NOBELPREISTRÄGER
Die Auszeichnung für Ertl und Grünberg adelt auch die deutsche Wissenschaft
Gleich zwei deutsche Nobelpreisträger gilt es in diesem Jahr zu feiern: Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich teilt sich mit seinem französischen Kollegen Albert Fert den Physik-Nobelpreis und Gerhard Ertl vom Fritz-Haber-Institut in Berlin erhält den Nobelpreis für Chemie. Soviel Anerkennung für den heimischen Forschungsstandort gab es zuletzt 1925. Nur im Jahre 1905 gelangte noch mehr Stockholmer Lorbeer ins Land - da ging zudem auch noch der Medizin-Nobelpreis an einen Vertreter der seinerzeit führenden Wissenschaftsnation. Bis 1945 wurden sage und schreibe 35 deutsche Naturforscher und Ärzte mit jener hochbegehrten Auszeichnung bedacht. Erst nach dem Krieg übernahmen die USA die Führungsrolle auf dem internationalen Forschungsparkett und behaupten diese seither selbst gegenüber der vereinigten europäischen Forschung.
Grünberg und Fert werden für die Entdeckung eines quantenphysikalischen Effekts geehrt, der das Einlesen magnetisch gespeicherter Daten revolutionierte, indem es die computergestützte Verarbeitung riesiger Datenmengen auf kleinsten Flächen erlaubte. Allerdings führte nicht etwa eine europäische Firma diese exzellente europäische Grundlagenforschung zur nanotechnologischen Anwendung, sondern IBM im fernen kalifornischen San Jose.
Während die deutschen Physiker und Biowissenschaftler durch die beiden Medizin-Nobelpreise von 1991 und 1994 sowie die insgesamt fünf Physik-Nobelpreise seit 1998 bei Laune gehalten wurden, ist es nunmehr beinahe zwanzig Jahre her, dass ein deutscher Chemiker nach einem Anruf der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften die Sektkorken knallen ließ. Chemie-Preisträger Ertl widmete sein Forscherleben der Katalyseforschung. Ohne seine Erkenntnisse über die Natur chemischer Oberflächenreaktionen könnten wir weder die Feinheiten der Kunstdüngerproduktion noch die Wirkungsweise eines Autokatalysators begreifen, und auch der Abbau der Ozonschicht bliebe uns ein Rätsel. Zudem hätten wir kaum nennenswerte Möglichkeiten, Rohstoffe effizienter zu nutzen und Energie einzusparen.
Gewiss, Nobelpreise werden jeweils für individuelle Leistungen verliehen. Doch ausgezeichnet wird nebenbei immer auch das spezielle Umfeld, in dem herausragende Forscherpersönlichkeiten zur Schule gehen, studieren und ihr Talent zur Entfaltung bringen. Insofern werfen die jüngsten Auszeichnungen ein glanzvolles Licht auf die deutsche Forschungslandschaft. Entgegen allen Unkenrufen wirken hierzulande immer noch zahlreiche Spitzenforscher an attraktiven Forschungsstätten, die den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen. "Als Max-Planck-Forscher", so Ertl, "habe ich es hier besser." Insbesondere die deutsche Grundlagenforschung, so Theodor W. Hänsch (Physik-Nobelpreisträger 2005), "muss sich nicht verstecken - sie muss sich nur besser verkaufen".
In der Tat, Deutschland lebt vom Verkauf veredelter Waren und innovativer Serviceleistungen. Jeder Euro, der durch Import ausgegeben wird, muss erst durch den Export veredelter oder innovativer Produkte verdient werden. Wegen seiner Rohstoffarmut wird Deutschland auch weiterhin darauf angewiesen sein, seinen Wohlstand über den "Verkauf" herausragender Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu sichern. Und die Aussichten dafür sind durchaus gut, wenn die erwiesenen Stärken beibehalten und die ausgemachten Defizite verringert werden.
Zu den Stärken gehört, dass nicht nur in den öffentlich finanzierten Hochschulen und in der privat finanzierten Industrie, sondern auch in den vielen Wissenschaftsorganisatoren und Instituten, die sowohl von staatlichen als auch privaten Mitteln leben, hervorragende Arbeit geleistet wird. Reformer sind daher gut beraten, diese gewachsene institutionelle Vielfalt zu pflegen und auszubauen, anstatt der Versuchung zu erliegen, etwa den international üblichen akademischen Einheitsbrei anzurühren. Grünberg jedenfalls gehört nicht nur zur internationalen Forscherelite, sondern ist zugleich auch ein idealtypischer Vertreter des fest angestellten akademischen Mittelbaus - einer hierzulande durchaus bedrohten Forscher-Spezies.
Unterfinanzierung und staatliche Gängelung haben dazu geführt, dass beim Ranking der 500 weltweit besten Universitäten auf den ersten 25 Plätzen 18 amerikanische, vier englische und je eine japanische, kanadische und Schweizer Hochschule liegen. Die erste deutsche Universität erscheint auf Rang 48. An den deutschen Massenuniversitäten kommen inzwischen 52 Studenten auf einen Professor. Nicht gerade ein vielversprechendes Biotop für das Heranwachsen künftige Nobelpreisträger.
Bei all dem Jubel über die aktuelle Preisvergabe darf nicht verdrängt werden, dass einige wenige geniale Köpfe diese Schieflage auf Dauer nicht werden ausgleichen können. Die Bundesregierung - immerhin unter der Leitung einer Physikerin - hat die Not der Zeit erkannt und will die "Exzellenz" einzelner Fakultäten oder ganzer Universitäten fördern. Der Forschungsetat wird bis 2010 auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) angehoben. Noch liegen die Ausgaben für die Hochschulen hierzulande bei 1,2 Prozent des BIP, womit Deutschland weltweit den 15. Platz belegt. Die USA und Kanada etwa geben mehr als das Doppelte für die Hochschulforschung und die Ausbildung ihres wissenschaftlichen Nachwuchses aus, die skandinavischen Länder immerhin etwa anderthalbmal so viel wie Deutschland.
Die Zeit drängt: Der Unterrichtsausfall an deutschen Schulen ist insbesondere in den Fächern Physik und Chemie eklatant. Und die Zahl junger Menschen, die noch Physik oder Mathematik studieren wollen, nimmt beständig ab. Deutschland, aber auch anderen EU-Staaten, droht in absehbarer Zeit ein Mangel an Naturwissenschaftlern. Noch hat der Exportweltmeister das Potenzial, mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die Forschung von heute die Arbeitsplätze von morgen sichert - und dem Land vielleicht noch so manchen Nobelpreisträger beschert.