LANDWIRTSCHAFT
Weizen und Co. sind so rar, dass Bauern jetzt auch eigentlich brachliegende Flächen nutzen dürfen.
Es ist nur eine kleine Meldung aus Brüssel, die es aber in sich hat: Die Bauern dürfen die Getreidesaat 2007 und die Frühjahrssaat 2008 auf der gesamten Anbaufläche ausbringen. Bislang mussten zehn Prozent der Fläche brachliegen, sonst gingen EU-Fördermittel verloren. Doch die Lage auf dem Getreidemarkt ist so angespannt, dass die EU-Kommission diese Vorschrift nicht mehr für zeitgemäß hält.
In den vergangenen acht Jahren, so die Welternährungsbehörde (FAO), wurden weltweit jedes Jahr mehr Mais, Weizen, Roggen und Gerste verbraucht als geerntet. Lediglich 2004 reichte die Ernte aus, um den Bedarf zu decken. Die Vorräte sind auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren gesunken und könnten die Weltbevölkerung nur noch 57 Tage ernähren. Das Problem entsteht durch schlechte Ernten, eine steigende Weltbevölkerung und veränderte Essgewohnheiten in Asien. Getreideprodukte wie Nudeln werden dort immer beliebter, das tägliche Reisgericht verschwindet vom Speiseplan.
Die für Agrarfragen zuständige EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel betont, dass vor allem die schlechte Ernte im Vorjahr und die ungünstigen Wetterbedingungen in diesem Jahr für den Engpass verantwortlich seien. Zu wenig Regen im April, zu viel davon im Juni und ein je nach Lage extrem heißer oder extrem nasser Sommer hätten die Ertragsaussichten drastisch verschlechtert. Die Reserven in der EU seien von 14 Millionen Tonnen auf eine Million Tonnen Getreide geschrumpft. Der Weltmarktpreis für Weizen ist von 130 Euro pro Tonne im Vorjahr auf 200 Euro geklettert, was auf die Lebensmittelpreise durchschlagen wird.
Ein wichtiges Element im verschärften Konkurrenzkampf um knapper werdende Getreideressourcen lässt die EU-Kommissarin allerdings unerwähnt: Immer mehr Getreide wandert in Destillieranlagen, um zu Bioethanol verarbeitet zu werden. Lester Brown vom Earth Policy Institute in Washington zeigt mit Zahlen aus den USA, wo die Entwicklung auch in Europa hingehen könnte: Der hohe Ölpreis macht die Ethanol-Produktion aus Mais und Weizen finanziell attraktiv. Derzeit gibt es in den USA 116 Ethanol-Destillerien, die jährlich 53 Millionen Tonnen Getreide verarbeiten. 79 weitere Anlagen sind im Bau, 200 in der Planung. "Das steigert den Getreidebedarf für Destillerien auf 139 Mio Tonnen - die halbe für 2008 prognostizierte Ernte in den USA", sagt Brown voraus.
Da auch die EU-Kommission in ihrer Klimapolitik auf erneuerbare Energien setzt, spricht sie nicht gern über die Konsequenzen dieser Politik für den Brotpreis, die Kosten für Futtermittel und Lebensmittelpreise. Stattdessen versprach Agrarkommissarin Fischer Boel im Januar auf der Grünen Woche in Berlin: "Der europäischen Landwirtschaft bietet sich eine hervorragende Gelegenheit, zur Bewältigung einer der größten Herausforderungen beizutragen, mit denen die Europäische Union gegenwärtig konfrontiert ist." Im selben Monat schlug die Kommission vor, bis 2020 einen Anteil von 10 Prozent Biodiesel im Sprit verbindlich festzulegen. Wenn 3,8 Millionen Hektar stillgelegte Felder wieder bepflanzt werden, könnten nächstes Jahr 10 Millionen Tonnen Getreide zusätzlich geerntet werden. Der weltweite Bedarf aber beträgt mehr als 600 Millionen Tonnen.