DIKTATUREN
Europas Politik für die Menschenrechte lässt derzeit keine klare Richtung erkennen. Wenn Problem-Regime einen Gefallen anbieten, taut die EU eingefrorene Beziehungen schnell auf.
Eigentlich wäre es ein günstiger Zeitpunkt für Europa, um sich eine neue Politik für die Beziehungen zu diktatorischen Machthabern in aller Welt auszudenken. Denn: Die USA, Russland und China halten sich im Umgang mit Problem-Regimen zurück, da sie selbst keine reine Weste haben oder wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen.
Die Herausforderung, sich als weltweiter Verfechter der eigenen Ideale von Freiheit, Demokratie und Wohlstand für alle zu profilieren, nimmt die EU jedoch nicht an. Europas Menschenrechtspolitik lässt keinen klaren Kurs erkennen. Sanktionen gegen das Regime in Usbekistan etwa hat die EU jüngst abgeschwächt, obwohl sich die Lage im Land nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen sogar verschlechtert hat.
Gut zwei Jahre nach dem Massaker an regierungskritischen Demonstranten in der Provinzhauptstadt Andischan einigten sich die EU-Außenminister vergangene Woche bei ihrem Treffen in Luxemburg darauf, das gegen acht Mitglieder der usbekischen Führung verhängte Einreiseverbot in die EU probeweise für sechs Monate auszusetzen.
Als Gegenleistung erwartet die EU von Taschkent, dass inhaftierte Menschenrechtler frei gelassen werden. Zudem sollen Menschenrechtsorganisationen ungehindert in Usbekistan arbeiten dürfen und das Rote Kreuz müsse Zugang zu den usbekischen Gefängnissen bekommen. Vom Aufklären der Andischaner Gewalttat jedoch ist keine Rede mehr. Ursprünglich hatte die EU eine internationale Untersuchungskommission gefordert, die sich mit den blutigen Ereignissen im Oktober 2005 befassen sollte. Taschkent sperrte sich dagegen.
Für das Abschwächen der Sanktionen gegen Usbekistan hatte sich vor allem Deutschland stark gemacht. Das Land ist nicht nur reich an Energieressourcen, die Bundeswehr nutzt auch einen usbekischen Flughafen als Stützpunkt für die NATO-Operation in Afghanistan.
Um die EU milder zu stimmen, müssen politische Häftlinge nicht erst frei gelassen werden, es reicht auch "positive Andeutungen" zur Dialogbereitschaft zu machen, wie EU-Offizielle die Haltung des usbekischen Regimes beschrieben. "Niemand von uns macht sich Illusionen über die Lage im Land", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Allerdings bedürfe es einer "konditionierten Annäherung, um zu realen Fortschritten zu kommen". In der Beziehung zu Simbabwes despotischem Herrscher Robert Mugabe dürfte es ebenfalls die EU sein, die den ersten Schritt machen wird. Anfang Dezember soll ein EU-Afrika-Gipfel in Lissabon stattfinden - der erste seit sieben Jahren. Bisherige Treffen scheiterten an einem 2002 gegen Mugabe und seine Regierung verhängten Einreiseverbot nach Europa. Angesichts wachsender chinesischer Investitionen aber sorgt sich die EU, dass sie ihren Einfluss in dem an Energieressourcen und jungen Arbeitskräften reichen Kontinent zu verlieren droht.
Doch Gordon Brown, ausgerechnet Premierminister von Simbabwes einstiger Kolonialmacht Großbritannien, tanzt aus der Reihe. Er will den Gipfel boykottieren, sofern die EU Mugabe einlädt. Afrikanische Staaten haben mit Gegenboykott gedroht, wenn Mugabe nicht mit am Tisch sitzt.
Fest dazu entschlossen, den Gipfel nicht scheitern zu lassen, sucht die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft nun nach einem diplomatischen Trick 17. Derweil sperrt sich Deutschland gegen Browns Idee, vor dem Gipfel einen europäischen Sondergesandten nach Simbabwe zu schicken, um die Menschenrechtslage zu bewerten. Sich zu neuen Sanktionen gegen so genannte Schurken-Staaten durchzuringen oder bestehende Strafen konsequent aufrechtzuerhalten, fällt der EU leichter, wenn eigene Interessen nur wenig berührt sind.
So im Fall Birma, dem heutigen Myanmar. Mit einem neuen Importstopp für Edelhölzer, Edelsteine und Edelmetalle sowie einem Investitionsverbot für europäische Firmen in diesen Bereichen will die EU die Militärjunta Birmas für das blutige Niederschlagen friedlicher Demonstrationen im September strafen. Die EU-Sanktionen sollen die Generäle unmittelbar treffen, weil diese sich direkt und in großem Umfang an Edel-Exporten bereichern.
Doch nur knapp drei Prozent aller birmesischen Exporte gehen in europäische Länder; alles andere verkauft die Regierung an asiatische Nachbarn. Lukrative Birma-Geschäfte wie das des französischen Energieriesen Total sind von den EU-Sanktionen ohnehin ausgenommen.
Menschenrechtler werfen der EU vor, dass sie eine unentschlossene und die eigenen Prinzipien vernachlässigende Menschenrechtspolitik betreibe. Die EU verspiele ihre Einflussmöglichkeiten, da sie stets den kleinsten gemeinsamen Nenner suche, sagt zum Beispiel Human Rights Watch. Dabei setzten sich die Regierungen durch, die vor allem an EU-internem Konsens interessiert seien und damit die Befürworter schärferer Schritte ausbremsten.
Zu dieser Kritik passt, dass der französische Außenminister Bernard Kouchner seine Kollegen nicht überzeugen konnte, im Atomstreit mit Iran einen eigenen, härteren EU-Kurs zu fahren. Zwar sollen neue Sanktionen geprüft werden, von einem Vorpreschen der EU war nach dem Luxemburger Treffen jedoch nicht die Rede.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich zwar für eine neue Runde von Sanktionen ausgesprochen, sollte Teheran in den kommenden Wochen nicht einlenken. Doch die Sicherheitsratsmitglieder Russland und China warnen davor, den Druck auf den Iran zu erhöhen. Und ein entschlossener Alleingang der EU ohne einen Beschluss im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gilt als ausgeschlossen. Geschäfte mit dem Iran machen nicht nur die USA, sondern auch Unternehmen in EU-Staaten, darunter in Deutschland und Frankreich.
Wenn Problem-Regime den Europäern einen Gefallen tun, taut die EU eingefrorene Beziehungen schnell auf: Keine drei Monate, nachdem Tripolis bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt freigelassen hatte, einigten sich die EU-Außenminister, wieder engere Beziehungen zu Libyen zu knüpfen. Das an Öl- und Gas-Ressourcen reiche Land spielt für Europa auch im Kampf gegen illegale Einwanderer eine wichtige Rolle.