KINDSCHAFTSRECHT
Lücke im Gesetz soll geschlossen werden. Gegner sprechen von Übertreibung.
Was macht eine Ausländerin, die zurück in ihr Heimatland soll, weil ihre Aufenthaltsberechtigung in Deutschland abgelaufen ist? Wenn sie schwanger ist, gibt es eine Gesetzeslücke, die Rettung bedeutet, dass sie in der Bundesrepublik bleiben kann. Immer mehr Frauen, so vermuten es zumindest Standesämter, Ausländerbehörden und Politiker, machen sich die Lücke zunutze, und suchen einen Mann, der die Rolle als so genannter Scheinvater spielt. Oft sind es Alkoholiker oder Obdachlose, die mittellos sind, und deshalb nicht fürchten müssen, Unterhalt für das Kind zahlen zu müssen. In der Regel bekommen die "Imbissväter", wie sie im Behördenjargon heißen, Geld für ihre Dienste. Die Mutter des Kindes darf als Konsequenz in Deutschland bleiben; das Kind bekommt den deutschen Pass.
Im Standesamt von Berlin-Neukölln, so das ZDF-Magazin "Mona Lisa", seien vor sechs Jahren die ersten Fälle von Scheinvätern registriert worden. Den Standesbeamten war aufgefallen, dass innerhalb kurzer Zeit dieselben Männer kamen und für verschiedene Frauen die Vaterschaftsanerkennung zu deren Kindern abgeben wollten. Diese Gesetzeslücke, so Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), soll nun endlich geschlossen werden. Sie hat dazu einen Gesetzentwurf ( 16/3291 ) vorgelegt (siehe Stichwort). Hierdurch sollen staatliche Behörden das Recht bekommen, die Vaterschaft anzufechten, wenn sie den Verdacht haben, dass diese nur angegeben wurde, um Vorteile im Ausländerrecht zu erlangen.
Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion wird deutlich: Die jetzige Rechtslage führe zu untragbaren Zuständen und erheblichen Belastungen der öffentlichen Haushalte. Sevim Dagdelen, migrationspolitischer Sprecher der Linksfraktion hält dagegen: Mit dem Gesetzentwurf solle ein angeblicher Missstand bekämpf werden, der nicht auf überzeugenden Daten, sondern auf Mutmaßungen und Unterstellung beruhe.
Das Thema "Scheinväter" war am 23. Mai Thema einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses. Berthold Gaaz, ehemals Leitender Ministerialrat aus Celle, hob hervor, der Gesetzentwurf werde der "sensiblen Thematik" durchaus gerecht. Das vorgeschlagene Verfahren, das mehrere Prüfungsphasen vorsehe, bevor das Familiengericht mit einer behördlichen Vaterschaftsanfechtung befasst werde, müsse eher als "vorsichtig-zurückhaltend" angesehen werden. Gaaz räumte ein, es bestünden "Unsicherheiten", wenn es darum gehe, die familiären Beziehungen des Vaters zu dem Kind zu überprüfen. Wolle man dem Missbrauch überhaupt entgegentreten, müssten solche Unsicherheiten einkalkuliert werden.
Klaus Heinz, Leiter des Fachdienstes Aufenthaltsrecht und Integration des Märkischen Kreises, berichtete, es gebe "konkrete Anhaltspunkte" dafür, dass Vaterschaftsanerkennungen unter Umgehung des Rechts instrumentalisiert würden, um ausländischen Bürgern ein Bleiberecht in Deutschland zu verschaffen. Solche Vaterschaftsanerkennungen seien nicht das Ziel der Kindschaftsrechtsreform von 1993 gewesen. Nun werde endlich dem Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung ein Riegel vorgeschoben.
Professor Tobias Helms von der Universität Marburg sprach von einer "ausgewogenen Lösung". Es könne nicht "ernsthaft bezweifelt werden", dass die Abgabe wahrheitswidriger Vaterschaftsanerkennungen, etwa zu dem Zweck, dass die Mutter eine Aufenthaltsgenehmigung bekomme, ein "erhebliches Problem" darstelle. Das beschränke sich keineswegs auf Einzelfälle: Gespräche mit den Leitern verschiedener Standesämter bestätigten, dass der Verdacht, jemand habe eine "Scheinvaterschaft" übernommen, in den betreffenden Behörden in den letzten Jahren immer wieder und teilweise sogar recht regelmäßig im Raum stand. Eine alternative Lösung zu der von der Bundesregierung vorgelegte sei nicht in Sicht.
Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. war anerer Meinung: Das ausländerrechtliche Anliegen des Entwurfs sei zwar zu unterstützen. Durch die Verzahnung mit dem Familienrecht ergebe sich jedoch eine "hoch problematische" Gemengelage. Mit dem vorliegenden Entwurf werde in äußerst gravierender Weise in Grundrechte der Beteiligten eingegriffen. Angesichts der Tatsache, dass "missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung" bundesweit betrachtet sehr geringfügig sei, erscheine ihm die Verhältnismäßigkeit nicht gewährleistet.
Günter Piening, Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration, sagte, der Gesetzgeber schieße "mit einer ziemlich großen Kanone auf ziemlich kleine Spatzen". Ihm "mache es Angst", wenn im Entwurf davon die Rede sei, dass die vorhandenen Zahlen nicht belegen könnten, in wie vielen Fällen es sich tatsächlich um missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen handele.
Auch Rechtsanwalt Hubert Heinhold meinte, die Bundesregierung könne kein empirisches Material vorlegen, das einen gesetzlichen Änderungsbedarf überzeugend begründe. Die realen Missbrauchsfälle machten einen Bruchteil von den genannten rund 2.000 Fällen pro Jahr aus.
Ähnlich äußerte sich Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Sie befürchtete, dass einem Generalverdacht binationaler Paare Vorschub geleistet werde und dass das Kindeswohl zu wenig Berücksichtigung fände. Bereits in der Vergangenheit habe ihr Verband die Notwendigkeit bezweifelt, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, um missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung zu unter-binden.