KONSUMENTENMACHT
Wir können mitentscheiden, was Konzerne herstellen. Indem wir kaufen oder nicht. Drei Thesen, warum unser Einfluss trotzdem nicht so groß ist wie erhofft.
Im Jahr 2004, als aus dem Geiz verherrlichenden Werbeslogan eines Elektronikkaufhauses das Schlagwort zur Konsumhaltung in Deutschland geworden war, senkten die großen Discounter ihre Milchpreise unter den Einkaufspreis. Die Bauern waren aufgebracht, einige blockierten Lidl- und Aldi-Märkte, doch die meisten resignierten bald. "Die Leute kaufen doch eh das Billigste", sagten sie.
Nur einer dachte anders: Josef Jacobi, Biobauer im Sauerland und Gründer einer bauerneigenen Molkerei. Er glaubte an die Vernunft der Konsumenten. "Wenn wir Vollkosten von 40 Cent für einen Liter Biomilch haben, dann brauchen wir 40 Cent", beharrte er. "Sonst kann die nächste Generation den Hof nicht weiterführen." Und er beschloss, die Verbraucher direkt anzusprechen. So entwickelte die Upländer Bauernmolkerei die "Erzeuger-fair-Milch". Die Supermärkte informierten ihre Kunden, dass die Milch fünf Cent teurer wird und dass die direkt an die Bauern weitergereicht werden.
Das Ergebnis dürfte alle Geiz-ist-geil-Fatalisten überrascht haben: Der Absatz der verteuerten Milch stieg um bis zu 30 Prozent. "Wenn man dem Konsumenten sagt, warum er mehr zahlen soll und was er dafür bekommt, ist er dazu bereit", schloss Josef Jacobi. "Er muss nur den Sinn erkennen."
Drei Jahre später erklärte ein Manager des Fleischwerks Tönnies auf einer Tagung, dass seine Kunden vorrangig nach dem Preis kauften. "Viele Qualitätsprogramme, die einen Mehrwert darstellten, sind wieder vom Markt verschwunden, weil der Preis letztendlich das alles bestimmende Kriterium ist", sagte Wilhelm Jäger. Tönnies - wegen Ausbeutung von osteuropäischen Arbeitern in der Kritik - gehört zu den Größten der Fleischbranche in Deutschland.
Schon vor dem Bio-Boom der vergangenen beiden Jahre hätten die Tönnies-Manager wissen können, dass das nicht stimmt. Zwei Marketingfachleute der Universität Göttingen hatten bei einer Umfrage unter Kunden der Kette "Edeka" herausgefunden, dass "25 Prozent der befragten Kunden eine atypische Preis-Absatz-Funktion aufweisen, das heißt aus Risikoüberlegungen heraus im Zweifelsfall lieber das etwas teurere Fleischprodukt kaufen." Die Wissenschaftler konstatierten nüchtern eine verpasste Chance: "Diese Preisbereitschaft wird derzeit von der Branche nicht abgeschöpft." Das Marketing von Unternehmen wie Tönnies, Westfleisch oder Vion, das vornehmlich auf Kostenführerschaft ausgerichtet sei, halten sie für "unternehmenspolitisch durchaus riskant, da in einer Branche dauerhaft nur ein Unternehmer Kostenführer sein kann und ein ruinöser Verdrängungswettbewerb droht". Das zwingt die Bauern, immer mehr Schweine für immer weniger Geld zu mästen, und es zwingt all die Kunden, die kein Geld für den Bioladen haben, Fleisch von gequälten Tieren zu kaufen, das von schlecht bezahlten Schlachtern zerlegt wurde.
Haben die Konsumenten nun die Macht, daran etwas zu ändern? Und warum haben sie die Macht nicht längst ergriffen? Theoretisch ist die Macht der Konsumenten unbegrenzt. Nur was sie kaufen, wird produziert. Und umgekehrt: Was sie nicht kaufen, wird nicht produziert. Auf verändertes Kaufverhalten reagieren Unternehmen schneller als auf Gesetzesentwürfe. Und in einer Zeit, in der sich die Politik immer schwerer tut, die wirtschaftliche Globalisierung zu steuern, muss der Konsument einspringen. Er muss Einkaufen als politischen Akt verstehen.
Der Soziologe Ulrich Beck, der Entdecker der Risikogesellschaft, bezeichnet den politischen Konsumenten als Gegenmacht der globalen Zivilgesellschaft - als eine "bislang kaum entfaltete Gegenmacht" allerdings. Ulrich Beck glaubt: Der schlafende Riese Konsument kann - richtig organisiert - erwachen und den Kaufakt in eine Abstimmung über die weltpolitische Rolle der Konzerne verwandeln. Seine Waffe? Nicht kaufen. Oder: etwas Anderes kaufen.
Das funktioniert, sobald viele mitmachen. Der Anfang aber ist schwierig - solange nämlich die Konsumenten nicht an ihre Macht glauben. Dass es damit so langsam voran geht, hat drei entscheidende Gründe: Erstens verhindert die mentale Trägheit beim Einkaufen kritisches Nachfragen und das Boykottieren fragwürdiger Produkte. Neben dem schlichten Einholen von benötigten Dingen hat sich das Shoppen gehen als eine Art Freizeitbeschäftigung zur Befriedigung regressiver Bedürfnisse etabliert. Beim Habenwollen und Genießenwollen aber will man nicht nachdenken.
Das wird - zweitens - durch den gigantischen Einfluss der Werbung verstärkt. 29 Milliarden Euro geben Unternehmen allein in Deutschland für Werbung aus, die unsere Aufmerksamkeit auf das lenkt, was die Unternehmen uns zeigen möchten - und das sind weder die Lebensbedingungen der Mastschweine und Hennen in deutschen Ställen noch die globalen ökologischen Konsequenzen. Der Etat kritischer Kampag- nen und Buchautoren, die auf die negativen Folgen unseres Konsums hinweisen, ist um ein Vieltausendfaches geringer. Der dritte Grund, der den politischen Konsumenten bremst und an der Entfaltung seiner Macht hindert, sind fehlende Gesetze. Es gibt eine Reihe einfacher Möglichkeiten, wie man den politischen Konsumenten in die Lage versetzen kann, ohne umständliche eigene Recherche Waren mit der besten moralischen und ökologischen Qualität zu kaufen. So müssten die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen grundsätzlich offengelegt werden - das sieht das neue sogenannte Verbraucherinformationsgesetz nämlich nicht vor. Ebenso müssten Produktwarnungen des Bundesinstituts für Risikobewertung direkt auf den betroffenenen Produkten stehen - wie auf den Zigarettenschachteln. Und Hinweise über Energieverbrauch und Inhaltsstoffe müssten verpflichtend sein. Wenn ein Unternehmen im Ausland produzieren lässt und seine Auftragnehmer dort nicht von externen Arbeitsrechts-Spezialisten überwachen lässt, müsste auf den Produkten die Warnung stehen: Kann Kinderarbeit enthalten.
Solche Gesetze würden es dem Konsumenten stark erleichtern, sich zwischen Geiz und Verantwortung zu entscheiden. Das würde den politischen Konsum als Gegenmacht entfalten und endlich einen Wettbewerb um die besten Produkte und Herstellungsweisen in Gang setzen.