Ihre Stressresistenz ist in den vergangenen Monaten auf eine harte Probe gestellt worden. Annette Widmann-Mauz, seit 2005 Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gehört zu den Expertinnen für Gesundheitspolitik im Deutschen Bundestag. Immer wieder musste sich die Tübingerin mit Schlagwörtern wie Staatsmedizin, Einheitskasse und bürokratisches Monster auseinandersetzen - Begriffe, die die Kritiker der Gesundheitsreform gebetsmühlenartig wiederholten.
Die langen Verhandlungsnächte der vergangenen Wochen hätten gelegentlich Körper und Nerven arg strapaziert, bekennt sie. Sie sehnt die Abstimmung über die Gesundheitsreform im Deutschen Bundestag in der nächsten Woche herbei. Doch die Politik- und Rechtswissenschaftlerin ist keine, die jammert. Sie sei zielstrebig und zäh. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt habe, gebe sie nicht so schnell auf. "Am Ende zählt der Erfolg. Bis dahin ist es ein weiter und oftmals steiniger Weg. Aber man muss zielstrebig bleiben, Rückgrat zeigen und nicht aufgeben. Man muss für die Sache, für seine Überzeugungen einstehen und bereit sein, dort, wo es unvermeidlich ist, auch Kompromisse einzugehen. Hart in der Sache, fair im Umgang, nur so kann man in der Politik seine Vorstellungen ein Stück weit umsetzen."
Für Annette Widmann-Mauz ist die Reform besser als ihr Ruf. "Erstmalig haben Patienten und Patientinnen keine Belastungen zu tragen, da es weder zu höheren Zuzahlungen noch zu Leistungsausgrenzungen kommt. Vielmehr werden die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung erweitert, beispielsweise durch Impfungen und Mutter-/Vater-Kind-Kuren. Zukünftig gibt es einen Rechtsanspruch für ältere und pflegebedürftige Menschen auf Rehabilitation bzw. auf Palliativversorgung."
Die Funktion als gesundheitspolitische Sprecherin hat ihren Ehrgeiz herausgefordert. Sie weiß: Die Kollegen und Kolleginnen der Fraktion verlassen sich auf sie, wenn es um das Expertenwissen zur Gesundheitspolitik geht. "Fehler darf man sich auf dieser Ebene nicht mehr erlauben. Jetzt muss alles Hand und Fuß haben. Da muss man jedes noch so kleine Detail dreimal umdrehen."
Es war ihr immer wichtig, dass nicht nur andere über die eigenen Angelegenheiten entscheiden. "Die eigene Gesellschaft, das eigene Land in verantwortlicher Position mitzugestalten und - so klischeehaft das auch klingen mag - eine gerechtere, eine bessere, eine lebenswertere Welt zu schaffen, das ist schon ein großer Anreiz." Ihre politische Laufbahn im Bundestag ist gradlinig: Sofort nach ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag 1998 arbeitete sich die Baden-Württembergerin in die komplexe Materie der Gesundheitspolitik ein. 2002 stieg sie zur gesundheitspolitischen Sprecherin auf. 2003 saß sie mit am Tisch, als die Verhandlungen zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz stattfanden. Von 2000 bis 2005 war sie Vorsitzende der Frauengruppe innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Diese Aufgabe hat sie jedoch mit dem Vorsitz in der Arbeitsgruppe Gesundheit aufgegeben. Seit der 16. Legislaturperiode sitzt sie außer im Gesundheitsausschuss als stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss.
Es sind nicht nur die Beratungen und Abstimmungen, die ihren Terminkalender überquellen lassen. Arbeitsgruppenvorsitzende sind begehrte Interviewpartner. Heftige Kritik übt Widmann-Mauz, wenn es um die Form der Diskussion im Medienzeitalter geht. "Schwierig ist, dass in unserer sehr schnelllebigen Mediengesellschaft immer öfter bereits öffentlich etwas diskreditiert wird, was überhaupt noch nicht richtig diskutiert, geschweige denn schriftlich fixiert worden ist. Noch bevor die Eckpunkte zur Gesundheitsreform verhandelt waren und auf dem Tisch lagen, noch bevor der Entwurf für einen Gesetzestext überhaupt absehbar war, wussten alle schon, was angeblich verhandelt worden sei und warum das so nicht gehen könne. Zum Teil wurde da ganz bewusst falsch spekuliert, um eigene Interessen zu wahren und Verunsicherung zu stiften. So entsteht ein sehr destruktives Klima." Es könne nicht sein, dass mindestens drei Seiten aufschreien, wenn auch nur irgendjemand den Ansatz eines Gedankens äußere und dieser damit niedergebrüllt werde. "Genau diesen Partikularismus machen wir nicht mit. Unsere Verantwortung ist getragen von dem Wohl für das Ganze."
Dazu passt ihre Definition von guter Politik: "Vom Menschen her zu denken. Wir dürfen nicht die Interessen von Klassen, Gruppen und Schichten gegeneinander ausspielen. Gute Politik richtet sich darauf, die Gesellschaft auf ein gemeinsames Wohl auszurichten und in Demut Verantwortung zu übernehmen."
Obwohl ihr Parlamentarierinnendasein zur Zeit eher ein Fulltimejob für mehrere ist, wie sie sagt, schafft es Annette Widmann-Mauz noch zu schwärmen, wenn man sie auf ihren Wahlkreis anspricht. "Ich bin stolz auf meine Heimat - besonders auf ihre Vielfalt." Im Augenblick ist für die Gesundheitspolitikerin Freizeit ein Fremdwort. Dabei gibt es einiges, was sie von der Politik abschalten lässt und was sie gern wieder öfter tun würde. Sie hört gerne Jamie Cullum oder geht ins Melchinger Lindenhoftheater..
Da ihr Mann auf der Schwäbischen Alb einen ökologisch-landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, wird in der Erntezeit jede Hilfe gebraucht. Spätestens dann rückt für Annette Widmann-Mauz die Politik zumindest zeitweilig in die zweite Reihe. Dann packt die ganze Familie an. "Das ist körperliche, bodenständige Arbeit und natürliche Ursprünglichkeit. Die Schwäbische Alb, das ist meine Heimat, da fühle ich mich ganz besonders wohl und kann die Welt vergessen."