Afghanistan
Rory Stewards Fußmarsch durch ein vom Krieg zerrüttetes Land
Kann man Afghanistan als Tourist bereisen? Man kann, wie der gerade erschienene Afghanistan-Reiseführer aus der Reihe "Lonely Planet" zeigt. Beim Auswärtigen Amt dürfte solch eine Veröffentlichung nicht gerade Freudensprünge auslösen. Denn in Krisengebieten sind selbst Diplomaten nicht vor Entführungen gefeiet, wie 2005 der Fall Jürgen Chrobog im Jemen gezeigt hat.
Ein anderer, vergleichweise verwegener Diplomat machte sich 2002 auf den Weg durch Afghanistan. Rory Stewart ist noch nicht einmal Mitte 30 und bereits Ordensträger des britischen Empire, woran seine Zeit als Tutor von Prinz William und Prinz Harry Anfang der 90er-Jahre vermutlich nicht ganz schuldlos ist. Zwischen 2000 und 2002 durchquerte der in Hong Kong geborene Schotte im Laufschritt Teile von Pakistan, Iran, Indien und Nepal. Nach Afghanistan kam er als Wanderer erst Anfang 2002. Da sind die Taliban gerade sechs Wochen gestürzt, Horden von Journalisten und eine Karawane von Helfern halten Einzug.
Stewart startet von Herat aus und wird gleich verdächtigt, Spion zu sein. Erst unterwegs gelingt es ihm, die Sicherheitseskorte, die Gouverneur Ismail Khan ihm mit auf den Weg gibt, loszuwerden. Gegen Ende ahnt man, dass das durchaus seinen Sinn hatte. Vor den Toren von Kabul, fünf Wochen später, hält man ihn mit seiner verstaubten Kleidung und dem Rucksack für einen al-Qaida-Sympathisanten auf der Flucht.
Bescheidenheit ist Stewarts Sache nicht. 500 Jahre nach Fürst Babur will er in den Fußstapfen des ersten Großmoguls von Indien das Hochland von Zentral-Afghanistan erobern - im Marsch und mit der Feder. Literarisch gelingt das nur bedingt. Der britische Humor, die historischen Exkurse, die feine Beobachtungsgabe machen dieses Reisetagebuch gelegentlich zwar zu einer unterhaltsamen Lektüre. Allerdings wird manches im Märchenhaften belassen, die Schilderungen von Ethnien wirken manchmal recht holzschnittartig.
Die Politik findet fast beiläufig, über das Dorfgespräch, Eingang. Stewart stichelt gegen die "neuen Führungspersönlichkeiten" aus dem Ausland, die "wenig wissen über Afghanistan". Die heutigen Postkonflikt-Experten hält er gar für unehrenhafter als die Kolonialbeamten des 19. Jahrhunderts, denn "die bemühten sich wenigstens ernsthaft, das Volk, das sie regierten, zu verstehen". Stattdessen sieht er einen Hilfs-Interventionismus am Werk, der kulturelle Unterschiede einebnet und sich darauf konzentriert, "weder des Rassimus noch der Ausbeutung noch der Unterdrückung beschuldigt (zu) werden".
Stewart, ein Engländer in einem Land, das die Engländer zweimal mit Erfolg vertrieben hat, lobt die afghanische Gastfreundschaft und stellt sie zugleich auf die Probe: mal überlegt, mal mit Ironie, mal naiv. Ihm prägen sich vor allem "die Härte des Alltags in den Dörfern" ein und "eine Gesellschaft, die aus einer unberechenbaren Mischung aus Etikette, Humor und äußerster Brutalität" besteht. Sein Buch ist keine Liebeserklärung an Afghanistan, eher schon eine an seinen zahnlosen Kampfhund "Babur", der ihn begleitet durch eine Kultur, die Hunde beargwöhnt.
Der Autor zeigt uns seinen "Lonely Planet", die Erfüllung eines Kindheitstraums. Der Fußmarsch als Weg zu sich selbst. Mittlerweile arbeitet Rory Stewart in Kabul umgeben von genau den internationalen Experten, die ihn offenbar so anwidern. Mit seiner Kulturstiftung stehen ihm Gelder in Millionenhöhe zur Verfügung. Eine Gelegenheit zu beweisen, dass es auch anders geht.
So weit die Knie tragen. Mein Fußmarsch durch Afghanistan.
Piper Malik, München 2007; 400 S., 22,90 ¤