GENTECHNIK
Zwischen Segen und Fluch - Streit um Gesetzentwurf der Regierung
Einen Todesfall gab es schon. In Frankreich nahm sich ein Bauer das Leben, weil er die Vernichtung seines mit genverändertem Mais bepflanzten Feldes durch militante Gentechnik-Gegner befürchtete: Die hatten ein "Picknick" vor seinem Acker angekündigt. So dramatisch spielen sich hierzulande die Konflikte nicht ab. Heiß her geht es gleichwohl. Eine "Vereinigung autonomer Bienen" zerstörte ein Terrain im badischen Rheinstetten, wo zu Forschungszwecken Genmais kultiviert wird. Diese vom Stuttgarter CDU-Agrarminister Peter Hauk als "kriminell" kritisierte Attacke war nicht die erste ihrer Art in Deutschland. Schlagzeilen machen auch andere Proteste wie etwa die Besetzung eines Maisfelds in Brandenburg durch Greenpeace oder das Besteigen von Fahnenmasten vor dem Verbraucherministerium in Berlin. Demnächst dürften die Emotionen erst recht hochkochen: Bundestag und Länderkammer beraten im Herbst den Regierungsentwurf für ein neues Gentechnik-Gesetz, das unter anderem wegen der Bestimmungen über Abstände zwischen Äckern mit Genmais und anderen Feldern sowie wegen der Haftungsregeln Kontroversen auslöst.
Bisher wird in der Bundesrepublik erst auf 2.600 Hektar Genmais ausgesät, deren Anteil an allen Maisäckern liegt im Promillebereich. EU-weit wachsen auf 110.000 Hektar genmanipulierte Pflanzen, in Deutschland, Portugal, Tschechien, Frankreich und Spanien. In der EU sind bislang nur Sorten der Maislinie Mon 810 zugelassen. Gleichwohl tobt ein scharfer Grundsatzstreit.
Die Befürworter der Forschung in der Ackerfurche erhoffen sich vom Einbau artfremder Gene in Nutzpflanzen wie Mais, Kartoffeln oder Obst Resistenzen gegen Schädlinge, die Vermeidung chemischer Insektizid-Duschen und einen höheren Ertragreichtum der Ernten. Vor allem im Blick auf Ernährungsprobleme wegen des Bevölkerungszuwachses in der Dritten Welt überwiegt für den ökologisch durchaus engagierten Biochemie-Professor Klaus Hahlbrock der Nutzen der "grünen Gentechnik": Die Steigerung agrarischer Produktivität und die geringere Umweltbelastung überbiete den problematischen Eingriff in die Evolution der Nahrungspflanzen: "Aufgrund bisheriger Erfahrung sind Schäden für Mensch und Umwelt bei richtiger Handhabung der Gentechnik nicht zu erwarten".
Die Gegner indes befürchten gesundheitliche Risiken für Menschen sowie unbeherrschbare Folgen für Fauna und Flora. Ein Beispiel ist die kurz vor der Zulassung durch Brüssel stehende Genkartoffel "Amflora", welche die BASF zur effizienteren Gewinnung industriell eingesetzter Stärke nutzen will. Der EU-Abgeordnete Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Grüne) sorgt sich, dass in "Amflora" eingefügte Antibiotika-Resistenzgene den Weg in die Natur finden und so Krankheitserreger gegen Medikamente immun werden könnten. Bioland-Präsident Thomas Dosch bringt sein "Nein" zur Gentechnik so auf den Punkt: Zu erwarten sei eine "schleichende Verunreinigung der gesamten Nahrungskette mit gentechnisch veränderten Organismen".
Der Gesetzentwurf der Regierung zielt auf pragmatische Kompromisse. Man habe eine "ausgewogene" Lösung gefunden, so Agrarminister Horst Seehofer (CSU), die der "großen Sensibilität, mit der die Gentechnik in der Bevölkerung wahrgenommen wird, Rechnung trägt". SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sieht einen "deutlichen Fortschritt". Äcker mit Genmais müssen mindestens 150 Meter von konventionell bewirtschafteten Feldern und 300 Meter von Flächen mit Öko-Landbau entfernt sein. Allerdings sollen Bauern die Abstandsregeln durch freiwillige Vereinbarungen umgehen können. Nach dem Haftungsmodell hat unabhängig vom Nachweis eigenen Verschuldens ein Landwirt, der Genmais pflanzt, Nachbarn zu entschädigen, wenn in deren Ernte eine genveränderte Quote von mehr als 0,9 Prozent ermittelt wird. Im öffentlich einsehbaren Register bleiben die Standorte von "Gen-Äckern" vermerkt - was auch für militante Gegner hilfreich ist. Erleichtert wird die Gen-Forschung innerhalb von Gebäuden. Außerdem können künftig tierische Nahrungsmittel wie Käse, Eier oder Fleisch als "gentechnikfrei" gekennzeichnet werden. "So entsteht ein Markt", hofft die SPD-Abgeordnete Elvira Drobinski-Weiß, auf dem sich Erzeuger "mit gentechnikfreien Produkten tummeln werden".
Doch es hagelt Kritik. Mit dem Gesetz werde die Chance verpasst, moniert der FDP-Abgeordnete Hans-Michael Goldmann, "die Züchtung von Energiepflanzen zu verbessern". Die Liberale Christel Happach-Kasan klagt, dass die Mindestabstände den Anbau von gentechnisch verbessertem Mais zu sehr beschränkten. "Innovationsverluste" prognostiziert die Industrievereinigung Biotechnologie. Als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft warnt Jörg Hinrich Hacker, dass sich molekulare Pflanzenforschung verstärkt ins Ausland verlagern könnte.
Die Agro-Gentechnik werde "ins Abseits befördert", meint der Verband Deutscher Pflanzenzüchter. Aus Sicht Kirsten Tackmanns (Die Linke) bedient das Gesetz hingegen die Interessen der Saatgutkonzerne. Gravierende Konsequenzen für die Umwelt sehen die Grünen voraus. Das Gesetz schaffe "riesige Einfallstore für Verunreinigung", klagt Ulrike Höfken, Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Bundestages. Die Folgen von "Privatabsprachen" über geringere Abstände zwischen Äckern seien "unkontrollierbare Auskreuzungen".
Während noch um das Gesetz gekämpft wird, macht sich vor Ort eine neue Bewegung breit. 28.000 Bauern haben erklärt, ihre Felder ohne Gentechnik zu kultivieren, bundesweit ist dies eine Million Hektar. Mit der Marke "Gentechnikfreie Region" (GFR) können Produzenten werben, wenn in ihrer Gegend aufgrund von Selbstverpflichtungen mindestens zwei Drittel der Nutzfläche frei von genveränderten Pflanzen sind.
Bisher existieren knapp 100 GFR-Landstriche mit 750.000 Hektar. Zudem verbannen über 100 Gemeinden Gentechnik von kommunalen Flächen. Gescheitert ist jedoch Oberösterreich mit dem Versuch, ein generelles Anbauverbot für genmanipulierte Pflanzen in dieser Region zu verhängen: Der Europäische Gerichtshof lehnte diesen Vorstoß der Linzer Regierung als unvereinbar mit EU-Regeln ab.