JoseF Stalin
Martin Amis' Abrechung mit dem sowjetischen Diktator und der Linken in Westen enttäuscht
Eine Reihe neuer Bücher beschäftigt sich mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin. Eines von ihnen erschien bereits 2002 in Großbritannien und liegt nun in deutscher Übersetzung vor. Der Autor hat sich vor allem als Essayist und Romancier in Großbritannien einen Namen gemacht: Martin Amis. Der Titel "Koba der Schreckliche" kombiniert den Spitznamen des jungen Stalin mit dessen späterem Vorbild, Iwan dem Schrecklichen.
Martin Amis ist der Sohn des ehemals überzeugten Stalinisten Kingsley Amis. Erst 1956, nach den Veröffentlichungen Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der sowjetischen Kommunistischen Partei und der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands, wandte sich der Vater von seinen ursprünglichen Idealen ab und der Labour Party zu. Fortan galt er den Ex-Genossen als Verräter und Faschist.
Schon der Klappentext zitiert die "einzigartige Mischung aus Memoiren und Geschichtswerk", die Amis Buch darstelle. Und das "Koba"-Buch hat tatsächlich einen eigenwilligen Stil - einzelne Passagen sind sehr persönlich gehalten, bis hin zum Brief an den verstorbenen Vater im Abspann des Bandes. Wirklich gelungen aber ist diese Mixtur aus privaten Gedanken, Zitaten berühmter Autoren und wiederholten Schilderungen stalinistischer Gräuel nicht.
Amis steigt ohne Einleitung direkt in sein Thema ein. Im ersten Teil ("Der Wert eines Menschenlebens verfällt") macht er den Leser mit seiner Lieblingsthese bekannt: Dass es zwischen Lenin, Trotzki und Stalin kaum einen Unterschied hinsichtlich ihrer Brutalität gegeben habe. Auch Lenin habe sich dezidiert antiintellektuell geäußert und eine "schwarze Liste" mit zu disziplinierenden Künstlern und Wissenschaftlern angelegt. Weiterhin habe auch er bei der Kollektivierung der Landwirtschaft massiv den Hunger als Waffe eingesetzt - wenn auch weniger "erfolgreich" als Stalin 1933.
Amis' Schlussfolgerung, die er an verschiedenen Stellen wiederholt, lautet, dass Hunger, Terror, Sklaverei und Scheitern unverzichtbar zum Kommunismus gehörten. Folgerichtig erscheinen auch Lenin und Trotzki als menschen- verachtende Politiker, mit dem kleinen Unterschied, dass ihnen eine größere Intelligenz zugestanden wird. Lediglich eine Art linker "Mainstream" habe verhindert, dass man sich im Westen über Trotzki, den im Exil von Stalin ermordeten russischen Juden, negativ äußerte.
Der Autor kreist beständig um die Frage, warum auch westliche Intellektuelle für den Diktator schwärmten, selbst im Bewusstsein der Säuberungen der 1930er-Jahre. Von heute aus betrachtet, erscheine dies "als pathologisch selektive Gleichgültigkeit, als ein Gedankenspiel, das in Selbsthypnose begonnen und durch Massenhysterie fortgeführt wurde". Und damit gelangt der Autor zu dem, was das Buch vor allem kennzeichnet: Die Darstellung der Verfolgungen in der Sowjetunion seit 19 17/18 . Er belegt damit seine Hauptthese von der prinzipiellen Bösartigkeit des Systems. Rein quantitativ, so führt er außerdem aus, könne sich Stalin gemessen an der Zahl seiner Opfer problemlos mit Adolf Hitler messen.
Allerdings sei Stalin weniger zielgerichtet gegen ein Volk vorgegangen - sein Terror habe sich gegen alle gerichtet. Er habe sich dabei auf die Vorarbeiten von Lenin stützen können. Den Antisemitismus lässt der Autor nur bedingt als Unterscheidungsmerkmal gelten: Letztlich habe nur Stalins Tod verhindert, dass dieser seine Gewaltmaßnahmen gegen die Juden gerichtet habe.
"Jossif der Schreckliche: Kurzer Lehrgang" ist der zweite Teil des Bandes betitelt. Geschildert werden Herkunft und Familienleben des Diktators, insbesondere sein Verhältnis zu Eltern, Frauen und Kindern sowie Weggefährten. Die Säuberungen machten auch vor engen Familienangehörigen und Freunden nicht Halt - niemand konnte sich sicher fühlen. Amis schildert noch einmal die Deportationen und das allgemeine Klima in der Zeit der schlimmsten Denunziationen. Diese bedrohten selbst "hochrangige Speichellecker und Pöstcheninhaber" wie Nikita Chruschtschow - alle seien bedroht gewesen, weil sich Stalin von allen verfolgt gefühlt habe.
Da passt es kaum ins Bild, dass er ausgerechnet Hitler nicht misstraute und vom Überfall der deutschen Wehrmacht 1941 überrascht war. Nach dem Krieg sei der Stalinismus dann, so Amis, in "seine abstoßendste, hemmungsloseste Phase" eingetreten - eine irritierende Feststellung angesichts der zuvor aufgezählten Verbrechen. Selbst die Beerdigung Stalins habe mehr als hundert Menschenleben gefordert, klagt der Autor an. Im Schlusswort richtet sich Amis an seinen Freund Christopher Hitchens und fordert ihn auf, die vorstehende Argumentation auf sich wirken zu lassen.
Doch diese Argumentation enttäuscht: Denn der Autor weiß zu seinen Hauptfragen kaum Erhellendes zu schreiben. In der Sowjetunion, so seine Vermutung, sei die ungebrochene Beliebtheit Stalins vor allem eine Folge der ununterbrochenen Propaganda gewesen. Für das Ausland bleibt er letztlich jede Erklärung schuldig. Statt dessen reiht Amis erschütternde Augenzeugenberichte über den stalinistischen Terror ohne erkennbare Ordnung aneinander, ohne indes neue Quellen zu präsentieren. Diese Zeugnisse erklären kaum, warum man zwar über den Stalinismus, nicht aber über den Nationalsozialismus lachen kann - im Gegenteil.
Koba der Schreckliche. Die zwanzig Millionen und das Gelächter.
Carl Hanser Verlag, München 2007; 296 S., 21,50 ¤