COSAC-KONFERENZ
Frage einer europäischen Verfassung zwischen Abgeordneten der EU-Mitgliedstaaten weiterhin umstritten
Im Plenarsaal des Bundestages bot sich Mitte Mai ein ungewöhnliches Bild: statt parlamentarischer Drucksachen sah man kleine Fähnchen auf den Tischen stehen, neben deutsch schwirrten 21 weitere Sprachen durch den Kuppelsaal und auf dem Stuhl der Bundeskanzlerin saß plötzlich eine Dame in aschblond: Margot Wallström. Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission war neben Bundeskanzlerin Angela Merkel eine der Hauptrednerinnen der diesjährigen COSAC-Konferenz, die im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidenschaft vom 13. bis 15. Mai in Berlin stattfand. Die Teilnahme von Margot Wallström an der Konferenz aller 27 Europausschüsse der Union machte deutlich, dass auch in Brüssel die Rolle der Parlamente zunehmend als ein wichtiger Faktor angesehen wird, um europäische Entscheidungen in den Mitgliedsländern besser zu verankern.
Wallström begrüßte, dass sich die Beziehungen zwischen der EU und den nationalen Parlamenten weiter intensiviert hätten. Worte, die viele nationale Abgeordnete wohl mit einiger Genugtuung hörten, denn lange Zeit waren die Parlamente der Mitgliedstaaten von der EU eher stiefmütterlich behandelt worden. In Berlin warb sie regelrecht um die Abgeordneten: "Heute soll der Beginn eines offenen Dialogs sein", sagte Wallström und wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig die Beziehungen zwischen der EU und den Parlamenten seien: "Es ist für mich der Weg, einen europäischen, öffentlichen Raum zu schaffen", so Wallström Dies schaffe eine bessere Verbindung zu den Bürgern, sagte die Frau, die Europas Kommunikation verantwortet. Als ein Zeichen der neuen Offenheit stellte Wallström vor den Delegierten der Europaausschüsse das Strategieprogramm der EU-Kommission für das kommende Jahr vor. "2008 wird ein wichtiges Jahr für den Aufbau werden", sagte sie. Danach will sich die Kommission im neben den Themen Migration und dem Schutz vor illegaler Einwanderung auch für die Stärkung des Verbraucherschutzes und gegen den Drogenmissbrauch engagieren. Als Kernpunkte des Strategieprogramms der Kommission nannte die Kommissarin neue Initiativen für den Energiebereich und zum Schutz des Klimas. Wie die Erde in Zukunft vor den Gefahren der globalen Erwärmung geschützt werden kann, stand auch zum Auftakt der COSAC-Tagung ganz oben auf der Agenda.
Grundsätzlich herrschte zwischen den Abgeordneten Einigkeit, dass es sich dabei um eine der zentralen Herausforderungen für die Weltgemeinschaft handelt. Überall seien die Staaten "unglaublichem Handlungsdruck" ausgesetzt, sagte Michael Müller (SPD), der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Europa stehe dabei "am Beginn eines ökologischen Jahrhunderts - im positiven wie im negativen", so Müller weiter, der in Vertretung von Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) zum Auftakt der Konferenz sprach. Daher müsse Europa "den Blick erweitern" und Vorreiter eines neuen Verständnisses in Sachen Klimaschutz sein. Bei den bereits einseitig von Europa festgeschrieben Klimaschutzzielen, die Treibhausgase bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, komme es jetzt darauf an, wie diese innerhalb der Union verteilt würden. Rauher wurde das Klima zwischen den Delgierten beim zweiten großen Thema der COSAC-Tagung: der Zukunft der Europäischen Verfassung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte dazu, Europa müsse weiterhin handlungsfähig bleiben. In ihrer Rede auf der Europäischen Konferenz der Europaausschüsse erläuterte sie, dass Handlungsfähigkeit zweierlei bedeute: Zum einen, dass Europa dazu institutionell in der Lage sein müsse. So sei der Vertrag von Nizza keine Grundlage, mit der die EU handlungsfähig sei. Zum anderen hieße es aber auch, dass Aufgaben, die nicht im nationalen Rahmen gelöst werden könnten, auf europäischer Ebene geregelt werden müssten.
Gleichzeitig sprach sich die Bundeskanzlerin vor den mehr als 240 Delegierten gegen ein "Europa als Superstaat" aus: "Die Nationalstaaten bleiben Herren der Verträge", sagte Merkel. Gleichzeitig dämpfte sie die Erwartungen auf eine schnelle Lösung: "Wir haben den Auftrag, nicht das Problem zu lösen, sondern einen Fahrplan vorzulegen."
Einen Vorgeschmack auf die anstehenden Verhandlungen gab die Schlussabstimmung der COSAC-Tagung. Zum ersten Mal seit Bstehen des parlamentarischen Forums 1989 konnten die Schlußfolgerungen nicht im Konsens verabschiedet werden. Gerade der franzöischen Delegation ging die Formulierung zur Zukunft des Verfassungsvertrages zu weit. Frankreich gehört zu den Ländern, das ebenso wie Großbritannien, Tschechien und Polen lieber einen sogenannten Nizza-Plus-Vertrag aushandeln möchte. Demgegenüber sehen sich die Parlamentarier aus den anderen 18 EU-Staaten, die das Vertragswerk bereits beschlossen haben, ebenfalls bei ihren nationalen Wählern in der Pflicht.
Dennoch spiegelt gerade auch die COSAC die Vielfalt der innenpolitischen Meinungen. Draußen in der Lobby des Reichstages kommen die Parlamentarier untereinander ins Gespräch. Auch über die Verfassung wird hier heftig diskutiert: "Es gibt auch Polen, die die EU-Verfassung voll unterstützen", sagt Grazyna Ciemniak, stellvertretende Vorsitzende des Europaauschusses des polnischen Sejm. Auch ihr finnischer Kollege, Erkki Tuomioja, der die finnische Ratspräsidentschaft als Außenminister miterlebt hat, kann viele der Bedenken nicht nachvollziehen: "Mit der Verfassung wird kein europäischer Superstaat begründet", sagt er. Der Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit seinen Kollegen aus den anderen EU-Staaten, den EU-Institutionen aber auch den Delegationen aus Kroatien und Mazedonien sowie der Ukraine ist für ihn ein großer Gewinn. Eine weitere Chance der COSAC ist für Tuomioja aber auch, das vielbeschworenen Prinzip der Subsidiarität verwirklichen zu können: "Wir setzten uns , wo es möglich ist, dafür ein, Aufgaben wieder an die unteren Ebenen zurückzugeben", sagte er. Wie in ihren Heimatländern findet auch bei der COSAC ein Großteil der politischen Diskussion nicht allein im Plenum statt. Die informellen Gespräche und Einschätzungen anderer Parlamentarier sind es, die Mitja Slavinec aus Slowenien bei den zweimal jährlich stattfindenden Treffen besonders schätzt: "Die Kaffeepausen bringen mich weiter als die Plenarsitzungen", sagt der Slowene lächelnd und holt sich noch eine Tasse Kaffee.