MEXIKO
Die Maismehlpreise steigen wegen des Biospritbooms
Wenn Reyna Diaz vom täglichen Gang auf den Markt nach Hause zurückkommt, dann sind die Taschen in der jüngsten Zeit ziemlich leer. 100 Peso, etwa sieben Euro, hat die 52-jährige Haushaltshilfe pro Tag zur Verfügung, um ihren Mann, die zwei Kinder und die zwei Hunde satt zu bekommen. Wie bei Millionen Mexikanern an der Armutsgrenze stehen auch bei Familie Diaz Tomaten, Bohnen, Zucker und vor allem Tortillas auf dem täglichen Speiseplan. "Heute bekomme ich für das Geld nur noch die Hälfte", klagt die Frau mit dem kurzen grauen Haar.
Denn die Preise für Grundnahrungsmittel sind in Mexiko durch Missernten, Spekulation und vor allem den Preisanstieg auf den Rohstoffmärkten in den vergangenen Monaten förmlich explodiert. Besonders hart trifft die Mexikaner der hohe Preis für das "Vitamin T", ihre Tortillas. Die handgroßen Fladen aus Maismehl und Wasser sind den Mexikanern das, was den Deutschen ihr täglich Brot ist. Gefüllt mit Bohnen, Fleisch oder Käse sind sie für eine klassische Mahlzeit unverzichtbar.
Die teuren Tortillas sind Folge des drastisch gestiegenen Weltmarktpreises für den Rohstoff Mais. Anfang 2006 kostete die Tonne in Mexiko noch umgerechnet 100 Euro, heute sind es rund 250 Euro. Hauptgrund für die Preisexplosion ist die unerwartete Hinwendung der US-Regierung zu erneuerbaren Energien. Vor allem für Biosprit wird das Korn benötigt.
In Mexiko-Stadt hatte sich das Kilo Tortilla Anfang des Jahres dadurch umgerechnet von 40 auf 75 Eurocent verteuert. Da bezahlbare Tortillas im Mutterland des Mais nahezu ein Grundrecht sind, weitete sich der gestiegene Maispreis zu einer wahrhaften "Tortilla-Krise" aus. Vor allem die rund 40 Millionen Mexikaner, die mit ein oder zwei Dollar täglich auskommen müssen, verputzen pro Tag bis zu zwei Pfund der Maisfladen. Auch Familie Diaz kommt ohne das Grundnahrungsmittel nicht aus: "Ich brauche mindestens sechs Tortillas am Tag, sonst fühle ich mich hungrig", sagt Reyna Diaz. Rund 50 Tortillas isst die Familie täglich. Bei einem Haushaltseinkommen von rund 300 Euro im Monat, macht sich der Preisanstieg schmerzhaft bemerkbar.
Was in den Vereinigten Staaten als Durchbruch in der Umwelttechnik gefeiert wird, schürt beim südlichen Nachbarn die Angst um die Ernährungssicherheit. Der bürgerliche Präsident Felipe Calderón rief Mitte Januar auf einer Art "Tortilla-Gipfel" Maisproduzenten und Maishändler zusammen und schwor sie auf einen Höchstpreis für das Kilo von 8,50 Peso (rund 60 Cent) ein. Ein dringend notwendiger Schritt. "Als die Tortillas zehn Peso das Kilo kosteten, sind uns die Leute hier aufs Dach gestiegen", sagt Armando Vela, Betreiber einer Tortilleria in der mexikanischen Hauptstadt.
Mitte August haben Regierung und Maisindustrie das Einfrieren der Tortillapreise bis zum Jahresende vereinbart. Zudem legte Calderón unter dem Namen "Meine Tortilla" ein 50-Millionen-Dollar-Programm auf, mit dem die Tortillerias im ganzen Land betriebswirtschaftlich und technisch auf Vordermann gebracht werden und so eine höhere Rendite erwirtschaften sollen.
Das Problem der hohen Maispreise und der Knappheit des Korns ist teilweise hausgemacht. Seit Mexiko 1994 mit den USA und Kanada das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA begründete, ging die heimische Maisproduktion massiv zurück. Vor Inkrafttreten der NAFTA deckten die Mexikaner ihren Bedarf an dem Korn im wesentlichen selbst. Seitdem aber liefern die Vereinigten Staaten subventionierten Mais an den Nachbarn, was rasch zu einem Verfall der Preise von bis zu 70 Prozent in Mexiko führte und tausende Bauern zwang, ihre Scholle aufzugeben. Inzwischen muss das Geburtsland des Mais jährlich 7,5 Millionen Tonnen des Korns im Ausland kaufen und ist so zum weltweit drittgrößten Mais-Importeur geworden. Insgesamt ein Drittel des nationalen Bedarfs muss Mexiko im Ausland decken.
2008 nun fallen im Rahmen der NAFTA die letzten Beschränkungen für Mais, Bohnen, Zucker und Milchpulver. Dann werden noch mehr Bauern aufhören, weil sie vom Verkauf ihrer Produktion nicht mehr leben können. Daher fordern Landwirtschaftsverbände, den Maisanbau nach Mexiko zurückzuholen. Das Korn ist in dem lateinamerikanischen Land sehr viel mehr als der Bestandteil des täglichen Speiseplans. Mais ist Geschichte, Kultur, Wurzel und Stolz Mexikos. Doch in Zeiten der Globalisierung gibt es für Traditionen keinen Platz, und so sind die Aussichten für günstige Maispreise trüb. Die USA wollen das Angebot alternativer Treibstoffe deutlich erhöhen. Schon jetzt erzeugen über einhundert Fabriken 18 Milliarden Liter Ethanol. Weitere 60 Fabriken sind in Bau und sollen bald noch mehr Biosprit liefern. Für Reyna Diaz eine Horrorvorstellung: "Ich muss manchmal schon die knappen Ersparnisse angreifen, um meine Familie satt zu bekommen", sagt sie.