ZUSATZSTOFFE
Kaum einer weiß, was in Fertigprodukten enthalten ist. Ein Plädoyer für einen aufgeklärten Verbraucher.
Jeder hat ihre bunten Packungen schon einmal im Supermarkt gesehen, viele essen sie: die Tütensuppe. Aber kaum einer weiß, was in ihr drin ist. Dabei ist sie ein fabelhaftes Beispiel dafür, wie unsere Lebensmittel durch Chemie verändert oder überhaupt erst hergestellt werden. Folgende Industrierezeptur für 250 ml "Klare Rindersuppe" macht den Einfluss von Zusatzstoffen auf unser Essen deutlich:
18,0 g Instantnudeln
18,0 g Maltodextrin
4,0 g Instant-Rindfleisch
2,0 g Fleisch-Trockenaroma
2,0 g Trockengemüse
2,0 g Salz
1,2 g MSG
0,8 g HVP
0,7 g Fettpulver
0,4 g Schaugewürze
0,1 g Suppengrün-Trockenaroma
0,02 g Inosinat
0,02 g Guanylat
Da sind zunächst die Instantnudeln. Damit die Nudeln in heißem Wasser blitzschnell weich, aber nicht lappig werden, muss der Teig einer Spezialbehandlung unterzogen werden: Triebmittel wie Kalium- und Natriumcarbonat (E 500/E 501) setzen im Teig Kohlendioxid frei. Das macht den Teig locker, was das rasche Aufquellen fördert, und führt zudem dazu, dass die Nudeln schwimmen, statt auf den Tellerboden zu sinken. So sieht es nach "mehr" aus, und man spart Nudelmasse.
Maltodextrin ist nichts anderes als vorverdaute Stärke. Sie dient in der Suppe als Füllstoff und soll dem Kunden das Gefühl vermitteln, für sein Geld tatsächlich etwas zu bekommen.
Instant-Rindfleisch ist das "Herz" der Rindfleischsuppe und sorgt für das richtige Kaugefühl. Zerkleinertes Fleisch wird in einer Brühe aus Antioxidanzien, Reaktionsaromen, Puffersalzen und Natriumbicarbonat (E 500) mariniert. All das gewährleistet Fleischkrümel, die sich monatelang halten und beim Übergießen mit heißem Wasser optisch zur "Fleischeinlage" aufquellen. Fleisch-Trockenaroma sorgt dann für den typischen Rindfleisch-Geschmack.
Das "Trockengemüse" ist explosions- oder gefriergetrocknet und trägt nichts zum Geschmack bei, sondern ist nur etwas fürs Auge; für den entsprechenden Geschmack sorgen Gemüse-Trockenaromen. Auch die bunten Gewürze haben allein optische Funktion; ein Eigengeschmack würde die Trockenaromen nur stören. Die Branche spricht denn auch von "Schaugewürzen".
MGS - dahinter verbirgt sich der Geschmacksverstärker Glutamat (E 621). In der Kochbranche wird dieser Tausendsassa gern als "Maria-Hilf" bezeichnet, denn er ist bei billigen Fertigprodukten praktisch unverzichtbar: Er intensiviert - unterstützt von Inosinat (E 630) und Guanylat (E 626)- den Geschmack der Aromazusätze und erlaubt daher den Verzicht auf teuere Rohstoffe, er übertüncht Geschmacksfehler und führt nicht zuletzt zu einem erhöhten Speichelfluss, dem Geheimnis jeden "Mehrverzehrs". Leider ist Glutamat gesundheitlich nicht unbedenklich; es kann bei empfindlichen Menschen zum sogenannten China-Restaurant-Syndrom führen und bei Schwangeren vermutlich die Placentaschranke passieren. Beim Einsatz dieses Zusatzstoffes ist also sicherlich Zurückhaltung angebracht.
Das Kürzel HVP steht für Hydrolysed Vegetable Protein. Es handelt sich um pflanzliches Eiweiß, das auf chemischem bzw. biotechnologischem Wege verändert, unter der vertrauenserweckenden Bezeichnung "Speisewürze" auftritt.
Was der Suppe noch fehlt, sind die typischen Fettaugen. Die stellen für Suppentüftler eine ganz besondere Herausforderung dar, denn das Fett darf weder zusammenkleben und ein einziges großes Fettauge bilden, noch bei langer Lagerung ranzig werden. Zudem muss es rieselfähig sein und sich im Mund bei Verzehrtemperatur cremig anfühlen. Darum wird mit großem technischen Aufwand gehärtet, umgeestert, fraktioniert, verflüssigt, gekühlt und auskristallisiert, bis das "Designer-Fettpulver" endlich in die Tüte rieselt.
Auch bei anderen Fertigprodukten wie einem Himbeerjoghurt lohnt es sich, die Inhaltsstoffe zu recherchieren. Wie ein kurzer Blick auf das Etikett verrät: "zuckerfrei", "ohne Konservierungsmittel" und "mit natürlichem Aroma". Da meint man die frischen Himbeeren doch schon auf der Zunge zu spüren. Aber: Lebensmittelrechtlich heißt "zuckerfrei" nur "ohne Saccharose (Rohrzucker)" - alle anderen Zucker, wie Milch-, Trauben-, Malz- oder Fruchtzucker, dürfen enthalten sein. Zudem kann ein Joghurt "ohne Konservierungsmittel" durchaus konservierte Fruchtstückchen enthalten - der Buchstabe des Gesetzes verlangt lediglich, dass das Konservierungsmittel nicht ausreicht, den Inhalt des gesamten Bechers zu konservieren. Und was das "natürliche Aroma" angeht - der Joghurt mag ein wenig Fruchtfleisch enthalten, damit man die typischen "Kerne" spürt, doch das Aroma stammt in der Regel nicht vom Himbeerstrauch, sondern wird aus Zedernholzspänen gewonnen. Diese enthalten eine chemische Verbindung, die intensiv nach Himbeere duftet. Zur Zeit gilt: "Natürliche Aromen" sind lebensmittelrechtlich sämtliche Aromen, die aus natürlichen Ausgangsstoffen stammen, gleich welcher Herkunft. Deshalb sind auch Aromen, die aus Schimmelpilz- oder Bakterienzellkulturen gewonnen wurden, lebensmittelrechtlich "natürliche" Aromen, gleichgültig, ob die Mikroorganismen gentechnisch verändert sind oder nicht. Die Interpretation eines ganz einfachen Lebensmitteletiketts hat eben so ihre Tücken.
Manch figurbewusster Mitmensch bevorzugt seinen Joghurt in der Light-Version. Darin ist der Zucker meistens durch einen Süßstoff wie Saccharin oder Aspartam ersetzt. Der Zusatzstoff Saccharin süßt 550 Mal stärker als Rohrzucker und ist kalorienfrei - also sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass man damit eine Menge Kalorien einspart. Die Krux ist, dass das Bauchgefühl meist anders reagiert. Es kann schon nachdenklich stimmen, dass natürliche und naturidentische Süßstoffe seit Jahrzehnten erfolgreich in der Schweinemast eingesetzt werden - bei "Sauen mit gezügeltem Appetit", so die Werbung, "erhöhen sie Gewicht und Gewinn". (Der künstliche Süßstoff Saccharin ist laut Futterverordnung nur bei Ferkeln zugelassen.) Und das funktioniert so: Spürt die Zunge "süß", reagiert die Bauchspeicheldrüse in Erwartung einer kohlenhydratreichen Mahlzeit mit der Ausschüttung von Insulin. Bleibt diese aus, baut Insulin den noch vorhandenen Blutzucker ab. Das löst bei den körpereigenen Regelzentren, die den Blutzuckerspiegel kontrollieren, Alarm aus: "Bitte sofort Nachschub, sonst droht Unterzucker!" Die Folge ist - zumindest bei weiblichen Schweinen - ein erhöhter Appetit. Und da wir Schweinen bekanntlich physiologisch so nahe stehen, dass wir selbst ihre Herzklappen übernehmen können, ist auch beim Menschen bei Zuckerersatzstoffen Vorsicht angeraten. Wissenschaftlichen Langzeitstudien zufolge helfen Saccharin und Co. Frauen nicht beim Abnehmen. Im Gegenteil, die Probandinnen, die auf Süßstoff setzten, legten langfristig an Gewicht zu. Wäre daher auf Süßstoffspendern nicht wie auf Zigarettenschachteln ein Warnhinweis angebracht à la "Süßstoff gefährdet Ihre schlanke Linie"?
Und wie steht es mit dem Fett? Fett in Light-Produkten, wie Light-Butter, wird meist durch Wasser ersetzt, aber damit es keine Pfützen gibt und die Masse stabil bleibt, benötigt die Ware Emulgatoren und Verdickungsmittel. Farbstoff und Aromen dürfen in der Regel ebenfalls nicht fehlen. Alles Zusätze, die das Normalprodukt nicht braucht. Wer Zusatzstoffe meiden will, sollte daher vor allem um Light-Produkte einen Bogen machen.
Aber machen wir uns nichts vor: Ohne Zusatzstoffe, die Stabilität, Maschinenfreundlichkeit und Geschmack des Produkts garantieren, wäre unser "modern way of life" gar nicht möglich - es gäbe kein breites Angebot an Fertiggerichten und Convenience-Produkten, die schmecken, wenig Zeit und Aufwand bei der Zubereitung erfordern, lange haltbar und gleichzeitig bezahlbar sind. Was stört, ist zum einen der oft gedankenlose Umgang mit fragwürdigen Zusatzstoffen wie Glutamat, das sich ganz legal als "Aroma", "Würze" oder "Trockenmilchextrakt" tarnt. Zum anderen ist es die Informationspolitik der Lebensmittelindustrie. Wenn die Verpackung zu klein ist für Informationen über Zusammensetzung, Zusatzstoffe und Verfahrenstechnik eines Produkts - im Internet ist Platz genug. Betriebsgeheimnisse werden damit nicht verraten. Jeder Wettbewerber weiß, wie man Tütensuppen und Joghurt herstellt. Und müssen es in der Werbung noch immer Mönche sein, die Bier brauen, Dirndl-Trägerinnen, die auf der Alm die Milch glücklicher Kühe verbuttern, oder Ritter, die um die Leberwurst fechten? Lebensmittel, vor allem Fertiggerichte, sind High-Tech-Produkte, und wenn sie anständig gemacht sind, durchaus bekömmlich. Jeder Automobilhersteller verweist stolz auf die technischen Neuerungen bei seinen Modellen. Wäre es nicht an der Zeit, dem Kunden endlich aus Großmutters Nostalgieküche zu holen und ihm zu zeigen, wie Lebensmittel heutzutage produziert werden? Irgendwann merkt er es sowieso.