Reinhold Robbe
Der Wehrbeauf-tragte hält nichts von vorschnellen Schlüssen aus dem Attentat auf die Bundeswehr in Afghanistan.
Die Reaktionen auf das Selbstmordattentat im afghanischen Kundus, bei dem drei Soldaten und fünf Zivilisten getötet und weitere fünf Soldaten verletzt wurden, fallen höchst unterschiedlich aus. Sie reichen vom klaren Bekenntnis für eine Fortführung des ISAF-Einsatzes bis hin zu einem schnellen Abzug. Oskar Lafontaine behauptet gar, die Bundeswehr sei durch den Tornado-Einsatz in Afghanistan in "terroristische" Aktivitäten verstrickt. Wie wirkt eine solche Äußerung auf den Wehrbeauftragten?
Ich will nicht irgendwelche Reaktionen auf diesen schrecklichen Anschlag kommentieren. Das ist nicht meine Aufgabe. Das sollen jene tun, die im Parlament Verantwortung tragen. Ich will nur soviel sagen: Alle, die jetzt mit populistischen und nicht nachvollziehbaren Äußerungen sich an die Öffentlichkeit wenden, müssen wissen, dass diese auch von den Angehörigen und den Kameraden der in Afghanistan getöteten Soldaten gehört werden. Und jeder sollte sich vor Augen führen, in welcher seelischen Verfassung sich diese Menschen befinden und was sie fühlen, wenn sie derartige Reaktionen aus den Medien entnehmen müssen.
Der Anschlag in Kundus hat deutlich gemacht, dass die Sicherheitslage im Norden Afghanistans wesentlich schlechter ist, als dies noch vor einem Jahr im Zuge der Diskussion um einen Einsatz der Bundeswehr im Süden des Landes behauptet wurde...
Die Lage in Nordafghanistan war niemals ruhig und stabil. Und es wird nach Aussage vieler Experten noch lange Zeit dauern, bis diese Regionen als befriedet angesehen werden können.
Die Bundeswehr in Afghanistan setzt stark auf einen direkten Kontakt zur Bevölkerung. Nun ist den Soldaten in Kundus dies zum Verhängnis geworden. Befürchten Sie, dass die Taliban mit dieser Art von Attentaten bewusst die Strategie des deutschen ISAF-Kontingents auszuhebeln versucht?
Man kann sicher unterstellen, dass die Taliban genau wissen, wie sie die größte Wirkung mit ihren Anschlägen erreichen können, vor allem bei der afghanischen Zivilbevölkerung. Und sie wissen offensichtlich auch, dass nach ihren Anschlägen in unserem Land Stimmen laut werden, die auf einen sofortigen Rückzug der Bundeswehr pochen. Aber es wäre nach Auffassung der Mehrheit im Bundestag falsch, sich von jenen erpressen zu lassen, die auf Gewalt setzen. Und die Bundesregierung hat ja deutlich gesagt, dass dies keine Option ist.
Auch der ehemalige Bundeswehrgeneral und frühere Befehlshaber der Kosovo-Friedenstruppe, Klaus Reinhardt, warnt vor einem sofortigen Abzug aus Afghanistan. Er fordert allerdings, dass man den Einsatz zeitlich klar limitieren sollte und nennt einen Zeitraum von zwei Jahren. Halten Sie dies nach ihren Erfahrungen in Afghanistan für realistisch?
Ich kann nicht für das Parlament sprechen und es ist nicht meine Aufgabe, in dieser Frage Strategien zu entwickeln. Aber ich lege allerdings großen Wert darauf, von denjenigen eine Expertise zu erhalten, die aktiv bei der Bundeswehr in der Verantwortung stehen.
Aber wäre es prinzipiell nicht besser, wenn man die Auslandsmissionen der Bundeswehr von vornherein sowohl vom Auftrag wie vom Zeitrahmen enger fassen würde?
Wo dies möglich ist, wird es ja gemacht, wie zum Beispiel beim Kongo-Einsatz im vergangenen Jahr. Dort wurde von Anfang an gesagt, der Auftrag lautet, die Wahlen militärisch abzusichern. Und nach Erfüllung dieses klar umrissenen Auftrages wurde der Einsatz wie geplant beendet. In derartigen Fällen lässt sich das realisieren. Im Falle Afghanistans ist die Lage erheblich komplizierter wie wir alle wissen. Somit muss man diese Frage von Einsatz zu Einsatz sehr differenziert betrachten. Im Übrigen stellt sich diese Frage der Politik regelmäßig, denn alle Mandate sind zeitlich befristet und müssen dann gegebenenfalls erneut vom Parlament verlängert werden.
Wie beurteilen die deutschen Soldaten in Afghanistan das Verhältnis zur afghanischen Zivilbevölkerung? Hat sich das Verhältnis verschlechtert seit Beginn des Einsatzes?
Das Verhältnis hat sich ganz sicherlich gewandelt. Ich habe die Einsatzgebiete in den vergangenen Jahren kontinuierlich besucht. Bei Einsatzbeginn standen an den Straßenrändern viele Afghanen, vor allem Kinder, und grüßten die deutschen Soldaten mit dem Victory-Zeichen. Das hat sich gewandelt. Inzwischen ist so etwas wie Normalität eingekehrt.
Allerdings sind auch Frustrationen entstanden, weil sich die Erwartungen vieler Afghanen nicht in dem Umfang erfüllt haben. Und diese Menschen sind anfällig für die Predigten der wieder erstarkten Taliban. Diese Beeinflussung spüren natürlich auch die deutschen Soldaten und das macht sie skeptisch. Leider bestätigt das Selbstmordattentat die These, dass trotz der prinzipiellen Freundlichkeit der meisten Afghanen gegenüber den deutschen Soldaten, die Gefahr von Attentaten größer geworden ist. Und die Soldaten wissen auch, dass es keinen 100-prozentigen Schutz gegen solche Selbstmordattentate gibt.
Bereits vor den Anschlägen wurde in Deutschland heftige Kritik am Vorgehen des amerikanischen Militärs im Rahmen der Operation Enduring Freedom geübt. Selbst Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hat Mitte des Monats sehr deutlich Worte gefunden, das harte Vorgehen der OEF-Truppen konterkariere teilweise den Einsatz der ISAF, die auf den Dialog mit der Zivilbevölkerung setzt. Nach dem Anschlag ist hat sich diese Kritik verstärkt, die Forderung nach einer neuen Gesamtstrategie für Afghanistan werden lauter. Sehen die deutschen ISAF-Soldaten das Vorgehen der OEF-Truppen ebenso als hinderlich für ihren Auftrag an?
Man kann nicht sagen, dass "die Soldaten" unisono eine Meinung hätten. Auch in der Truppe spiegeln sich alle möglichen Positionen wider, wie sie sich auch in unserer Gesellschaft abbilden. Aber wichtig ist, darin sind sich die Soldaten einig, dass ihr Auftrag klar erkennbar sein muss und dass es keine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten über diesen Auftrag und seinen Sinn unter den an ISAF beteiligten Bündnispartnern gibt.
Die Sinnfrage des Einsatzes wird sehr oft im Zusammenhang mit der Drogen-problematik gestellt. Über 90 Prozent des weltweit produzierten Schlafsmohns stammen aus Afghanistan. Auch in Einsatzgebieten der Bundeswehr im Norden sind die Anbauflächen größer geworden. Ist es einem deutschen Soldaten zu vermitteln, dass dies "unter seinen Augen" geschieht und man nicht konsequent gegen den Anbau vorgeht?
Diese Situation hat sich ja im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt. Viele afghanische Bauern haben sich in den Drogenanbau "geflüchtet", weil ihnen schlicht die Alternativen fehlen. Und unsere Soldaten bekommen von afghanischer Seite auch entgegengehalten, dass, solange in Europa die Drogenproblematik nicht gelöst wird, es keinen Grund gibt, immer nur mit dem ausgestreckten Finger auf die Afghanen zu zeigen. Das Problem lässt sich nicht militärisch lösen, hier ist der Aufbau alternativer Strukturen gefordert. Die Drogenproblematik ist viel zu komplex, als dass sie sich in Monaten lösen ließe.
Wir reden ja aber nicht von einem Zeitraum von Monaten. Immerhin befinden wir uns im Jahr fünf des Einsatzes. Hat man sich zu stark auf den militärischen Aspekt der Mission konzentriert?
Diese Diskussion erleben wir derzeit ja auch im Parlament und in der Gesellschaft. Im Übrigen existiert eine Aufgabenteilung. Danach haben die Aufgabe der Drogenbekämpfung die Verbündeten übernommen. Sicherlich muss die ISAF-Mission auch evaluiert werden hinsichtlich des Erfolgs oder des Misserfolgs. Aber vor dem Hintergrund der angespannten Sicherheitslage, tritt dieser Punkt derzeit sicherlich in den Hintergrund.
Das Interview führte Alexander Weinlein