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Die Hängepartie ist zu Ende - im 20. Anlauf wurde der Präsident gewählt
Die Libanesen haben das Zentrum Beiruts, das 18 Monate lang von der Opposition belagert wurde, zurückerobert: Vier Abende lang gaben libanesische Popstars, darunter die Diven Haifa Wehbe und Nancy Ajram, Gratis-Konzerte auf dem Märtyrerplatz. Die Cafés und Restaurants sind voll besetzt, die Beiruter genießen das Leben. "Beirut ist wieder unser", schwärmt eine junge Frau mit Chanel-Sonnenbrille. Es gibt endlich einen Präsidenten, die Regierung wird gebildet, die Sommersaison erscheint mit einem Mal wieder vielversprechend.
"Lasst uns einig werden und an einer soliden Versöhnung arbeiten!" Der ehemalige Armeechef und neue Präsident, Michel Suleiman, beschwor seine Landsleute nach der Wahl am 25. Mai förmlich, aktiv an der Zukunft des Landes mitzuarbeiten. "In dieser neuen Ära werden wir uns einem neuen Plan verpflichten, in dem die Interessen unseres Landes Vorrang haben vor den Interessen konfessioneller Gemeinschaften", so Suleiman weiter.
Er sprach alle sensiblen Punkte an und hatte für jeden etwas: Die Forderung nach diplomatischen Beziehungen mit Syrien sowie die volle Unterstützung des internationalen Hariri-Tribunals schmeichelten dem prowestlichen Lager. Die Anerkennung der Verdienste des "Widerstandes" - damit ist die radikal-schiitische Hisbollah-Miliz gemeint - stellte ihre Anhänger zufrieden. Suleiman koppelte dies allerdings an den Wunsch nach der Entwicklung einer nationalen Verteidigungsstrategie, in der die Schiitenmiliz ihren Platz finde.
Suleimans Rolle sei die eines neutralen Wegbereiters, der jedem gefalle, meint Oussama Safa, Leiter des Lebanese Center for Political Studies. Er schulde jedem etwas, inklusive der Opposition, deshalb könne er nicht entschieden Stellung beziehen. "Im Moment muss er diesen Drahtseilakt vollziehen und jedem nach dem Mund reden."
Aufrufe zur nationalen Einheit ertönten derweil auch in der Dahiyeh, den südlichen, überwiegend von Schiiten bewohnten Vororten Beiruts. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sagte via Videokonferenz zu Zehntausenden Anhängern, die gelbe Hisbollah-Fahnen schwenkten: "Wir glauben, der Libanon ist ein ganz spezielles, pluralistisches Land. Es kann nur bestehen durch Koexistenz, und das verlangen wir." Nasrallah betonte, die Hisbollah wolle nicht das Land kontrollieren. "Wir brauchen Kooperation, Konsens und Solidarität." Es gelte nun, die Wunden, die auf beiden Seiten durch die Gewalt Anfang Mai geschlagen worden seien, zu heilen und nicht noch Salz hineinzustreuen. Die Kämpfe zwischen Hisbollah-Milizen und ihren Verbündeten auf der einen sowie regierungstreuen Bewaffneten auf der anderen Seite hatten in West-Beirut und Umgebung mehr als 65 Todesopfer gefordert. Es waren die schlimmsten bewaffneten innerlibanesischen Auseinandersetzungen seit dem Ende des Bürgerkrieges 1990.
Beigelegt wurde die Krise mit der Vereinbarung von Doha am 21. Mai 2008, die den Weg für die Wahl Michel Suleimans nach sechsmonatiger Vakanz des Präsidenten-Postens frei machte. Das Dokument sieht außerdem die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit mit Vetorecht für die Opposition vor und verpflichtet beide politischen Lager dazu, ihre Waffen nicht mehr gegen die eigenen Landsleute zu richten. Die vom Westen, allen voran von den USA, und von den antisyrischen Politikern im Libanon geforderte Entwaffnung der Hisbollah ist damit allerdings zunächst einmal vom Tisch. Das war schon nach der kurzzeitigen Übernahme West-Beiruts durch die Schiitenmiliz klar, aber Nasrallah legte noch einmal nach: "Die Waffen des Widerstandes dienen dem Kampf gegen den Feind, der Befreiung unseres Landes und der libanesischen Gefangenen. Nichts anderem." Die Waffen der Regierungstruppen seien zur Verteidigung des Landes und des Staates da, sie dürften keinesfalls gegen die Hisbollah und ihr Arsenal eingesetzt werden.
Die Schiitenmiliz, die von Washington als Terrororganisation angesehen wird, hat ihr strategisches Ziel erreicht, mein Oussama Safa. Denn sie hat eine Pufferzone um ihre Waffen errichtet. Auch wenn viele im prowestlichen Lager damit nicht einverstanden sind. "Sie können alle reden, aber von jetzt an entscheidet die Hisbollah über die Zukunft ihrer Waffen. Niemand wird es wagen, das Thema anzugehen ohne dass sie zustimmt."
Wie hoch die Spannungen auf Bevölkerungsebene noch sind, zeigen wiederholte nächtliche Zwischenfälle, in denen Regierungsanhänger und Oppositionelle aufeinander schießen. Da hilft es nicht viel, dass die Politiker von Einigkeit reden. Ernst meine es damit ohnehin niemand, so Safa. "Das sind große Worte, es ist Symbolismus, aber es hat im Grunde nichts mit Einheit oder Versöhnung zu tun." Das Schlimme sei, dass sich keiner der politischen Führer ernsthaft dafür einsetze, es gebe noch nicht einmal entsprechende Pläne für die Zukunft.
Immerhin ist der Libanon dabei, seine institutionelle Krise zu überwinden. Nach der Präsidentenwahl steht die Regierungsbildung an. Der neue Premier wird wieder Fuad Siniora heißen, auch wenn Teile der Opposition das bereits als "Kriegserklärung" bezeichnet haben. Fest steht auch, dass das prowestliche Lager 16 Minister stellen wird, die Opposition elf und der Präsident selbst drei. Jetzt darf über die Ressorts gefeilscht werden und auch dabei dürfte es Streit geben. Der Oppositionsabgeordnete Ghassan Moukheiber gibt zu bedenken, dass es nicht reiche, nur Positionen zu besetzen: "Wir brauchen funktionierende Institutionen, wir müssen sie mit Leben füllen."
Moukheiber wünscht sich insbesondere eine aktivere Rolle des Parlamentes. "Seit der Vereinbarung von Taef, die 1990 den Bürgerkrieg beendete, befindet sich das Parlament in der Dauerkrise. Weil viele Politiker in der Regel ihre Deals in Hinterzimmern machen." Ob die libanesischen Politiker aber zu einer solchen Neuorientierung bereit sind, ist zu bezweifeln. Denn im Grunde hat schon jetzt der Wahlkampf für die bevorstehenden Parlamentswahlen im Frühjahr 2009 begonnen. Das bedeutet mehr Polarisierung und im Libanon mit seinen 17 Glaubensgemeinschaften auch eine Schärfung der konfessionellen Profile. Keine guten Vorzeichen für Bemühungen um ernsthafte Demokratisierung und die Lösung der tief liegenden Probleme, welche die libanesische Gesellschaft nach wie vor spalten.