Sie kommen immer im Morgengrauen. "Soldaten hatten das Gelände gesichert, dann rückten Männer mit schwerem Gerät an und nahmen unser Land in Besitz." Der ärmlich gekleidete Bauer steht noch ganz unter dem Eindruck des für ihn Unfassbaren, als er über die Nacht-und-Nebel-Aktion der Landräuber spricht. "Sie haben alles niedergewalzt", der Bauer zuckt hilflos mit den Schultern. Es war ihre Ernte, ihr Land - das Land der Bewohner des kleinen Dorfes Perael in der kambodschanischen Provinz Kampong Chhnang. Sie haben es gemeinsam bewirtschaftet, es war ihre Existenzgrundlage.
Die schwer bewaffneten und gut ausgerüsteten Landbesetzer fragten nicht viel noch wiesen sie sich aus. Sie zogen einen Zaun um das gestohlene Areal und rückten wieder ab. Das Dorfkomitee berief eine Versammlung ein. Es wurde diskutiert und beschlossen, die zuständige Distriktbehörde zu informieren. Mehrere Monate vergingen bis es hieß, sie könnten mit einer Entschädigung rechnen. Darauf warten die Bauern und ihre Familien noch heute.
Ein anderer Fall: Die kleine kambodschanische Firma Suigang schließt einen Vertrag mit Chinas größtem Kautschuk-Konzern, Hainan Natural Rubber Industry Group, der in der Provinz Preah Vihear eine Plantage von 63.000 Hektar anlegen will. Suigang beruft sich auf die Zusage des Landwirtschaftsministeriums, das später zurückrudert und mitteilt, der größte Teil des vorgesehenen Landes bestehe aus geschütztem Laubwald. Außerdem gebe es die gesetzliche Begrenzung auf 10.000 Hektar für die wirtschaftliche Nutzung. Daraufhin lassen die Chinesen durchsickern, sie wollten 200 Millionen Dollar in die Plantage investieren - eine ungewöhnlich hohe Summe. Als kambodschanischer Partner setzt Suigang auf "Einsicht" der Behörden und versucht, mit der Salamitaktik weiterzukommen: Zunächst sollen 10.000 Hektar beantragt werden, später weitere 10.000 Hektar und so weiter. So wird das Gesetz ausgehöhlt.
Das ist inzwischen Alltag in Kambodscha, doch die Menschen sind immer weniger bereit, dem Treiben tatenlos zuzusehen. Proteste und Demonstrationen wütender Dorfbewohner nehmen in Phnom Penh zu. Die Bauern haben eine Tagesreise hinter sich, bevor sie vor dem Landwirtschaftsministerium oder dem Parlament - oft mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen - gegen das illegale Vorgehen protestieren.
Das NGO-Forum, ein Zusammenschluss von mehreren Organisationen, ist besonders engagiert beim Kampf um die Rechte der Landbewohner. Das vom katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen unterstützte Forum setzt sich vor allem für die mehr als 100.000 Eingeborenen ein, die in der Mehrzahl in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Mondulkiri und Rattanakiri beheimatet sind. Chhith Sam Ath, Direktor des NGO-Forums, beklagt die geringe Unterstützung dieser Stämme durch die Regierung und fordert zugleich Hilfe aus dem Ausland. "Wie keine andere Bevölkerungsgruppe sind die Eingeborenen völlig von der Natur abhängig. Wer ihren Lebensraum aus purem Gewinnstreben gefährdet, verurteilt sie zu einem langsamen Tod", mahnt Chhith Sam Ath.
Mit Hilfe der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat die Regierung in Kambodscha begonnen, den Landbesitz wieder rechtlich zu sichern, das heißt, das von den Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 vernichtete Katasterwesen wiederaufzubauen. Ein mühseliges Unterfangen, weil die Unterlagen fehlen - vom Sachverstand ganz abgesehen.
Thomas Engelhardt, Leiter der GTZ in Phnom Penh, schildert die Mammutaufgabe, etwa eine Million Landtitel zu vergeben. Rund 80 Prozent der Kambodschaner leben auf dem Land. "Im Süden und Osten sind Fortschritte zu verzeichnen", so Engelhardt. Erst seit rund einem Jahr registriere die Regierung auch Landtitel im Nordwesten Kambod-schas. Dort, in den ehemaligen Hochburgen der Rebellen, haben hohe Militärs und Polizeichefs seit Jahren große Ländereien zusammengeraubt und sind nicht gewillt, diesen Besitz ohne weiteres abzugeben.
Das im Jahre 2001 erlassene Landgesetz sieht verschiedene Arten von Konzessionen vor. Zum einen die "social concessions" - für Arme und Landlose. Außerdem soll es Menschen zugute kommen, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Und schließlich sollen sich Flüchtlinge und Behinderte ansiedeln können, um Reis anzubauen. Die Größenordnungen bewegen sich zwischen zwei und fünf Hektar. Weitere Konzessionen sollen die Eingeborenen vor illegaler Landnahme schützen. Um andere Größenordnungen geht es bei den "economic concessions". Viele der Verträge sind für 90 bis 99 Jahre und Gebiete von 30.000 Hektar abgeschlossen. Das geltende Landgesetz aber setzt eine Höchstgrenze von 10.000 Hektar, wobei garantiert sein muss, dass es keine Überschneidungen mit den Feldern kleinerer Farmen gibt. Der Betrug beginnt, wenn die Konzerne diese Grenze mit Duldung der Behörden - und bei Zahlung von Bestechungsgeldern - überschreiten.
Der deutsche Botschafter in Phnom Penh, Pius Fischer, ist besorgt über die negativen Konsequenzen der Landkonflikte für die Entwicklung Kambodschas. Die Gefahr sozialer Spannungen sei groß. Die Armut nehme auch zu, weil die Opfer gewaltsamer Vertreibungen keine Entschädigung erhielten, wie nach Artikel 5 des Landgesetzes vorgesehen. Um das Land der eingeborenen Stämme zu schützen, fordert Fischer ein Moratorium, um weitere illegale Landverkäufe zu verhindern.
Auf ein anderes Problem verweist Franz-Volker Müller, GTZ-Experte im Ministerium für Landmanagement: Der illegale Einschlag von hochwertigem Tropenholz fällt ebenfalls unter das traurige Kapitel Landraub. Je mehr Wald verschwindet, desto stärker verändert sich das Landschaftsbild. Die Folgen für das Klima in der Region sind nicht abzusehen. Fernab von der Regierung ist der Holzeinschlag kaum zu kontrollieren, zumal nicht selten hochrangige Militärs daran beteiligt sind, die das Tropenholz über die Grenze schaffen und zum Beispiel nach Vietnam verkaufen. Wo tiefe Schneisen in den Forst getrieben werden, rücken die Konzerne mit Bulldozern nach und planieren das Land für ihre Zwecke.
Die Geberländer, die jedes Jahr für die Hälfte des kambodschanischen Haushalts aufkommen, verstär-ken in jüngster Zeit den Druck auf die Regierung, illegale Landgeschäfte zu stoppen. Die Erfolge der Geber aber sind gering, vor allem bei den "social land concessions". So lange die "rich and powerful people" nicht umdenken und die Regierung nicht härter durchgreift, wird es bei hilflosen Appellen bleiben.