HORST SEEHOFER
Der Bundesminister will gut informierte Konsumenten und wenige Vorschriften
Welchen Stellenwert hat für Sie der Verbraucherschutz? In Ihrem Ministeriumsnamen kommt er erst an der letzten Stelle.
Wir haben unseren Ministeriumsnamen alphabetisch geordnet. Deshalb haben alle zentralen Zuständigkeiten Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den gleichen Stellenwert.
Wie weit darf der Staat denn eingreifen, um den Verbraucher zu schützen?
Ich möchte im Verbraucherschutz dann einen starken Staat, wenn es um die Abwehr von Gesundheitsgefahren geht. In allen anderen Fragen, wo es um den vernünftigen Gebrauch von Lebensmitteln oder Bedarfsgegenständen geht, möchte ich starke Bürger, mündige Verbraucher. Das erreicht man durch Information und Aufklärung. Das ist das Grundprinzip unserer Verbraucherpolitik. Gesundheitsgefährdendes Gammelfleisch muss aus dem Verkehr gezogen werden. Die Zusammenstellung einer abwechslungsreichen Ernährung aber ist ohne die Mitwirkung mündiger Verbraucher nicht zu erreichen.
Warum steigen die Lebensmittelpreise so rasant in Deutschland? Nach Milch und Butter sind auch Quark und Käse teurer geworden.
Weil die weltweite Nachfrage nach Lebensmittelprodukten massiv gestiegen ist, weil weltweit die Landwirtschaft eine Multifunktion bekommen hat. Das heißt, der gleiche Grund und Boden wird mehrfach genutzt - für Nahrungsmittelproduktion und Energieproduktion. Zum dritten sind die allermeisten Nahrungsmittelpreise in Deutschland seit einem Vierteljahrhundert relativ stabil geblieben oder sind sogar gesunken. Diese Entwicklung konnte ja nicht endlos so weitergehen, dass Bauern für ihre Arbeit nicht einmal kostendeckende Preise wie bei der Milch bekommen.
Halten Sie die Preiserhöhungen für Milchprodukte von bis zu 50 Prozent für gerechtfertigt?
In dieser Größenordnung und parallel von mehreren Konzernen erscheinen sie mir nicht plausibel. Weil auch bei den Bauern davon am allerwenigsten bisher angekommen ist.
Müssen sich die Verbraucher darauf einstellen, dass viele Nahrungsmittel langfristig teurer werden?
Das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Was aber nicht bedeutet, dass die Belastungen für Verbraucher ständig steigen werden. Niemand kann heute genau voraussehen, wie sich die Agrarmärkte in Zukunft entwickeln. Vielleicht werden die Energiepreise sogar stabiler durch eine dezentrale Energieversorgung mit Biogas, Biokraftstoffen und Biomasse. Im Grunde befinden wir uns mitten in einer "grünen Revolution".
Was können die Konsumenten gegen steigende Lebensmittelpreise tun? Wie groß ist ihre Macht?
Der Verbraucher hat eine sehr starke Macht, vor allem im Lebensmittelbereich, weil er viele Auswahlmöglichkeiten hat. Deshalb ist der Wettbewerb und der Preiskampf im Lebensmittelbereich traditionell sehr stark. Der Verbraucher sollte preisbewusst und qualitätsorientiert einkaufen.
Welche Mittel hat die Bundesregierung, um gegen überhöhte Lebensmittelpreise vorzugehen?
Es gibt das Kartellrecht. Es ist die Aufgabe der Exekutive, zu überprüfen, ob die Wettbewerbsregeln außer Kraft gesetzt wurden, zum Beispiel durch Preisabsprachen. Ich sehe außer der Funktion des Wettbewerbs und einem preisbewussten Einkaufen keine durchgreifenden Möglichkeiten. Gott sei Dank werden in Deutschland die Marktpreise nicht durch die Politik gemacht. Im Bundestag haben derzeit wir ein Gesetz liegen mit einem Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis, um zu vermeiden, dass große Konzerne kleine Betriebe durch Dumpingpreise in die Knie zwingen. Das war eine Konsequenz aus dem Gammelfleischskandal.
Die Märkte für landwirtschaftliche Produkte sind global geworden. Welche Probleme tauchen dabei auf?
Da tobt eine sehr interessante Diskussion in Fachkreisen. Ich erlebe Veranstaltungen, da heißt es, man sollte den ärmsten Ländern auf der Welt einen leichteren Zugang zu den deutschen und europäischen Märkten eröffnen. Am gleichen Tag können Sie eine andere Diskussion erleben, oft mit den gleichen Verbänden, es sei unter Umweltgesichtspunkten nicht verantwortlich, dass wir Lebensmittel tausende Kilometer auf dieser Welt transportieren. Bei solchen Diskussionen stelle ich deshalb gern die Frage: Wie hätten Sie's denn gerne?
Einer der Schwerpunkte Ihrer Verbraucherpolitik ist ein Aktionsplan gegen Übergewicht. Wann werden die Pläne konkret?
Im Herbst. Es geht da um den vernünftigen Gebrauch unserer hochwertigen Nahrungsmittel, nicht um Hungern, und zweitens um ausreichende Bewegung. Wir arbeiten nicht mit Verboten, auch nicht mit dem ständig erhobenen Zeigefinger, sondern mit Aufklärung und Information.
Sie planen auch eine bessere Kennzeichnung der Lebensmittel. Was ist dabei genau vorgesehen?
Wir wollen mit möglichst allen Wirtschaftsbranchen eine einheitliche Kennzeichnung der Lebensmittel mit den wichtigsten Nährstoffwerten erreichen, damit die Leute eine seriöse, einfache Information darüber bekommen, wie viel Zucker, wie viele Fettsäuren und ähnliches in einem Lebensmittel enthalten sind. Das erscheint mir besser als eine komplizierte Lebensmittelkennzeichnung, die einem Medikamentenbeipackzettel gleicht, aber auch besser als eine zu einfache Ampel-Kennzeichnung mit einem roten, gelben und grünen Punkt.
Die Ampel-Kennzeichnung wird unter anderem in Großbritannien getestet. Dabei bekommen Lebensmittel mit hohen Zucker- oder Fettwerten zum Beispiel einen roten Punkt, solche mit niedrigen Werten einen grünen. Wieso lehnen Sie dies ab?
Es gibt Lebensmittel, die einen roten Punkt haben, aber für die abwechslungsreiche Ernährung im richtigen Maße notwendig sind wie zum Beispiel Zucker.
Ihre Vorgängerin Renate Künast hatte bereits den Kampf gegen Übergewicht vor allem bei Kindern aufgenommen. Was ist das Neue an Ihrem Aktionsplan?
Es geht nicht nur immer darum, etwas Neues zu erfinden. Wenn es um Verhaltensweisen der Menschen geht, werden wir nie an einem Punkt ankommen, wo wir sagen können, jetzt haben wir alles geschafft, sondern da müssen wir immer wieder gerade bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Dort wird vieles für das weitere Leben geprägt. Aber auch in der Ernährungswissenschaft gibt es immer wieder neue Erkenntnisse, die wir unter die Leute bringen müssen. Deshalb ist es wie so oft im Leben, dass man etwas tun muss, ohne dass man sagen könnte, an der Vergangenheit ist Kritik zu üben. Man muss ständig etwas tun, jede Regierung.
Haben Sie einen eigenen Tipp für gesunde Ernährung?
Alles, was vom Acker kommt, ist gesund, wie Brot und Salat. Wenn man sich abwechslungsreich ernährt, ist auch Fleisch recht nahrhaft und gesund. Wenn man sich drittens noch bewegt, dann hat man eine lange Lebenserwartung. Früher, nach dem Zweiten Weltkrieg, hatten wir zu wenig zu essen und genug Bewegung. Heute haben wir genug zu essen und zu wenig Bewegung. Diesen Konflikt im Alltag zu beachten, fördert das Wohlbefinden und die Lebenserwartung.
Worauf sollten Kinder besonders achten bei der Ernährung?
Auf einen weitgehenden Verzicht auf Fast Food. Sie sollten auf Obst, Brot und gesunde Schulverpflegung achten. Aber es darf zwischendurch auch mal was anderes sein.
Bio-Produkte werden zurzeit immer beliebter. Warum können die Bauern in Deutschland die große Nachfrage nicht stillen?
Im Verbraucher- und Handelsbereich gewinnt Bio zunehmend an Akzeptanz, auf der anderen Seite ist die Umstellung von konventionellem Landbau zum Bio-Landbau nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Zu Bio gehört ja mehr als nur das Etikett. Das ist nicht nur eine Denkweise, eine Lebensform, sondern auch eine Wirtschaftsform, die verlangt eine große Umstellung.
Was sind für Sie die Vorteile von Bio-Produkten? Der Öko-Landbau war ja ein Steckenpferd Ihrer Vorgängerin Künast.
Bio-Produkte sind zweifelsohne hochwertig und gesund, aber ich würde deshalb nicht den Gegensatz herstellen, dass konventionelle Produkte für die Bevölkerung nachteilig sind. Bio bedeutet, den ganzen Naturkreislauf von der Erzeugung bis zum Verbraucher möglichst umweltschonend zu gestalten. Selbstverständlich sind aber auch die konventionellen Produkte gesund und hochwertig.
Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ist in Deutschland sehr umstritten. Der Deutsche Bauernverband rät Landwirten von Anbau von Genmais ab. Warum können Sie die Bauern mit Ihrem Entwurf für ein neues Gentechnikgesetz nicht überzeugen?
Der Bauernverband behauptet, er könne deshalb nicht zur Gentechnik raten, weil wir das Haftungsrecht nicht erleichtern. Das ist eine vorgeschobene Behauptung. Der Bauernverband sollte so ehrlich sein und sagen, wir empfehlen es nicht, weil die ganz große Mehrheit der Bauern es nicht will. Die indirekte Forderung des Bauernverbands, das Haftungsrecht zu erleichtern, würde ja genau eine nachteilige Wirkung für die Bauern haben, weil dann diejenigen, die mit Gentechnik nichts zu tun haben wollen, in stärkerem Maße auf den Folgen der Auskreuzung (Anm. d. Red.: der Vermischung von konventionellen Pflanzen mit genverändertem Material) sitzen bleiben würden. Darum verstehe ich die Argumentation überhaupt nicht.
Das Bundesamt für Naturschutz hat in einer Studie mögliche Risiken für die Umwelt beschrieben. Teilen Sie die Befürchtung von Umweltverbänden, dass es zu einer schleichenden Verunreinigung von Lebensmitteln kommen kann?
Die Konsequenz des Bundesamts für Naturschutz ist ja unter anderem, dass wir wegen der möglichen Langzeitwirkungen ein Monitoring beim Genmais vorschreiben sollten. Genau das habe ich getan. Denn nur eine regelmäßige Verfolgung der Entwicklung und ein rechtzeitiger Erkenntnisgewinn kann die Frage beantworten, was es für langfristige Folgen gibt.
Das Interview führte Marc-Oliver von Riegen.