GENTECHNIK
Die Novelle des Gentechnik-Gesetzes soll bald beschlossen werden. Besonders um fünf Änderungen wird gerungen.
Der Disput dauert schon Jahre. Dass er mit der von Agrarminister Horst Seehofer (CSU) vorgelegten Novelle des Gentechnikgesetzes erledigt ist, ist unwahrscheinlich. Zwar hat das Kabinett den in zwei Jahren zum Teil zäher Verhandlungen zwischen Seehofer, Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ausgehandelten Kompromiss übernommen und in den Bundestag eingebracht. Doch schon im Bundesrat brachen die alten Konfliktlinien wieder auf. Über fünf Regelungen wird intensiv gestritten: die Haftungsfrage, das öffentliche Standortregister, die Kennzeichnung "ohne Gentechnik", Erleichterungen für die Forschung und die Frage der Abstände zwischen gentechnisch veränderten und konventionellem Mais beziehungsweise Öko-Mais.
In Sachen Haftung war sich die schwarz-rote Koalition einig, dass das Gesetz von Seehofers Vorgängerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grüne) reines Teufelszeug sei. Im Koalitionsvertrag vereinbarten sie, mit einem Haftungsfonds oder einer Versicherung die bestehende Regelung zu ersetzen. Diese sieht vor, dass alle Bauern, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) angebaut haben, gemeinsam für den Schaden haften müssen, wenn das Feld eines konventionell oder ökologisch wirtschaftenden Kollegen kontaminiert wird, es sei denn, der Verursacher der Verunreinigung kann zweifelsfrei gefunden werden. Dann haftet dieser Landwirt allein. Ein Schaden entsteht dann, wenn die Ernte des Nachbarn mit einem GVO-Anteil von mehr als 0,9 Prozent verunreinigt wird. So wird es wohl auch bleiben. Denn die Saatgutindustrie, die Seehofer und vor allem der Deutsche Bauernverband davon überzeugen wollte, in einen Haftungsfonds einzuzahlen, um das Risiko der GVO-Bauern zu senken, zeigte dazu keine Neigung. Sie wollten sich nur dann auf einen Haftungsfonds einlassen, wenn auch der Staat einzahlt. Diese Position hatte die Industrie schon vertreten, als Künast das erste Mal mit ihr über dieses Thema verhandelt hatte. Künast hatte damals verkündet, sie werde nicht zulassen, dass auch nur ein Euro von Steuerzahlern dazu verwendet werde, für die Risiken einer Technologie aufzukommen, die der Großteil der Bevölkerung ablehne. Das sah Seehofer nicht anders. Auch eine Versicherungslösung erwies sich als aussichtslos. "Die Versicherungen haben uns gesagt, dass sie das Risiko nicht einschätzen können", sagte Seehofer bei der Vorstellung seiner Novelle. Er habe sich schließlich überzeugen lassen, dass sich das Nachbarschaftsrecht bewährt habe: "Jede Alternative, die wir diskutiert haben, hätte in ein rechtliches Nirvana geführt."
Die Saatgutindustrie kritisiert, dass das Wort "insbesondere" nicht aus dem Gesetz gestrichen werden soll. Dort heißt es, GVO-Bauern müssten "insbesondere haften", wenn der Schwellenwert von 0,9 Prozent Verunreinigung überschritten werde. Unterhalb dieser Schwelle müssten Lebens- und Futtermittel nicht gekennzeichnet werden. "Ich halte die Novelle für eine Katastrophe", sagt die FDP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan dieser Zeitung. Das sieht ihre Kollegin Ulrike Höfken (Bündis 90/ Die Grünen) ganz anders. Sie fordert einen "Prozessschwellenwert", der Bauern auch dann eine Entschädigung garantiert, wenn ihre Ernten mit weniger als 0,9 Prozent GVO verunreinigt worden sind. Viele konventionell wirtschaftende Landwirte müssen ihren abnehmenden Händlern "Gentechnikfreiheit" garantieren. Für Öko-Bauern ist das ohnehin Pflicht. Das bedeutet, dass ihre Ernten auch unterhalb des gesetzlichen Schwellenwertes unverkäuflich werden. Dann bleibt ihnen nur die Lösung, die auch Forschungseinrichtungen nutzen dürfen: Sie können ihre Ware in eine Biogasanlage kippen oder zur thermischen Verwertung verkaufen.
Auch um das öffentliche Standortregister wird weiter gekämpft. Bisher muss neben der Gemarkung auch das genaue Flurstück der Anbaufläche mit GVO angegeben werden. Diese Informationen sind jederzeit im Internet abrufbar. So hat sich die Europäische Union das auch vorgestellt. Dennoch empfiehlt der Bundesrat nun erneut, künftig nur noch die Gemarkung anzugeben. Happach-Kasan sagt: "Die Aufrechterhaltung eines öffentlichen Standortregisters ist der gegenwärtigen Situation in Deutschland nicht angemessen." Industrie und Forscher klagen, das Standortregister sei eine Gebrauchsanleitung für Feldzerstörungen. Seehofer hatte für eine Einschränkung durchaus Sympathie. Allerdings habe er sich überzeugen lassen, dass der bürokratische Aufwand unverhältnismäßig geworden wäre, wenn Personen mit einem "berechtigten Interesse" Anträge auf Einsicht hätten stellen müssen. Zudem sagte er in einem Interview mit der "Welt": "Die Flächen sollten so ausgewählt werden, dass Konflikte nicht von vorneherein programmiert sind." Beispielsweise sollten sie nicht in der Nähe von Naturschutzgebieten liegen. Zudem, meinte er lakonisch, "es ist weder der Wirtschaft noch der Wissenschaft verboten, für die Sinnhaftigkeit ihrer neuen Technologie zu werben."
Die wichtigste Veränderung für Verbraucher wird sein, dass sie künftig erfahren können, womit Tiere gefüttert wurden, bevor sie zum Schlachter kamen. Bisher müssen Lebensmittel nur dann gekennzeichnet werden, wenn im Endprodukt noch Spuren von GVO nachgewiesen werden können. Das ist bei Milch oder Fleisch von Tieren, die mit GVO gefüttert worden sind, nicht der Fall. Künftig sollen Bauern, die darauf verzichten, dies den Verbrauchern durch die Kennzeichnung "gentechnikfrei" auch mitteilen dürfen. Allerdings hat die Bezeichnung einen Schönheitsfehler: Wenn GVO bei der Verarbeitung eingesetzt werden, die nicht im Endprodukt nachweisbar sind, wie etwa Lab bei der Käseproduktion, dann erfahren Verbraucher das auch künftig nicht. Dennoch sieht der SDP-Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber in dieser Kennzeichnungsmöglichkeit einen "großen Fortschritt", weil Verbraucher erstmals erkennen könnten, womit die Tiere gefüttert worden sind.
Die größten Neuerungen gibt es für die Forschung. Künftig darf in "geschlossenen Systemen", also in Forschungszentren - die Formulierung lässt offen, ob damit auch Institutsfreiflächen gemeint sind - mit GVO gearbeitet werden, ohne dafür auf eine staatliche Genehmigung warten zu müssen. Gentechnische Versuche müssen nur noch "angezeigt" und nicht mehr genehmigt werden. Zudem soll die Zentrale Kommission für biologische Sicherheit eine Liste mit "ungefährlichen" GVO erstellen, die dann gar nicht mehr unter die Bestimmungen des Gentechnikgesetzes fallen sollen. Diese Liste muss lediglich von der Regierung und dem Bundesrat gebilligt werden. Der Bundestag wird nicht gefragt. Zudem sollen Forscher künftig Freilandversuche nur noch einmal genehmigen lassen müssen. Setzen sie diese auf anderen Feldern fort, reicht eine Nachmeldung.
In der Abstandsfrage werfen die Saatgutkonzerne Seehofer vor, "rein politische Abstände" für den Anbau von Mais vorgeschlagen zu haben. Schon bei 50 Metern sei eine Auskreuzung auf andere Felder kaum noch gegeben, argumentieren sie. Seehofer entschied sich jedoch, als "gute fachliche Praxis" für die Bauern festzulegen, dass der Abstand zwischen Gen-Mais und konven- tionellem Mais 150 und zu Öko-Mais 300 Meter betragen soll. Seehofer findet, damit sei eine "Koexistenz" der Anbauformen möglich. Das sehen Umweltverbände anders, ihnen sind die Abstände zu gering. Ulrike Höfken ärgert sich besonders darüber, dass die Bauern durch private Absprachen von diesen Mindestabständen wieder abrücken können. Sie hält das für ein "riesiges Loch" im Regelwerk.
Für die Argumente von Annette Schavan hat auch in der CSU kaum jemand Verständnis. Sie wirbt für Grüne Gentechnik, als Lösung für "Pflanzen, die auf trockenen oder salzigen Böden wachsen können". Sie preist Grüne Gentechnik als Antwort auf den Klimawandel. In die gleiche Richtung geht die Forschungsförderung für Pflanzen, die Rohstoffe ersetzen oder als Energiepflanzen dienen sollen. Zudem sieht Schavan Potenziale für die Grüne Gentechnik bei der Entwicklung von Pflanzen, "die auf umweltschonende Weise medizinische Wirkstoffe produzieren".
In Deutschland spielt die Grüne Gentechnik bisher kommerziell eine untergeordnete Rolle. Im vergangenen Jahr wurden auf 947 Hektar gentechnisch veränderter Mais angebaut. Weltweit waren es 102 Millionen Hektar, vor allem in den USA, Argentinien, Brasilien, China, Indien und Südafrika. Es wurden vor allem Soja, Mais, Raps und Baumwolle mit gentechnischen Veränderungen angebaut. Doch nur Soja ist inzwischen kaum noch gentechnikfrei auf dem Weltmarkt zu haben.