BULGARIEN
Die Osteuropäer stellen Europas wichtigste Vertreterin für Verbraucherschutz. Der steckt in dem neuen EU-Land noch in den Kinderschuhen.
Dass der Verbraucherschutz in Bulgarien dieser Tage ein beliebtes Thema ist, verdankt er einer Person: Meglena Kuneva. Die 50-jährige Bulgarin ist seit Jahresbeginn EU-Kommissarin für Verbraucherschutz und damit "unser Mensch in Brüssel", wie man in Bulgarien stolz sagt. Die Juristin war in den jüngsten beiden Regierungen Ministerin für Europäische Angelegenheiten und EU-Chefverhandlerin, nominiert von der liberalen "Nationalen Bewegung Simeon II.", der Partei des aus dem spanischen Exil zurückgekehrten Ex-Zaren - und mittlerweile Ex-Premiers - Simeon Sakskoburggotski.
Nach Bulgariens EU-Beitritt Anfang 2007 vertritt die als seriös und glaubwürdig geltende Politikerin nun die europäischen Verbraucher. Und damit auch die bulgarischen. "Die Verantwortung für den Verbraucherschutz kann nicht nur vom Staat übernommen werden", sagte Kuneva bei einem Arbeitsbesuch in Sofia im September. Erzeuger, Händler und Verbraucher müssten gemeinsam aktiv werden.
Kein leichtes Unterfangen in Bulgarien: Der Verbraucherschutz steckt noch in den Kinderschuhen. "Der Übergang von einem zentralisierten zu einem freien Markt, gemeinsam mit der Demokratisierung der Gesellschaft stellte die Frage des Verbraucherschutzes von Waren und Dienstleistungen besonders eindringlich", erklärt Damjan Lazarov, Vorsitzender der staatlichen Kommission für Verbraucherschutz. "Das Land hatte mit Problemen zu kämpfen, die die so genannten westlichen Demokratien vor mehr als einem halben Jahrhundert durchgemacht haben und die wir in kurzer Zeit lösen mussten."
1999 wurde das erste bulgarische Verbraucherschutzgesetz verabschiedet. Bulgarien war damit das letzte osteuropäische Land mit einer spezifischen Verbraucherregelung. Das neue Gesetz, seit dem 10. Juni 2006 in Kraft, entspricht allen EU-Anforderungen und soll alle elf Verbraucherrichtlinien der EU in nationales Recht umsetzen. Es hat das Recht auf Information des Verbrauchers über Waren und Dienstleistungen erheblich gestärkt. Weiter schützt es die Konsumenten vor irreführender, unfairer und vergleichender Werbung und garantiert die Mitbestimmung der Verbraucherorganisationen am Gesetzgebungsprozess.
Die Kommission für Verbraucherschutz, angesiedelt im Wirtschafts- und Energieministerium, wacht als wichtigstes Exekutivorgan über die Wahrung der Verbraucher-Regelungen. Sie führt Inspektionen durch, überwacht die Preise von wichtigen Grundnahrungsmitteln und nimmt auch an RAPEX, dem europäischen Frühwarnsystem für gefährliche Produkte, teil. Landesweit ist die Kommission mit sechs Regionaldirektionen vertreten. Seit 2006 steht bulgarischen Konsumenten ein 24-Stunden-Telefon für Verbraucherbeschwerden zur Verfügung. Die Kommission muss den Eingaben der Verbraucher nachgehen, sie kann Strafen verhängen und Sanktionen aussprechen - und etwa Werbung oder gefährliche Produkte verbieten.
In einem Sofioter Innenstadthaus, unweit der Alexander-Nevski-Kathedrale, sitzt Bogomil Nikolov in einem Erdgeschossbüro. EU-Broschüren stapeln sich in den Regalen, an den Wänden hängen Plakate von Verbraucherkampagnen, daneben die bulgarische Fahne. Als Verbraucherschützer habe man es nicht leicht in Bulgarien, sagt er und zuckt mit den Schultern. Nikolov, 38 Jahre alt, Politologie- und Wirtschaftsabsolvent, ist Geschäftsführer der "Bulgarischen Nationalen Verbraucher-Vereinigung" (BNAP). Sie ist - neben der "Föderation der Verbraucher in Bulgarien" - die größte Verbraucherschutz-Organisation im Land.
Nikolov macht nicht die gesetzliche Lage zu schaffen. Die sei gut, die bulgarische Gesetzgebung zum Verbraucherschutz entspreche nun allen EU-Anforderungen. Was Nikolov mehr Sorgen bereitet, sind die Verbraucher selbst, deren Einstellung zum Konsum nach seinen Worten noch immer vom Sozialismus geprägt ist. "Wenn die Schuhe zerfallen, dann erwartet man von uns nicht, dass wir einen Ratschlag geben, wie der Verbraucher weiter vorgehen soll. Man erwartet, dass wir in den Laden gehen und die Sache regeln", so Nikolov. Schadenersatzklagen von Konsumenten - wie in anderen Ländern üblich - seien in Bulgarien wegen des niedrigen Vertrauens in die Justiz noch nicht verbreitet. Deshalb wolle man die Konsumenten in erster Linie besser informieren. "Wir konzentrieren unsere Arbeit vor allem auf den Moment, bevor eine Person in den Laden geht. Das ist effektiver", erklärt Nikolov.
Im Vergleich zu den westeuropäischen Verbraucherorganisaitonen verfügen die bulgarischen Konsumenten-Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über wenig Einfluss. Der Grund: Sie haben wenig Mitglieder, können daher nur geringen politischen Druck ausüben. Die BNAP etwa hat vier ständige Mitarbeiter und landesweit etwa 500 Mitglieder, die gegen einen bescheidenen Beitrag von 9 Euro jährlich auch das Konsumentenmagazin "Potrebitel" ("Verbraucher") erhalten. Das Budget der Organisation ist gering: Von 80.000 Euro Gesamtbudget kamen im vergangenen Jahr nur 4.000 Euro - weniger als fünf Prozent - vom Wirtschaftsministerium. Den Großteil ihres Budgets sichern sich die Verbraucherschützer über eigene Projekte. Für das kommende Jahr hat das Ministerium eine Erhöhung des staatlichen Anteils um 30 Prozent angekündigt - für Nikolov nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. "Das Ministerium sieht nicht ein, dass wir etwas für sie tun", kritisiert er den mangelnden Kooperationswillen der Behörden.
Derzeit wird in den bulgarischen Medien ein Thema heiß diskutiert, das in ähnlicher Form auch in Deutschland aktuell ist: Bio-Food. Das osteuropäische Land hat ein Problem mit fälschlicherweise als "ökologisch produziert" deklarierten Lebensmitteln. Zwar ist der bulgarische Markt mit insgesamt 168 Biobetrieben und einer Anbaufläche von annähernd 3.000 Hektar sehr klein, doch er wächst stetig - auch der Absatzmöglichkeiten im Ausland wegen. In Bulgarien gilt ebenso wie in anderen EU-Ländern: Wer Aufschriften wie "biologisch", "ökologisch" und "organisch" verwendet, muss bei einer von derzeit sechs Agenturen zertifiziert sein, die das bulgarische Bio-Siegel vergeben. Laut Angaben von Konsumentenschützern sind derzeit mehr als 50 gefälschte Bioprodukte auf dem Markt. Die Produktsicherheit bei so genannten ökologisch korrekten Produkten sei momentan "ein Problem", so Elisaveta Pandeva, Finanzmanagerin bei der NGO Bioselena. "Es gibt Produkte mit der Bezeichnung biologisch, die jedoch nicht den Zertifizierungsprozess absolviert haben." Nicht alle Hersteller würden die Konsumenten vorsätzlich belügen - manche benutzen die geschützten Begriffe auch aus Unwissen.
Ein knappes Jahr nach dem EU-Beitritt bereitet der europäische Markt nicht nur Freude. Auf Grund der steigenden Konkurrenz befürchten manche einen Qualitätsverlust bulgarischer Lebensmittel. Da ist zum Beispiel Boza - ein traditionelles, leicht süßliches Getränk aus fermentiertem Getreide. "Nach alter Technologie hergestellt" prangt in fetten Buchstaben auf dem Etikett der Flasche. Beim Blick aufs Kleingedruckte dann die unangenehme Überraschung: Das Boza enthält die künstlichen - und kostengünstigeren - Süßstoffe Aspartam, Sacharin und Zyklamat. Traditionell ist dieses Rezept jedenfalls nicht. Das wachsame Auge der bulgarischen Konsumenten wird künftig umso mehr gefordert sein.