VZBV
Deutschlands oberster Verbraucherschützer Gerd Billen setzt sich für mündige Konsumenten ein
Zur Zeit werden Sie häufig gebeten, diese oder jene Teuerung zu kommentieren. Braucht es jedes Mal den obersten Verbraucherschützer, um Preisschübe zu erklären?
Wir erleben zurzeit, dass der einzelne Konsument überfordert ist, Preiserhöhungen einzuordnen - und zwar weil er schlicht im Unklaren über die Hintergründe gelassen wird. Die Informationen, die Verbraucher bekommen, sind widersprüchlich, intransparent und unzureichend. Und: Es gibt immense Unterschiede in der Berechtigung von Preiserhöhungen.
Zum Beispiel?
Die viel diskutierte Verteuerung von Molkereiprodukten leuchtet bei genauerem Hinsehen ein: Zum einen ist Nachfrage nach Milch auf dem Weltmarkt gestiegen, zum anderen haben die Bauern jetzt die Chance, einen angemessenen Preis für ihre Arbeit zu verlangen. Dass sich die Konditionen für die jahrelang unterbezahlten Milch-Landwirte verbessert haben, ist zu begrüßen. Bei anderen Produkten, zum Beispiel beim Getreide, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es werde ein regelrechtes Preiserhöhungsklima erzeugt, in dessen Fahrwasser nun alle mitschwimmen. Vieles riecht nach Preisabsprachen.
Früher beschränkte sich die Rolle der Verbraucherschützer darauf, die günstigsten Angebote herauszusuchen. Sie plädieren dafür, dass der Verbraucher nicht nur billig, sondern auch fair einkauft?
Ja. Ich halte es für zentral, dass wir uns Gedanken machen, wie das, was wir uns zulegen, produziert wurde. Ob es der Milchbauer, der Postbote oder die Näherin ist: Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können, in Deutschland wie in anderen Ländern. Diesen Anspruch sollten wir nicht dem Preiskampf in der globalisierten Welt unterordnen - und jeder Einzelne hat es jeden Tag in der Hand, mit seiner Kaufentscheidung Dinge zum Positiven wie zum Negativen zu beeinflussen. Auch um bewusst einkaufen zu können, braucht es allerdings Informationen.
Wie wollen Sie Transparenz erreichen?
Zum einen braucht es Appelle, aber auch Druck auf den Handel, die Preispolitik deutlicher zu machen. In Ansätzen tut sich bereits etwas: Dass der Discounter Aldi neulich in einer ganzseitigen Anzeige in deutschen Tageszeitungen die Gründe für Preiserhöhungen erläutert hat, ist ein bemerkenswerter Schritt in die richtige Richtung. Wünschenswert wären zahlreiche weitere Angaben: darüber, wie und wo und von wem dieses oder jenes produziert wurde und ob die Lieferanten Sozialstandards einhalten zum Beispiel. Ich plädiere dafür, Verbraucher so zu behandeln wie Analysten im Wirtschaftsverkehr: als wichtige Abnehmer, die für ihre Kaufentscheidung viele Informationen benötigen.
Warum sollten Hersteller diese Angaben freiwillig preisgeben?
In meiner Zeit als Leiter des Umweltbereichs bei einem international tätigen Versandhaus habe ich gelernt wie sensibel Unternehmen reagieren, wenn sie in den Ruf geraten, Umwelt- oder Sozialstandards zu verletzen. Man muss da zwischen zwei Richtungen unterscheiden: Auf der einen Seite gibt es nicht übermäßig viele, aber immer mehr Unternehmen, die sich mit der Einhaltung von Sozialstandards und fairem Handel profilieren wollen. Auf der anderen Seite steht bereits heute eine große Mehrheit von Firmen, die das Risiko der Reputationsschädigung vermeiden wollen. Insgesamt wären Unternehmen gut beraten, freiwillig eine offensive Informationspolitik zu betreiben. Parallel dazu müssen wir über gesetzliche Lösungen reden. So ist es dringend geboten, das in Kürze in Kraft tretende Verbraucherinformationsgesetz durch eine Auskunftspflicht auch für Unternehmen zu erweitern. Zudem muss das Gesetz für alle Produkte und Dienstleistungen gelten, wenn es ein effektives Instrument für einen umfassenden Qualitätswettbewerb sein soll.
Gibt es den mündigen Verbraucher, der vor jedem Kauf nicht nur Preise, sondern auch Produktionsstandards vergleichen möchte, überhaupt in nennenswerter Zahl?
Ich bin fest davon überzeugt - und es werden immer mehr. Sehen Sie sich nur den Boom der Bio-Märkte und -produkte an! Seit den Landwirtschaftsskandalen der 90er-Jahre ist aus einer Nischenbranche ein bedeutsames Marktsegment geworden - das von Millionen Menschen in Deutschland genutzt wird. Ein weiteres positives Beispiel, dass Verbraucher bereit sind, für ein Mehr an Qualität auch mehr zu zahlen, ist die Eierkennzeichnung. Seit jeder weiß "Kein Ei mit der Drei" sind Eier aus der Legebatterie Ladenhüter.
Ist der Kauf ökologischer Produkte nicht eine rein egoistische Entscheidung - nach dem Motto: Ich will, dass ich und meine Familie gesund essen und dann lange leben.
Die einem Einkauf zugrunde liegenden Motive sind immer egoistisch: Auch der Kauf fair gehandelter Waren hat damit zu tun, etwas Gutes tun zu wollen. Man will nicht nur Menschen helfen - sondern auch das Gefühl haben, helfen zu können. Dagegen spricht auch überhaupt nichts. Entscheidend ist, dass immer mehr Verbraucher ein Bewusstsein an den Tag legen, das über schlichte Preisorientierung hinausgeht.
In der Biobranche erleben wir aber auch, dass ökologischer Anbau und ökologischer Handel nicht unbedingt dasselbe sind: Bio-Fisch aus Japan etwa spricht dem Gedanken der Umweltverträglichkeit Hohn.
Das ist richtig. Auch hier brauchen wir dringend mehr Informationen - selbst im Biosupermarkt sind vielen Verbrauchern die Transportwege gar nicht bewusst. Auch die Frage, ob weit gereiste Lebensmittel überhaupt das Label "Bio" verdienen, muss geklärt werden. Die Schaffung von Transparenz ist auch hier Voraussetzung für Überprüfung.
Gibt es dafür internationale Vorbilder?
Die USA sind recht weit darin, zu verdeutlichen, welchen Weg Produkte genommen haben. Innerhalb Europas ist Dänemark ein positives Beispiel: Hier werden die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrolle im Supermarkt ausgehangen. Ein groß angelegtes "Auskunftsbegehren", welches Gemüse wie stark belastet ist oder welcher Anbieter zu wenig in seine Verpackungen füllt, erübrigt sich dort.