ENERGIE-AUSSENPOLITIK
Alle wollen mehr Sicherheit. Doch der Umgang mit Russland bleibt umstritten.
Der polnische Parlamentspräsident Ludwik Dorn meldete sich letzte Woche mit einer ungewöhnlichen Forderung zu Wort: Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, müsse zurücktreten. Der hatte die polnische Regierung offen wegen ihrer Haltung zur Todesstrafe kritisiert. Zuvor hatte Schulz die polnischen Wähler aufgefordert, die Regierungskoalition Ende Oktober abzuwählen.
Die Stimmung zwischen deutschen und polnischen Parlamentariern hat in den letzten Tagen einen neuen Tiefpunkt erreicht. Im Kreuzfeuer der Kritik steht dabei auch der polnische Abgeordnete Saryusz-Wolski, Vorsitzender des Außwärtigen Ausschusses. Dort werde Politik, so Schulz, nicht mehr für die EU, sondern nach den polnischen Prioritäten gemacht - gerade auch in der Energiepolitik. Schulz steht mit seiner Kritik nicht alleine da. Auch der CSU-Abgeordnete Markus Ferber wift Saryusz-Wolski vor, er wolle als Ausschussvorsitzender die europäische Energiepolitik für "rein nationale Zwecke instrumentalisieren".
Stein des Anstoßes ist ein Initiativbericht des polnischen Abgeordneten, den das Europaparlament in der letzten Woche mit großer Mehrheit (553 gegen 103 Stimmen) angenommen hat. Die Außenpolitik der EU soll danach einer sicheren Energieversorgung stärker Rechnung tragen als bisher. Um den "energiepolitischen Unilateralismus durch eine neue, gemeinsame Politik der Energiesolidarität" zu ersetzen, schlägt er vor, einen "hohen Beamten für die Energieaußenpolitik" zu berufen, der für alle Aspekte der Energiesicherheit zuständig sein soll.
Strategische Entscheidungen wie der Bau der Ostsee-Pipeline sollen in Zukunft nur nach Konsultationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Kommission getroffen werden. In alle Abkommen mit den Erzeuger- und Transitstaaten will Saryusz-Wolski eine "Energiesicherheitsklausel" aufnehmen. Sie soll Verhaltensregeln auch bei Lieferunterbrechungen festlegen. Die EU sollte davon auch den Beitritt Russlands zur WTO abhängig machen. Die Kommission müsse den Wettbewerb in Europa nicht nur vor Microsoft schützen sondern auch vor Gasprom, sagt Saryusz-Wolski.
Alle Projekte, mit denen die Abhängigkeit Europas von einzelnen Lieferanten reduziert werden kann, sollen oberste Priorität genießen und von der EU und der Europä-
ischen Investitionsbank finanziell gefördert werden. Ausdrücklich erwähnt wird in diesem Zusammenhang die Nabucco-Pipeline, mit der Gas aus Zentralasien an Russland vorbei nach Europa transportiert werden könnte. Als der Bericht am späten Dienstag Abend der vergangenen Woche aufgerufen wurde, verspürten manche Abgeordnete im Straßburger Plenarsaal "einen Hauch von kaltem Krieg". Auf der linken Seite des Hauses wurde die "anti-russische" Stoßrichtung der Vorschläge offen kritisiert. Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms teilte zwar die Analyse des polnischen Berichterstatters, distanzierte sich aber von seinen Vorschlägen. Um Europa weniger abhängig von Energieimporten zu machen, setzen die Grünen auf die Senkung des Energieverbrauchs statt auf außenpolitische Muskelspiele. Der Sozialdemokrat Hannes Swoboda aus Österreich stellte sich dagegen hinter Saryusz-Wolski. Der Bericht sei ein "Kompromiss", der nicht gegen Russland gerichtet sei. Die meisten Abgeordneten, die in der Debatte das Wort ergriffen, begrüßten, dass die Kommission den Grundsatz der Gegenseitigkeit in ihr jüngstes Energiepaket aufgenommen hat. In der Energiepolitik müsse die EU "mit einer Stimme" sprechen. Vor allem die Abgeordneten aus Osteuropa unterstrichen die "strategische Bedeutung" von Geschlossenheit und Solidarität in der Energiepolitik. Die baltischen Staaten hätten in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass Russland seine Energielieferungen als politischen Hebel benutze, sagte der konservative estnische Abgeordnete Tunne Kelam. Sein Fraktionskollege Bogdan Klich unterstrich, dass eine solidarische Energiepolitik nicht nur politische Geschlossenheit verlange. Die EU müsse auch technologisch in der Lage sein, jedem Mitgliedsland im Ernstfall beizustehen.
Viele Abgeordnete unterstützen zwar die große Linie des Berichtes, halten einzelne Vorschläge aber für überdimensioniert. Gerade der Energiebeaufragte geht ihnen zu weit. Eine solche Machtfülle untergrabe die Zuständigkeiten des EP. Das Junktim zwischen dem russischen WTO-Beitritt und der Energiecharta bezeichnete eine Abgeordnete als "Schuss in den Ofen". Die EU habe selber ein großes Interesse daran, dass Russland in die WTO eingebunden werde. Die Kommission will sich nicht auf einen Konfrontationskurs gegenüber Moskau festlegen lassen. Energiekommissar Piebalgs sagte eine Prüfung der Vorschläge zu und verwies im übrigen darauf, dass die EU auf dem Weg zu einer gemeinsamen Energiepolitik bereits ehebliche Fortschritte gemacht habe.