Korruption
In Sachsen lösen brisante Geheimdienstinformationen eine Staatskrise aus
Korruption, Amtsmissbrauch und Immobilengeschacher -100 Aktenordner mit 16.000 Blatt Papier des sächsischen Verfassungsschutzes belasten Politiker, Richter, Staatsanwälte und Polizisten im Freistaat. Genaues weiß jedoch keiner. Die Anti-Korruptionseinheit der Staatsanwaltschaft Dresden soll nun das illegal gesammelte Material des sächsischen Geheimdienstes auswerten. Doch viele der vermeintlich kriminellen Taten dürften wohl längst verjährt sein.
Die Akten des Verfassungsschutzes scheinen brisant, äußerst brisant. Man sei "einfach nur angewidert, von dem, was man da liest", sagt Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). In Leipzig soll das Zentrum der mafiösen Strukturen liegen. Ein Sumpf aus Politik, Wirtschaft und Justiz. Auch Leipzigs Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Sachsens Ex-Innenminster Thomas de Maizière (CDU) dürften die heiklen Vorgänge interessieren, denn sie reichen in ihre Amtszeiten im Freistaat zurück.
Von 2003 an war der sächsische Verfassungsschutz für die Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) im Freistaat zuständig. Doch der Verfassungsgerichtshof schränkte diese Kompetenz ein. OK-Beobachtung sei Aufgabe der Polizei, so die Richter. Trotzdem beobachteten die Schlapphüte weiter. Illegal, meint Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig (SPD) und stoppte die Aktion. Er will die gesammelten Akten vernichten. Doch de-Maizière-Nachfolger Buttolo hält die Beobachtung für rechtmäßig. Weil er dafür aber nicht allein die Verantwortung übernehmen will, wurde die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages eingeschaltet. Das fünfköpfige Gremium studierte sechs Monate in einem abhörsicheren Raum im Dresdner Norden die geheimen Akten.
Anfang bis Mitte der 90er-Jahre soll der Übergang zwischen Justiz und OK nahtlos gewesen sein, Kontakte ins Rotlichtmilieu inklusive. Darauf soll es in den Geheimdienstakten Hinweise geben. Es geht um einen Mordversuch an einem Mitarbeiter der städtischen Wohngesellschaft in Leipzig, der nur schleppend aufgeklärt wurde, außerdem um den mysteriösen Tod einer Justizangestellten des Leipziger Amtsgerichts. Sie verschwand 1996 spurlos, ihre Überreste wurden vier Jahre später gefunden. Die Frau soll kriminellen Machenschaften auf die Schliche gekommen sein. Es geht um millionenschwere Immobiliendeals, dubiose Vorgänge in der Messestadt Leipzig. Was bisher an die Öffentlichkeit drang, ist jedoch vage - es sind vor allem Gerüchte und Halbwahrheiten.
Die Bundesanwaltschaft, das Bundeskriminalamt und der Generalstaatanwalt in Sachsen sollten eingeschaltet werden, so die Forderungen aus der Politik. Nun ermitteln zwei Staatsanwälte der Anti-Korruptionseinheit der Dresdner Staatsanwaltschaft. Sogar der erste mehr oder weniger prominente Name aus den Akten ist bekannt: Norbert Röger, früherer Richter und Oberstaatsanwalt in Leipzig. Was die CDU/SPD-Koalition in Dresden in Schwierigkeiten bringt: Erst vor einem Monat wurde Röger zum Amtsgerichtspräsidenten in Chemnitz befördert. Da standen die Vorwürfe gegen ihn längst im Raum. Der Druck auf das sächsische Justizministerium ist daher enorm. Gegen Röger liefen Vorermittlungen, räumt Justizsprecher Martin Marx jetzt ein und macht den Gerichtspräsidenten zum ersten offiziellen Verdächtigen in der Affäre. Denn die Akten haben die Anti-Korruptions-Staatsanwälte noch nicht erreicht.
Schnelle Konsequenzen müssen her, hallt es dieser Tage aus der Landtagsopposition. Der Gerichtspräsident solle suspendiert werden. Ist er aber bis heute nicht. Ein Aufschrei geht durchs Land. Denn auch der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Rainer Stock, soll seinen Stuhl räumen. Zum einen, weil die Geheimdienstler im Vorfeld nicht von sich aus das brisante Material der Staatsanwaltschaft übergeben haben. Zum anderen, weil das Dossier illegal angelegt worden sei, so Oppositionspolitiker. Deshalb beharrt Datenschützer Schurig auf der Vernichtung der Akten. Das parlamentarische Kontrollgremium mit Köpfen aus CDU, SPD und PDS verhinderte dies, ebnete den Weg für staatsanwaltliche Ermittlungen.
Die Aufarbeitung der Akten werde vermutlich Monate dauern, lässt Anti-Korruptions-Staatsanwalt Christian Avenarius durchblicken. Was logisch erscheint, wenn man an den Aktenberg denkt. Doch selbst der Ermittler hat ihn noch nicht gesehen. Seine Informationen gewinnt er aus dem Radio und den Tageszeitungen. Und so erfuhr er, dass die Ermittlungsbehörden erst einmal nur eine überarbeitete Zusammenfassung des Dossiers erhalten sollen. Es geht plötzlich um Informantenschutz des Verfassungsschutzes. Erst nachdem Namen geschwärzt worden sind, sollen nun die Originalakten folgen. Bis dahin wird die sächschische Affäre öffentlich wohl nur mit Gerüchten am Leben gehalten.
Denn die Staatskrise an der Elbe nährt ausgerechnet ein Enthüllungsautor. Häppchenweise liefert der Korruptionsexperte Jürgen Roth neue Details aus den geheimen Akten. In seinem neuen Buch, das im Juni erscheinen wird, will er über die Machenschaften m Freistaat berichten. Nach eigenen Angaben konnte er in Teile der Verfassungsschutzunterlagen Einblick erlangen. Dem widerspricht jedoch Sachsens Innenminister Buttolo, obwohl er genau weiß, dass der Autor gut informiert ist. Für dessen Buch dürfte jedenfalls die Staatsaffäre von Vorteil sein. Sicher ist: In Leipzig, Chemnitz und in Dresden wird es gewiss zum Bestseller avancieren. Thomas Fischer z