EU-GRUNDLAGENVERTRAG
Das Reformwerk soll diese Woche beschlossen werden. Einige Hürden gibt es aber noch.
Die Nachricht kam per SMS."Vertragsentwurf liegt vor, Arbeit der juristischen Experten beendet", teilte die portugiesische Ratspräsidentschaft mit. Seit Anfang letzter Woche kann theoretisch jeder im Internet nachlesen, wie das beim Juni-Gipfel unter Angela Merkels Präsidentschaft vereinbarte Mandat für eine Reform der EU-Verträge in juristische Texte umgesetzt wurde.
Praktisch allerdings sind die kompliziert formulierten Änderungen und Ergänzungen "besser als nichts, aber ein schrecklicher, unlesbarer Text", wie die grüne Fraktionsvorsitzende Monica Frassoni bei der Plenarsitzung des Europaparlaments vergangenen Mittwoch bemängelte. "Wir werden das Projekt unterstützen, aber die Regierungen haben uns den Prozess aus den Händen genommen. Was wir jetzt haben, ist viel schlechter als das Ergebnis des EU-Konvents." Ihr Fraktionskollege Johannes Voggenhuber, selbst Mitglied des Konvents, der eine später in Volksabstimmungen abgelehnte EU-Verfassung ausgearbeitet hatte, setzte nach: "Ich kann diese Texte nicht lesen. Ich weiß nicht, was all die Verweise und Fußangeln zu bedeuten haben. Es droht ein Europa, in dem die Menschen die politische Ordnung nicht mehr erkennen können, in der sie leben."
Tatsächlich sind die 152 Seiten Vertragsänderungen, die 76 Seiten Zusatzprotokolle und die 53 gesondert vorgelegten Erklärungen selbst für juristische Fachleute schwer nachvollziehbar. Einig sind sich die meisten Beobachter, dass die Vertragsjuristen der 27 Mitgliedstaaten sich eng an das im Juni unter deutscher Ratspräsidentschaft vereinbarte Mandat gehalten haben. Der britische Liberale Andrew Duff, einer der drei Vertreter des Europaparlaments in der Regierungskonferenz, glaubt trotzdem nicht an einen reibungslosen Verlauf des Sondergipfels am 18. und 19. Oktober in Lissabon.
"Das von Angela Merkel ausgehandelte Mandat war zum Teil widersprüchlich. Da muss noch vieles geklärt werden", sagte er dem "Parlament". Nach seiner Erfahrung mit dem Ablauf von Regierungskonferenzen werde es bis zur letzten Minute neue Forderungen, zusätzliche Protokolle und Erklärungen geben - zum Beispiel möchten sich die Bulgaren vertraglich zusichern lassen, dass sie das Wort "Euro" in kyrillischer Sprache als "EBTO" auf die Euromünzen und Euroscheine drucken dürfen.
Derartige Sonderwünsche bereiten den Parlamentsvertretern in der Regierungskonferenz Sorgen. "Eine Einigung in Lissabon ist wahrscheinlich", sagte Andrew Duff in der Plenardebatte. "Aber die Qualität des Textes bereitet mir Sorgen. Es entsteht ein Selbstbedienungseuropa, das durch die britische Forderung nach einem Opt-Out (einer Ausnahmeregelung A.d.R.) bei der Justizpolitik und der Grundrechte-Charta voran gebracht wird."
Wesentlich positiver wertet der deutsche Vertreter in der Regierungskonferenz, der konservative EU-Parlamentarier Elmar Brok, den von den Juristen vorgelegten Entwurf. "Es ist nicht der Vertrag unserer Träume. Aber die Union erhält mehr Handlungsfähigkeit in der Energiepolitik, beim Kampf gegen den Terrorismus und den Klimawandel, in der Außen- und Sicherheitspolitik." Die Entscheidungsstrukturen im Ministerrat würden durch eine auf 18 Monate angelegte Präsidentschaft aus jeweils drei Mitgliedsländern gestärkt. Bislang wechselt der Vorsitz alle sechs Monate, was die Kontinuität der europäischen Politik beeinträchtigt.
Vor allem aber betont Brok die deutlich verbesserten Mitwirkungsmöglichkeiten seiner eigenen Institution, des Europäischen Parlaments. "Künftig wird in 95 Prozent der Fälle das Parlament mitentscheiden, auch in der Agrarpolitik. Eine demokratische Lücke wird damit geschlossen", glaubt Brok. Nur drei Punkte müssen aus Sicht des Parlaments noch verbessert werden, damit eine Mehrheit des Hohen Hauses den reformierten Verträgen zustimmen kann. Zum einen darf die umstrittene Ioannina-Klausel, die bei Mehrheitsentscheidungen durch die Hintertür ein Veto wieder einführt, keinesfalls Bestandteil der Verträge werden. Die polnische Regierung hält zurzeit noch an dieser Forderung fest und könnte damit dem Gipfel in Lissabon eine lange Nachtsitzung bescheren. Polen wählt am 21. Oktober ein neues Parlament.
Ferner bestehen die Abgeordneten darauf, dass auch die Datenweitergabe an Drittländer einem strengen Datenschutz und der Kontrolle des Parlaments unterliegen muss. Der neu eingeführte Artikel 24 des Vertrages würde die Möglichkeit eröffnen, dass sich die Mitgliedstaaten im Rat für Fälle wie den Passagierdatenaustausch mit den USA Sonderregeln außerhalb der Datenschutzbestimmungen zurechtlegen. Schließlich will das Parlament verhindern, dass der Rat nach Inkrafttreten der neuen Verträge einen Hohen Vertreter für Außenpolitik ernennt, ohne die Parlamentswahl im Sommer 2009 abzuwarten. Von der neuen Legislaturperiode an müssen nämlich die Abgeordneten zustimmen, bevor ein Kommissionspräsident und ein Hoher Vertreter ihr Amt antreten können.
Selbst wenn diese Hürden im Verlauf des Gipfels aus dem Weg geräumt werden können, gibt es dennoch einen Stolperstein: mögliche Referenden. In Irland schreibt die Verfassung eine Volksabstimmung vor. Alle anderen EU-Staaten haben deutlich mehr Spielraum, doch könnte innenpolitische Dynamik weitere Referenden erforderlich machen. Trotz bestimmter Signale ist noch nicht sicher, ob es möglicherweise Referenden in Großbritannien und Dänemark geben könnte. Und damit ist ein Scheitern der Reform zumindest nicht ausgeschlossen.