REGIERUNGSERKLÄRUNG
Müntefering redet lieber über erfolgreiche Politik als über den SPD-Streit
Als Franz Müntefering (SPD) am 11. Oktober um 9 Uhr morgens im Plenarsaal des Reichtages ans Podium trat, saß sein Parteivorsitzender Kurt Beck im sonnigen Andalusien möglicherweise gerade beim Urlaubsfrühstück. Eventuell hat er sich ja einen kleinen Fernseher auf den Küchentisch gestellt, um die Regierungserklärung des Arbeitsministers mitzuverfolgen. Dann dürfte ihm aufgefallen sein, dass sich ungewöhnlich viele Koalitionsabgeordnete im Saal eingefunden hatten. Ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die auf der Regierungsbank saß, wollten sie wohl mit ihrer Anwesenheit Müntefering demonstrativ den Rücken stärken. Denn dem Vizekanzler bläst derzeit trotz guter Arbeitsmarktzahlen und stabilem Wachstum der Wind ins Gesicht. Oder wie es FDP-Generalsekretär Dirk Niebel ausdrückte: die von Spanienurlauber Beck gemachten Wellen drohen Franz Müntefering hinweg zu spülen. Um dem fürs Erste zu entgehen, hat Müntefering den Streit mit seinem Parteivorsitzenden über die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I (Alg I) aus seiner Regierungserklärung verbannt.
Der Sauerländer redete lieber über die geringste Arbeitslosigkeit seit zwölf Jahren, eine verbesserte Ausbildungssituation für Jugendliche und die deutlich erhöhte Beschäftigungsquote bei älteren Arbeitnehmern. Von 37,7 Prozent im Jahr 1998 sei diese auf inzwischen 52 Prozent gestiegen. All das, so Müntefering, seien Folgen der schwarz-roten Arbeitsmarktpolitik, einer erfolgreichen Politik. Die dürfe man dann durchaus einmal würdigen: "Wann können wir in Deutschland eigentlich von einem Erfolg politischer Arbeit sprechen, wenn nicht an dieser Stelle?", fragte Müntefering unter dem Applaus der Koalitionspolitiker. Dennoch seien weiterhin erhebliche Anstrengungen nötig. Es gebe immer noch große regionale Unterschiede bei der Erfolgsquote im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Ebenso wolle man den Kampf gegen Lohndumping weiterführen. "Darüber haben wir bei der Regierungsklausur in Meseberg eine Übereinkunft erzielt", so der Vizekanzler, der für den November auch Beschlüsse zur Armutsbekämpfung in Aussicht stellte. Kaum Applaus vom Koalitionspartner erhielt er für seine Ankündigung, bis zum Wegfall des Postmonopols am 1. Januar 2008 den Mindestlohn für Briefzusteller einzuführen. Noch in diesem Jahr würden die Briefdienstleister ins Entsendegesetz aufgenommen, so der Minister. Vieles sei also getan und vieles werde noch getan, so Müntefering launig, damit nach dem Ende der Großen Koalition in vielleicht "17.500 Stunden oder so" sie das größtmögliche Lob des Berliners erhalte: "Da kannste echt nich' meckern." Ob Kurt Beck im fernen Spanien in das darauf folgende Gelächter eingestimmt hat, ist nicht bekannt. In der sich an die Regierungserklärung anschließenden Aussprache war der rheinland-pfälzische Ministerpräsident aber trotz Abwesenheit sehr präsent.
Dafür sorgten die Oppositionsredner, die den Arbeitsminister für sein wortloses Abtun des parteiinternen Streits um die Arbeitsmarktreformen heftig kritisierten. Es habe an "Kraft und Mut" gefehlt, das derzeit vorherrschende Thema anzusprechen, sagte etwa FDP-Generalsekretär Dirk Niebel und machte deutlich, dass die Liberalen eine Alg-I-Verlängerung ablehnen. Becks Vorschläge, so Niebel, seien "purer Populismus". Statt mit dem von der Bundesagentur für Arbeit (BA) eingesammelten Geld das Alg I für Ältere zu verlängern, müssten damit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden. Das schaffe Arbeitsplätze. Niebel forderte Bundeskanzlerin Merkel zum Handeln auf: "Machen Sie deutlich, was die Bundesregierung beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit erreichen will!" Auch die Grünen lehnen Becks Ideen ab. Ihr Fraktionsvorsitzender Fritz Kuhn sprach von einem "falschen Vorschlag", der nicht umgesetzt werden dürfe. Seine Partei stehe zur Agenda 2010. Insbesondere die "diffusen Vorruhestandsmodelle" habe man damals abschaffen wollen. Damit wolle Beck ausgerechnet in einem Moment, in dem die Beschäftigungsquote Älterer steige, brechen. Wenn an der Agenda 2010 etwas zu korrigieren sei, so Kuhn, so sei dies die Höhe des Arbeitslosengeldes II (Alg II).
Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, äußerte Verständnis für die "schwierige psychologische Situation", in der sich Müntefering befinde. Lange habe er sich gegen die Agenda 2010 gesträubt, dann habe er sie sich zueigen gemacht und verteidige sie nun umso vehementer. Dennoch sei sie "unsozialdemokratisch". Gysi lobte Becks Initiative. Damit sei der SPD-Vorsitzende auf einem guten Weg seine Partei "für uns koalitionsfähig zu machen". Für die Linke gehe es jedoch nicht um eine Verbesserung der Agenda 2010, sondern nur um den Abschied von dem Konzept, wie Gysis Parteikollege Volker Schneider während einer Aktuellen Stunde am Vortag deutlich machte. Die CDU, so ihr Arbeitsmarktexperte Gerald Weiß, befürworte eine Verlängerung von Alg I nur, wenn dies "kostenneutral" erfolge. Mit den Reserven der BA wolle die Union lieber die Arbeitslosenversicherungsbeiträge auf 3,5 Prozent senken. Um einen Kompromiss im innerparteilichen Streit war Klaus Brandner (SPD) bemüht. Er schlug vor, das Alg I zumindest bis 2010 zu verlängern. Dann müsse geprüft werden, wie sich der Arbeitsmarkt für Ältere entwickelt hat.