlung erinnern
© DBT/Werner Schüring

Rößner wirft die Frage auf, warum man den Saal der Nationalversammlung in der schmucklosen Bauweise der Nachkriegszeit belässt und nicht historisch restauriert. Antje Tillmann dagegen, CDU-Bundestagsabgeordnete in Weimar, hält eine Wiederherstellung des Standes von 1919 nicht für die beste Lösung: „Erinnerungen sind nicht unbedingt mit der historischen Rekonstruktion eines Gebäudes erlebbar.” Stattdessen verspricht sich Tillmann viel von der Ausstellung mit dem Titel „Weimar 1919 – Chancen einer Republik”, die Alf Rößner im Stadtmuseum vorbereitet und die ab dem 6. Februar gezeigt wird.

Bonn ist nicht Weimar, so lautete die berühmte Formel der alten Bundesrepublik. Mit ihr brachte man erleichtert zum Ausdruck, dass sich die zweite Republik als stabil erwies und die Fehler ihrer Vorgängerin vermied. 2009 feiern die Weimarer nicht nur das Bachjahr, das Schillerjahr und das Bauhausjahr. Diesmal werden sie auch der deutschen Verfassung gedenken, die unter den Augen ihrer bronzenen Dichterfürsten verabschiedet wurde. 

Text: Lydia Harder
Erschienen am 25. Februar 2009


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