Noch nie waren private Schulen so begehrt wie heute: Seit die Pisa-Studie dem deutschen Bildungssystem ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat, wollen mehr Eltern als je zuvor ihr Kind einer Institution anvertrauen, die staatlich anerkannt, aber nicht staatlich organisiert ist. Oftmals beginnt die Diskussion nicht erst dann, wenn das Kind auf eine weiterführende Schule wie ein Gymnasium gehen soll, sondern schon im Kindergarten. Denn auch Grundschulen, die mit Chinesisch und Englisch in der ersten Klasse starten, stehen durchaus auf der Agenda von Eltern, die in die Bildung ihrer Kinder mehr als üblich investieren wollen.
Wurden Anfang des Jahrtausends noch 50 Privatschulen im Schuljahr gegründet, waren es im vergangenen Jahr bereits doppelt so viele. In den neuen Bundesländern hat sich die Zahl der Privatschulen seit Anfang der 90er-Jahre mehr als vervierfacht. Bundesweit wird heute jeder 14. Schüler an einer von 4.637 allgemeinbildenden oder beruflichen Privatschulen unterrichtet.
Dass das Vertrauen vieler Eltern in die Schule nebenan erschüttert ist, kann angesichts der schlechten Resultate Deutschlands in gleich mehreren internationalen Studien kaum überraschen. Aber sind die Privaten wirklich besser? Empirisch ist das schwierig zu belegen: Ein Oversampling - also eine gezielte Einbeziehung einer übergroßen Zahl von Privatschulen, um ein repräsentatives Ergebniss zu erzielen - hat weder bei der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 noch bei der Folgeuntersuchung 2003 stattgefunden. Sämtliche Erkenntnisse basieren auf der Hochrechnung der Ergebnisse jener 30 bis 40 Schulen, die zufällig in die Studie gerutscht sind.
Auf den ersten Blick haben deren 15-Jährige allerdings Beachtliches geleistet: Mit 66 Punkten Vorsprung lagen die deutschen Privatschüler im Jahr 2003 in Mathe statistisch deutlich über dem Durchschnitt. Ihr Vorsprung gegenüber den Schülern staatlicher Einrichtungen war größer als in allen 28 anderen getesteten Industriestaaten. Auf den Plätzen zwei und drei liegen Neuseeland und Mexiko; am anderen Ende der Skala Luxemburg und Japan, wo Schüler staatlicher Schulen sogar besser abschnitten als Privatpennäler. In Finnland, Dänemark und Schweden, alles Pisa-Vorzeigeländer, war kaum ein Unterschied zwischen den Schülern messbar.
Doch auch in Deutschland weist bei näherem Hinsehen wenig darauf hin, dass Privatschulen wirklich die besseren Mathe- und Lesevermittler sind: "Berücksichtigt man den sozialen Hintergrund der Schüler, gibt es an Gymnasien gar keinen und an Realschulen nur einen minimalen Leistungsvorsprung", sagt Manfred Weiß vom Deutschen Institut für Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt. Anhand der deutschen Pisa-Daten von 2000 hat er die Ergebnisse von 18 privaten Gymnasien und 16 Realschulen mit denen solcher Einrichtungen verglichen, deren Schüler vergleichbar häufig aus einem bildungsbewussten und wirtschaftlich gesunden Haushalt kommen.
"Die einzigen, die besser abschneiden, sind Realschülerinnen", sagt Manfred Weiß, "diese Mädchen sind im Lesen, aber auch in den Naturwissenschaften messbar voraus." Über die Gründe kann der Forscher nur spekulieren: Unter Umständen sei der Unterschied auf das spezielle Lernmilieu der überwiegend getesteten konfessionellen reinen Mädchenschulen zurückzuführen.
Dass das Lernmilieu konfessioneller Schulen - die den allergrößten Teil der Privaten ausmachen - der Bildung förderlich ist, bestätigt Annette Scheunpflug. Im Auftrag der Evangelischen Kirche Deutschland hat die Nürnberger Forscherin dieselben Schulen wie Weiß analysiert und zusätzlich vier evangelische Schulen genauer begutachtet. Zusätzlich zu besseren Leseleistungen attestiert sie den Schulen einen geringeren Satz von Risiko-Schülern - und zwar auch an Haupt- und Realschulen - sowie ein Lernklima, in dem Schüler nicht so schnell zurückgelassen werden.
Außerdem hat Scheunpflug eine "individuellere Verteilung der auch bei evangelischen Schulen knappen Mittel festgestellt". Letzteres überrascht kaum: Privatschulen unterliegen weniger bürokratischen Auflagen und haben eine größere Autonomie. Sie wählen nicht nur ihre Schüler selbst aus, sondern auch ihre Lehrer. Sie sind weniger von Unterrichtsausfall betroffen und können häufig schneller individuelle Förderung organisieren und ihren Unterricht je nach Bedarf umgestalten.
Dass dies von Vorteil ist, attestiert auch Professor Weiß: Die Schüler fühlten sich besser unterstützt, die Quote der Sitzenbleiber sei geringer und die Zufriedenheit der Eltern größer. "Vorsichtig könnte man von einer besseren Förderkultur sprechen", sagt Weiß. In das Reich der Mythen verweist er hingegen den Glauben, Privatschulen seien reformfreudiger. "Die Zeiten sind längst vorbei", sagt er, "gerade seit Pisa sind vor allem staatliche Schulen zu wahren Reformpraxen geworden."
Andererseits existiert mit den Waldorf-Schulen ein Klassiker des Reformschulwesens im privaten Sektor. Über die Pisa-Kompetenz von deren 74.000 Schülern weiß man allerdings noch weniger als über die Gesamtheit der 750.000 Privatschüler. Das ist erstaunlich - vor allem angesichts der Tatsache, dass die Anhänger Rudolf Steiners mit ihrem gemeinsamen Lernen bis zur neunten Klasse, Freiarbeit und der Ablehnung des Sitzenbleibens vieles umsetzen, was man seit Pisa für richtig hält. An eine eigene Auswertung der - allerdings wenigen - vorhandenen Daten zu den Ergebnissen der eigenen Schüler hat sich aber auch der Bund Freier Waldorfschulen bisher nicht gewagt.