SÜDAFRIKA
Das Land hat sich dem Markt geöffnet und Subventionen abgebaut. Die Gewinner heißen USA und EU.
Temba Mgxashe ist ein Veteran unter den Kleinbauern am Kap. Seit fast 40 Jahren betreibt der alte Mann, der auf den sandigen Ebenen vor den Toren von Kapstadt lebt, einen kleinen Stand, an dem er Obst und Gemüse aus eigener Produktion verkauft. Mgxashe weiß wenig davon, wie der internationale Handel funktioniert. Aber er kennt die Regeln der freien Marktwirtschaft: Jeden Morgen erntet er auf dem kleinen Feld hinter seiner Hütte ein paar Tomaten, Möhren oder Zwiebeln und verkauft sie an der Bahnstation um die Ecke. Der Gewinn ist bescheiden, die Konkurrenz hart. Der Markt bestimmt das Geschäft. "Manchmal haben fast alle Händler Tomaten, dann sinkt der Preis. An anderen Tagen sind Tomaten oder Möhren rar, dann verkaufe ich sie teurer", sagt er. Alles scheint so einfach: Sinkt das Angebot, steigt der Preis - und umgekehrt. Problem gelöst.
Schön wär?s. Vor allem bei den Agrarprodukten haben die Industrieländer genau diesen natürlichen Marktmechanismus längst außer Kraft gesetzt. Beispiel Baumwolle: Die 25.000 nordamerikanischen Cottonfarmer zählen zu den ineffizientesten der Welt. Bei den gegenwärtigen Weltmarktpreisen müssten sie eigentlich bankrott gehen. Doch genau das verhindert ein US-Agrargesetz, das besagt: je niedriger der Preis, desto höher die Subvention. Zuschüsse gibt es absurderweise immer dann, wenn in einem Agrarsektor Überproduktion herrscht. Drei bis vier Milliarden Dollar schenkt die US-Regierung auf diese Weise Jahr für Jahr allein ihren Baumwollfarmern. Das Vierfache von dem, was die "entwickelte Welt" den armen Ländern an Agrarhilfe überweist.
Gleichzeitig verhindert die US-Überproduktion, dass das Angebot an Baumwolle auf dem Weltmarkt sinkt. Entsprechend niedrig bleibt der Preis. Am Ende gehen nicht die ineffizienten Farmer in den USA, sondern die Kleinbauern in Afrika pleite. Verlierer des ungleichen Welthandels sind oft ausgerechnet jene armen Länder, die den Forderungen der Welthandelsorganisation (WTO) am stärksten folgen und ihre Märkte besonders schnell und weitgehend liberalisieren.
Beispiel Südafrika: In einer Studie des National Marketing Councils von 2006 heißt es, das Land sei nach der Öffnung seiner Agrarmärkte und dem Abbau fast aller Subventionen eigentlich nur im Wein- und Fruchtsektor international konkurrenzfähig. Neben den schlechteren Böden liegt der Hauptgrund darin, dass gerade bei Zucker und Mais die Märkte seiner Hauptabnehmer im Westen durch die dort gezahlten Subventionen noch immer geschützt sind.
Südafrika drängt deshalb auf einen zügigen Abbau der künstlichen Beihilfen. Während das staatliche Subventionsniveau am Kap bei fünf Prozent der von seinen Farmern erzielten Gesamteinnahmen liegt, beläuft es sich in den Staaten der 30 größten Industrienationen (OECD) auf durchschnittlich 31 Prozent, in Japan sogar auf über 50 Prozent. Nach Ansicht der Studie arbeiten Südafrikas Farmer erheblich marktorientierter als die Mehrheit der Bauern in Frankreich, Japan oder Großbritannien, die mit einem ausgeklügelten System von Quoten, Einfuhrsteuern, Gesundheitsvorschriften und Zollbarrieren umfassend gegen viele Agrareinfuhren aus Afrika abgeschirmt sind.
Gegenwärtig haben es die Landwirte in Europa oder den USA folglich ungleich leichter. Ihre massive Bezuschussung durch vorher fest vereinbarte Preise oder direkte Finanzspritzen hat die Entwicklungsländer immer wieder zu der Klage veranlasst, der von den Industriestaaten stets eingeforderte Freihandel sei pure Heuchelei. Auch Bundespräsident Horst Köhler hat sich gerade erst wieder dem Thema gewidmet. In seiner zweiten Berliner Rede kritisierte er Anfang Oktober die ungerechten Handelsbeziehungen zwischen Erster und Dritter Welt. "Die Industriestaaten subventionieren ihren Agrarbereich mit fast einer Milliarde Dollar - pro Tag. Den afrikanischen Staaten geben sie auch rund eine Milliarde Dollar Agrarhilfen - pro Jahr", sagte Köhler.
Die Folgen der Subventionspolitik lassen sich schon daran erahnen, dass der Agrarsektor in den meisten afrikanischen Ländern oft mehr als 50 Prozent zum Bruttosozialprodukt (BIP) beiträgt. Im Gegensatz dazu liegt sein Anteil am BIP der Industrieländer im Schnitt bei nur drei Prozent. Dabei ist gerade die Landwirtschaft einer der wenigen Bereiche, in denen Afrika womöglich mit dem Westen konkurrieren könnte.
Ganz so einfach wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Subventionsfrage jedoch nicht. Zum einen dürfte der Abbau der Subventionen zunächst einmal weniger den schwarzen Kleinbauern als den weißen Großfarmern auf der Südhalbkugel helfen. Denn die Kleinbauern erzeugen kaum Überschüsse. Daneben hat die anhaltende Abhängigkeit vieler afrikanischer Staaten von Nahrungsmittelimporten neben wirtschaftlichen auch psychologische Ursachen: Sie beruht auf der geringen Selbsteinschätzung vieler Afrikaner, die, wie einst die Menschen in Ostdeutschland, alles was aus dem Westen kommt, der eigenen Produktion vorziehen.
Gleichzeitig kann der westafrikanische Baumwollmarkt aber auch als Fallstudie dafür dienen, dass die Abschaffung der US-Subventionen und ein damit verbundener möglicher Preisaufschwung bei Baumwolle keinesfalls allen lokalen Akteuren in Afrika zum erhofften Geldsegen verhelfen wird. Dies dürften schon die gegenwärtigen politischen Zustände in vielen Teilen der Region verhindern.
Eine hohe Barriere bildet zum Beispiel die komplizierte Funktionsweise des inzwischen weitgehend privatisierten Baumwollhandels in der Region. Statt eines einzelnen staatlichen Aufkäufers gibt es nun viele unterschiedlichen Akteure im Markt, die sich ihrerseits nicht immer an die vorher vereinbarten Regeln halten und zunehmend versuchen, den Markt untereinander aufzuteilen. Mächtige Politiker versuchen zum Beispiel die kleinen Farmer dazu zu zwingen, ihre Baumwolle an Fabrikbesitzer zu liefern, die mit den Lokalfürsten unter einer Decke stecken. Die Kleinbauern stehen dem Druck oft hilflos gegenüber. Auch wenn diese Praxis noch längst nicht den gesamten Markt erfasst hat, ist die Missachtung verbindlich ausgehandelter Regeln schon deshalb ein gefährliches Signal, weil es zeigt, dass gute Beziehungen zu hohen Lokalfürsten oder gar zum Präsidenten mehr zählen als ein Rechtstitel.
Die Leidtragenden in diesem politischen Ränkespiel sind die Kleinbauern. "Nicht nur die amerikanischen Subventionen, sondern vor allem die Unzulänglichkeit der Strukturen vor Ort und die oft tief verwurzelte Korruption gehören zu den wesentlichen Problemen des westafrikanischen Baumwollmarktes", sagt Jean Francois Cavana, der für den französischen Entwicklungsdienst als Vize-Direktor in Benin arbeitet. Oft verläuft die Grenze zwischen denen, die vom System profitieren, und denen, die das nicht können, entlang des Bildungsgrades. So können in vielen Staaten Westafrikas weniger als 40 Prozent der Bürger lesen und schreiben. Hinzu kommen kulturelle Hürden: Nach Angaben von Ursula Funk, Leiterin der schweizerischen Entwicklungshilfe in der Region Benin/Niger, schrecken viele Bauern aus Angst vor dem in der Region weit verbreiteten Vodoo-Zauber davor zurück, sich gegen die Autoritäten zu wehren. Schon deshalb dürfte die Abschaffung der Subventionen für sich allein nicht zu einer raschen Verbesserung der Lebensbedingungen in den Anbaustaaten Westafrikas führen. Wichtiger ist nach Einschätzung langjähriger Experten wie Cavana vor allem ein funktionierender Rechtsstaat, die Akkumulation von mehr Kapital durch die Bauern, Bildung, ein freier Wettbewerb sowie eine grundsätzlich neue Geisteshaltung, in der sich die Bauern nicht mehr als Angestellte sondern als Unternehmer sehen.
Die Fischer im Senegal verlieren derweil ihren Lebensunterhalt, weil die Flotten der westlichen Industrieländer ihnen mit modernstem Gerät die traditionellen Fanggründe vor der Küste von Westafrika leer fischen. Verantwortlich dafür ist ebenfalls die EU, die Afrikas Regierungen die Fischereirechte abkauft. Zwölf Millionen Euro pro Jahr zahlte die EU-Kommission zwischen 2002 und 2006 allein an den Senegal. Auch wenn die EU die Fanglizenzen bezahlt - was am Ende bei den Fischern vor Ort ankommt, reicht oft nicht, um die Einkommensverluste zu kompensieren. In ihrer Not versuchen deshalb immer mehr von ihnen, mit dem illegalen Transport von Flüchtlingen nach Europa Geld zu machen. Rund 50 Immigrantenboote mit über 4000 Afrikanern an Bord wurden letztes Jahr von der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Atlantik aufgebracht - 30.000 Afrikaner schafften es aber bis Spanien.
Die EU hat zwar angeboten, ihre Exportsubventionen bis 2013 auslaufen zu lassen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Welthandelsrunde zu einem Ergebnis kommt. Und darauf deutet derzeit wenig hin.