HARTZ IV
Mit sehr viel Rechnen und einem guten Wissen über Essen können sich auch Menschen mit wenig Geld gut ernähren. Doch bei Kindern wird es schwierig.
59 Cent für eine Dose eingelegtes Fischfilet. Muss es denn so teuer sein? Barbara Neujahr wiegt die Konserve bedächtig in ihrer Hand, der Blick gleitet unsicher über das lange Supermarkt-Regal. Zögern. Schließlich wandert die Dose in den Korb und die kleine Frau schiebt langsam ihren Einkaufswagen weiter. Dann bleibt sie unvermittelt stehen, dreht sich um und legt die Fischkonserve zurück ins Regal. Im Kopf ist sie die Preise der anderen Discounter durchgegangen. Im Laden nebenan ist die Dose 20 Cent billiger. Das ist viel Geld.
Barbara Neujahr ist eine von 630.000 Grundsicherungs-Empfängerinnen und -Empfängern in Deutschland. Als Epileptikerin ist die gerade 50-Jährige dauerhaft erwerbsunfähig und fällt somit unter die Grundsicherung, eine Sparte der Sozialhilfe. Mit einem Sockelbetrag von 347 Euro unterstützt sie der Staat monatlich, hinzu kommen bedarfsgerechte Zuwendungen wie Miete, Heizung oder Betriebskosten. Am Schluss bleiben ungefähr 150 Euro im Monat für Lebensmittel. Nur mit einem Achselzucken kann sie da die Worte von Ernährungs-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer kommentieren, jeder habe die Möglichkeit, sich gesunde Lebensmittel zu leisten.
So einfach, wie das klingt, ist es für Barbara Neujahr nicht. Ihr Budget beträgt etwa 5 Euro täglich. 15 Euro hat sie heute im Portemonaie, für Obst, Gemüse, Mehl, Olivenöl und Waschmittel. Das halbe Kilo rote Paprika, mit dem sie im Supermarkt liebäugelt, ist aber mit 1,79 Euro zu teuer. Stattdessen nimmt sie Kohlrabi, Gurke und Radieschen mit. Zusammengerechnet bezahlt sie dafür etwa einen Euro.
An den Bio-Lebensmitteln geht sie schnell vorbei: "Das ist für mich unerschwinglich." Die Frau mit den hellen, freundlichen Augen begnügt sich lieber mit Blumenkohl und Reis aus der Billig-Ecke. Daraus lässt sich auch etwas Vitaminreiches kochen, ein Eintopf etwa. Leicht findet sie es aber nicht, sich gesunde Ernährung mit ihrem Budget zu finanzieren. "Ich kann nicht in erster Linie auf Vitamine und gute Inhaltsstoffe schauen, sondern muss auf die Preise achten", sagte Barbara Neujahr. Trotzdem schafft sie es, sich mit genauer Kalkulation der Kosten ausgewogen zu ernähren.
Saisongemüse, heimische Produkte und wenig Fleisch - die Spartipps, die Barbara Neujahr beherzigt, gibt auch die Verbraucherzentrale Bayern. Denn, so Ernährungsberaterin Susanne Moritz, gesunde Ernährung mit wenig Geld sei auf alle Fälle möglich. Auch beim Discounter sei die Qualität der Nahrungsmittel in der Regel gut. "Man muss sich beim Einkauf nur besser auskennen und wissen, wo man Geld sparen kann", erklärt die Ernährungsberaterin weiter. Ein Grundwissen über gesunde Ernährung und die Zeit, sich umzuschauen, seien allerdings nötig.
Einzige Ausnahme: Kinder und Jugendliche zwischen vier und 18 Jahren. Sie brauchen mehr Nährstoffe als andere Menschen. Da wird der Einkauf teurer. Nach einer Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) in Dortmund reicht die Regelleistung des Arbeitslosengeld II, die für Kinder und Jugendliche veranschlagt wird, nur bis zu einem Alter von maximal sechs Jahren aus, um die Kosten für eine "Optimierte Mischkost" zu decken. Und das auch nur, wenn die Eltern zum Einkaufen ausschließlich in den Discounter gehen. Nach dem Konzept der "Optimierten Mischkost" essen Kinder täglich viel Obst und Gemüse, aber wenig Fleisch und Eier. Auch die Kalorienzahl ist festgelegt: 13-jährige Jungen zum Beispiel sollen 2.700 Kalorien zu sich nehmen, mit 15 steigt ihr Bedarf auf 3.100. Das Konzept ist nach den aktuellen Kenntnissen über gesunde Nahrung ausgerichtet, so das FKE. Für eine ausgewogene Ernährung seien weder Bio-Lebensmittel noch speziell auf Kinder ausgerichtete Nahrung notwendig, sagen die Forscher. Die Wissenschaftler haben berechnet, dass einem Kind von zehn Jahren, das eine Regelleistung von 208,20 Euro im Monat erhält, pro Tag gut zwei Euro fehlen, um es nach Plan zu ernähren. Einem 13-jährigen, der 277,60 Euro bekommt, fehlten immer noch 1,86 Euro.
Doch auch die allein lebende Barbara Neujahr ist auf Hilfe angewiesen. Ohne die "Regensburger Tafel" könnte sie sich die ausgewogene Ernährung nicht leisten, wie sie Seehofer für alle Bürger anpeilt. Einmal die Woche kann sie sich bei der gemeinnützigen Organisation, die Lebensmittelspenden von örtlichen Geschäften einsammelt und an Bedürftige verteilt, eine Einkaufstüte voll gepackt mit Brot, Milchprodukten, Obst, Gemüse und manchmal auch Fleisch oder Fisch abholen; je nach dem, was bei den Supermärkten übrig bleibt. Hartz IV und ausgewogenes Essen sind eben nicht so einfach zu vereinen.