Eine Kultur zu kennen, weil man ihre Filme und Musik jeden Tag konsumiert, ist ein Trugschluss. Das lernen Austauschschüler rasch. Plötzlich ist vieles anders: Das Haus der Gasteltern ist kleiner (oder größer) als erwartet, der Besuch der "ersten Liebe" tabu, das Zimmer wird vielleicht mit dem Gastbruder geteilt, und auch die Regeln in der Schule sind Neuland. Aber wer sich darauf einlässt, kommt mit einem gehörigen Plus an Erfahrung, Sprache und Reife zurück. Der Deutsche Bundestag ermöglicht jährlich 360 ausgewählten deutschen Schülern und jungen Berufstätigen ein Jahr in den USA. Im Gegenzug kommen 350 junge Amerikaner in deutsche Familien und Schulen. In den bisher 25 Jahren haben etwa 18.000 junge Leute durch das Parlamentarische Patenschaftsprogramm (PPP) die Kultur des transatlantischen Partners besser kennen gelernt.
1983 war das Geburtsjahr des PPP. Es wurde anlässlich des 300. Jahrestages der ersten deutschen Einwanderung in die USA gegründet - gemeinsam vom Deutschen Bundestag und dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika. "Dahinter stand auch die Überzeugung, dass nichts den Blick auf und das Verständnis für eine andere Gesellschaft so schärft, wie ein längeres Eintauchen in dessen Alltag", erläutert Inge Gerstberger, Leiterin des Referates Internationale Austauschprogramme - "zumal in den 80er Jahren die Amerika-Euphorie der Nachkriegszeit deutlich abgekühlt war." Betreut wird das Programm von Referent Erik Pust - zusammen mit Monika Mönig, Christine ZanderKarin Roos und (v.l.n.r.). "Alle Schüler und Berufsanfänger sind von heimischen Paten-Abgeordneten nominiert worden und stehen mit ihnen in Kontakt. Das Interesse der Parlamentarier ist groß. Es bewerben sich regelmäßig mehr Abgeordnete um die Übernahme einer Patenschaft, als berücksichtigt werden können".
Neben 285 deutschen Schülern bietet das PPP jeweils auch 75 jungen Berufstätigen die Chance, ein Jahr jenseits des Atlantiks zu verbringen. "Für sie ist das fast die einzige Chance, an so einem Austausch teilzunehmen", betont Pust. Denn anders als für Schüler sind solche Programme für junge Berufstätige rar. Sie gehen zunächst sechs Monate auf ein Community College, eine Art Berufschule, und suchen sich dann für weitere sechs Monate ein Praktikum.
Die eigentliche Abwicklung des aufwändigen Programms liegt in den Händen renommierter Austauschorganisationen, die sich alle vier Jahre in einer öffentlichen Ausschreibung bewähren müssen. Sie treffen die Vorauswahl aus den Bewerbern - 2007 waren es in Deutschland 4.500 - und wählen auch die Gastfamilien aus, die ihre Gäste ehrenamtlich ein Jahr bei sich aufnehmen.
Der Beitrag des PPP zum deutsch-amerikanischen Verständnis ist unbestreitbar. "Wir hören immer wieder von den Heimkehrern, wie positiv sie diese Zeit geprägt hat", sagt Monika Mönig. Doch vor dieser Erkenntnis liegen häufig gerade am Anfang Heimweh und eine Art Kulturschock.
"Das Heimweh ist bei den amerikanischen Gästen hier in Deutschland noch größer", ergänzt Karin Roos. Die amerikanischen Jugendlichen sprechen häufig kaum deutsch und kommen zudem aus einem Alltag, in dem die Schule ihren Tagesablauf und ihre sozialen Aktivitäten bis in den späten Nachmittag bestimmt. In Deutschland werden sie jedoch mittags nach Hause entlassen und müssen sich selbst in einer völlig fremden Welt um ihre Freizeitgestaltung bemühen. Es sind Erfahrungen, die prägen. "Viele Schüler sagen, sie seien in dem Jahr erwachsen geworden", erzählt Monika Mönig. Und sie hätten ihr Amerikabild überdacht und differenziert. Eben diese Differenziertheit, so hoffen die "Bundestags-Paten", sollen die Austauschschüler in die Gesellschaft tragen, sollen quasi als Botschafter auftreten, sich gesellschaftlich engagieren und Vorurteile gegen ihre Heimat entkräften.
Für die Amerikaner endet ihr Jahr in Deutschland immer mit einem Highlight: Sie treffen sich in Berlin, werden im Parlament empfangen, nehmen an einer Plenarsitzung teil und diskutieren mit Abgeordneten. Diesmal geht es sogar ins Kanzleramt zum Gruppenfoto mit der Kanzlerin. Auch "unsere" kehren jetzt bald zurück, denn der nächste Jahrgang steht schon am Start - auf dem Weg in ein aufregendes Jahr in der Neuen Welt.