Joschka Fischer
Eigen- und Fremdbetrachtungen eines Politikers, der bis heute Freund und Feind polarisiert
Von allen Politikern hat es keiner nötiger, sich der Nachwelt schlüssig zu erklären." Diese Einschätzung des Journalisten Jürgen Schreiber, entnommen seinem aktuellen Buch "Meine Jahre mit Joschka", ist - bewusst oder nicht - doppeldeutig. Will Schreiber lediglich sagen, dass die Figur des ehemaligen linksmilitanten Straßenkämpfers und späteren Bundesaußenministers erklärungsbedürftig ist? Das wäre offensichtlich. Die Karriere des am 12. April 1948 im baden-württembergischen Gerabronn geborenen Joseph Martin Fischer schreit in der Tat förmlich nach Erklärungen. Oder will Schreiber andeuten, dass Fischers ausgeprägtes Ego ihn zur Selbsterklärung drängt? Auch diese Aussage wäre sicherlich nicht falsch. Wie auch immer, Fischer hat sich nun in Buchform erklärt - zumindest teilweise.
"Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo zum 11. September" heißt der erste Band seiner politischen Memoiren. Der zweite Teil soll in circa einem Jahr folgen. Fischer lässt sich mehr Zeit als etwa Gerhard Schröder, um seine Sicht der Dinge in den Bücherregalen zu verewigen. Und um es deutlich zu sage: Es hat sich gelohnt. Während Schröder vor einem Jahr mit seinen "Entscheidungen" einen unausgegorenen Schnellschuss wagte, präsentiert Fischer deutlich lesenswertere Kost. Das mag zum einen daran liegen, dass die rhetorischen Fähigkeiten Fischers die des ehemaligen Bundeskanzlers schon verbal übertreffen. Seinen "Rot-grünen Jahren" ist aber vor allem der größere zeitliche Abstand zum eigenen Regierungshandeln anzumerken.
Pointiert, ein wenig zu detailversessen, stellenweise amüsant, hier und da selbstkritisch - auch wenn die Selbstkritik bei Fischer immer ein wenig kokettierend ausfällt - lässt er die ersten Jahre der rot-grünen Koalition Revue passieren. Er hangelt sich wie im Untertitel versprochen an der Außenpolitik entlang, ohne dabei die innenpolitischen Kapriolen dieser Zeit aus den Augen zu verlieren. Vor allem seiner von Richtungskämpfen geplagten Partei verpasst er den ein oder anderen Seitenhieb.
Fischer erklärt seinen Lesern die Welt der Politik und der Diplomatie anschaulich und nachvollziehbar, zieht dabei aber immer wieder alle Register des all zu staatsmännischen Vokabulars, dessen er sich als Chef des Außenministeriums so gerne bediente. "Er hat sich immer für unseren Lehrmeister gehalten", ätzt Schreiber genervt über diese Attitüde.
Als "Weltaußenminister" bezeichnete die "taz" Fischer einst. Diese ironische Titulatur traf es zu seinen Amtszeiten gut und auch in seinem Buch zeichnet sich Fischer lesbar gerne in dieser Rolle - allerdings nicht ironisch. Schwer hat er an den Problemen der Welt zu tragen, seine von Sorgenfalten durchzogene Außenministerstirn tritt zwischen den Zeilen deutlich hervor. Von historischen Zäsuren sieht er seine Jahre im Auswärtigen Amt gekennzeichnet: die erste linke Regierungsbildung, die erste Beteiligung Deutschlands an einem Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg, das Ende der Bonner- und der Beginn der Berliner Republik, die EU-Osterweiterung und schließlich der 11. September. Kein Zweifel, Fischer hat zu einer Zeit gewirkt, die von Umbrüchen geprägt war und die sein erklärtes Ziel, die Kontinuität deutscher Außenpolitik wahren zu wollen, letzten Endes unmöglich machte. Seine ständige Beschwörung der großen historischen Einschnitte erinnert dann aber doch sehr stark an den "Mantel der Geschichte", in den sich schon Bundeskanzler Helmut Kohl so gerne kleidete. Aber mit diesem verband den Machtmenschen Fischer ohnehin so manche Eigenschaft.
Es ist ein Gücksfall, dass zeitgleich zu Fischers Memoiren das Buch von Jürgen Schreiber erschien. Es ist höchst vergnüglich, die beiden Bücher parallel zu lesen, die Selbst- und die Außenbetrachtung runden das Bild des Erklärungsbedürftigen. Nicht zuletzt deswegen, weil Schreiber auch jenen "Jung-Joschka" präsentiert, der hinter der Figur des Außenministers beinahe verschwunden wäre. Schreibers sehr persönliche Beschreibung Fischers und dessen Weg von der Frankfurter WG in die Villa im Berliner Grunewald ist zwar deutlich vom Zorn über verratene linke Ideale geprägt, das schadet dem Lesegenuss aber nur bedingt. Schreibers Buch wird nicht der letzte Erklärungsversuch über Fischer sein, dafür bietet er zu viel Stoff: "Mit dem Tempo eines Videoclips drängte er ins Pantheon der Unsterblichkeit. Für das Publikum war Fischer großes Kino, zu Beginn ein Roadmovie, am Ende Staatstheater."
Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo zum 11. September.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007; 444 S., 24,50 ¤
Nachrichten von fetten und mageren Zeiten.
Econ Verlag,
Berlin 2007; 207 S., 19,90 ¤