Untersuchungsausschuss
Die Opposition klagt
Die Vernehmung im Untersuchungsausschuss zieht sich über Stunden hin, und stets antwortet Ulrich Kersten auf jede noch so kritische Frage sachlich und höflich. Dann wird der Ex-Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) aber doch einmal energisch. Wolfgang Nescovic (Linkspartei) hakt unter Verweis auf das BKA-Gesetz mit seinen strengen Regeln zur Datenweitergabe an ausländische Stellen insistierend nach, wie dies denn im Fall Murat Kurnaz zum Jahreswechsel 2001/2002 gehandhabt worden sei. Nach den Attentaten vom 11. September "hatten wir andere Probleme", erregt sich Kersten, als das Datenschutzrecht "aufs Komma genau zu überprüfen".
Angesichts der Anschlagsplanung in Hamburg habe man in dieser "besonderen Situation" den USA "durch professionelle Kooperation entgegenkommen wollen". Damals waren laut Kersten 15 FBI-Verbindungsleute in die Arbeit der 600-köpfigen BKA-Sonderkommission eingebunden. Ob die US-Vertreter sogar Einblick in Computer ihrer deutschen Kollegen hatten, wusste der Zeuge nicht zu sagen.
Im Disput zwischen Kersten und den Oppositionssprechern Max Stadler (FDP), Nescovic und Hans-Christian Ströbele (Grüne) entpuppt sich als spannendste Phase dieser Anhörung eine heikle Frage: Gelangten über die FBI-Gesandten die seinerzeit gesammelten und auch nach Ansicht des Bremer CDU-Innensenators Thomas Röwekamp nicht abgesicherten Verdachtsmomente gegen Kurnaz zu US-Stellen und veranlassten diese erst zur mehrjährigen Inhaftierung des Bremer Türken in Guantanamo?
Kersten, aus dessen Sicht Kurnaz damals zu Recht als möglicher Gefährder eingestuft wurde, gibt sich überzeugt, dass deutsche Erkenntnisse nicht zu dessen Inhaftierung führten. Diese Position vertritt auch SPD-Obmann Thomas Oppermann. Indes will der Ex-BKA-Chef nicht ausschließen, dass Informationen über die FBI-Verbindungsleute an die US-Seite geflossen sein können. Mit dem Hinweis auf die Existenz der FBI-Vertreter in so großer Zahl und auf deren Integration in die BKA-Arbeit sieht Ströbele im Übrigen "ein großes Geheimnis gelüftet". Nescovic vermutet, dass die USA schon Anfang Oktober 2001 über den Abflug von Kurnaz und erste vage Verdachtsmomente Kenntnis erhielten. Bereits bei Verhören in Afghanistan, so Ströbele, sei Kurnaz mit Details aus seinem Bremer Leben konfrontiert worden.
Geklärt wird die Rolle deutscher Informationen nicht. Die Opposition kritisiert, dass dem Ausschuss entsprechende Unterlagen aus der damaligen Zeit vorenthalten würden. Für FDP, Linke und Grüne ein weiterer Grund für ihre in Karlsruhe gemeinsam eingereichte Organklage: Sie sehen seit langem die Aufklärungsarbeit durch die restriktive Geheimhaltungspraxis der Regierung behindert. Unter Hinweis auf den "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung", auf das "Staatswohl" oder auf "Verschlusssachen" würden Akten zu oft zurückgehalten, Themen zu häufig nichtöffentlich behandelt und Aussagenehmigungen für Zeugen zu eng gefasst. So ärgert sich die Opposition besonders, dass sie über die zu einer Einreisesperre gegen Kurnaz führenden Beratungen der Geheimdienstspitzen mit Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier im Oktober 2002 keine Details erfährt.
"Das Kräfteverhältnis zwischen Regierung und Parlament ist aus den Fugen geraten", meint Nescovic. Stadler erhofft sich vom Verfassungsgericht eine Stärkung der Kontrollrechte des Bundestags. Ob Karlsruhe ein Urteil so zügig fällt, dass dies noch den jetzigen Ausschuss betrifft, ist freilich offen.