Man kann von Hans-Christian Ströbele halten, was man mag, aber eines ist gewiss: Er ist kein Politiker von der Stange. Das Grünen-Urgestein ist ein unverwechselbares Unikat, eine schillernd-bunte Marke im mitunter eintönigen politischen Geschäft. Ströbele hat sich als Marke erfunden, erfindet sich immer wieder neu, braucht keine Werbeagenturen oder Marketingstrategien, um sich ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zu rufen. Er ist ein politischer Provokateur, der durch seine Aussagen, Meinungen und Aktionen nicht selten aneckt - aber das ist auch durchaus so gewollt. Der linke Grüne sagt, was er denkt, ohne Rücksicht auf parteiinterne oder -externe Konsequenzen.
Doch Ströbele einen wirkungsheischenden Egozentriker zu nennen, entspräche nicht der Wahrheit. Ohne weiteres könnte man diesen Eindruck erlangen, wenn man bedenkt, dass der 68-jährige es sogar zum Chartstürmer brachte, als Stefan Raab aus der Aussage "Gebt das Hanf frei" den gleichnamigen Rapsong kreierte, der es bis auf Platz vier der deutschen Singlecharts schaffte. Den Satz hatte Ströbele 2002 auf der so genannten "Hanf-Parade" der Polizei zugerufen, die 65 Pflanzen beschlagnahmt hatte, die zur Dekoration der Festwagen dienen sollten. "Ich finde den Song gut", sagt Ströbele heute, "denn so kam ein Erlös von 19.000 Euro zustande, den ich einer Drogenberatungsstelle gespendet habe."
Noch immer fordert der Abgeordnete die Entkriminalisierung geringer Cannabis-Mengen und die Zulassung von Hanf als Medizin. Für sich selbst lehnt Ströbele jegliche Art von Drogenkonsum ab. "Ich trinke also auch keinen Kaffee oder Alkohol und rauche nicht", stellt er mit Nachdruck fest.
Der Mann mit dem rotem Schal, den er trägt, um "die linkspolitische Farbe Rot nicht allein den roten Parteien zu überlassen", provoziert nicht um des Provozierens willen. Immer steht hinter den teilweise schräg wirkenden Aktionen ein ernsthaftes politisches Anliegen. So ist es auch mit Ströbeles Wahlplakaten von 2002 und 2005, die der bekannte Berliner Grafiker Gerhard Seyfried entwarf. Knallbunte Comics statt Kopfbild mit Slogan. "Besonders bei jungen Leuten sind die Plakate gut angekommen", freut sich Ströbele, "die haben sich die Dinger aufs Klo und in die Küche gehängt." Was bei Wahlplakaten fast undenkbar ist, machten die Comicposter möglich: "Nach vier Tagen waren fast alle weg", lacht er. Fest steht, dass Ströbele mit den kunterbunten Plakaten zwei überaus erfolgreiche Wahlkämpfe bestritten hat. "Ich bin der erste Grüne, der über die Direktwahl in den Bundestag eingezogen ist", stellt Ströbele fest. Im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg-Ost erreichte er zuletzt sensationelle 43,3 Prozent. "Darauf bin ich natürlich stolz", gibt er unumwunden zu. Kaum jemand hätte ein solches Ergebnis im Vorhinein für möglich gehalten - nicht einmal Ströbele selbst. "Ein Wessi im Osten - das geht gar nicht", hatten ihm alle gesagt, aber der Endsechziger setzte sich allen Prognosen zum Trotz gleich zweimal durch.
Nach Berlin kam der Jurist als Student. "Wie die meisten echten Berliner bin ich ein Zugezogener", grinst er. Mittlerweile ist er schon seit 47 Jahren in Berlin und fühlt sich ganz ung gar heimisch in der Spreestadt, in der auch seine ersten politischen Aktivitäten stattfanden. "Meine erste politische Handlung war, mit anderen Studierenden dafür zu sorgen, dass Eberhard Diepgen als AStA-Vorsitzender der Freien Universität abgewählt wurde", stellt Ströbele fest. Der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin musste sich wegen seiner Mitgliedschaft in einer schlagenden Studentenverbindung nach nur 17 Tagen als Vorsitzender des Studierendenausschusses mit seiner Abwahl begnügen.
Kultstatus hat mittlerweile auch Ströbeles Fahrrad erlangt, mit dem er jeden Morgen in sein Abgeordnetenbüro radelt. Schon zweimal wurde der Drahtesel geklaut, tauchte aber beide Male wieder auf. Über Kollegen, die per Fahrdienst in Berlin unterwegs sind, kann der sportliche Grüne nur müde lächeln. "Ich bin deutlich schneller und es hält mich fit", betont er überzeugt - selbst fahrtechnisch ist er niemand von der Stange.