BIODIVERSITÄT
UN-Naturschutzkonferenz beschließt neues Verhandlungsmandat bis zum Jahr 2010
Morgens zählt es sich am besten. Das weiß Klaus Nottmeyer-Linden aus Erfahrung. Und so steht der Biologe zwischen Februar und August häufig in aller Hergottsfrühe auf, um zu zählen: den Sumpfrohrsänger, den großen Brachvogel oder den gemeinen Haussperling. Allein 28 Sumpfrohrsänger hat er vor ein paar Tagen im Schutzgebiet Füllenbruch nahe Herford, einem feuchten Grünlandgebiet mit viel Schilf und Gebüsch, notiert. Doch er weiß, dass das Vorkommen einer Art noch kein Beweis für eine stabile Artenvielfalt ist: "Nicht allein die einzelne Art, sondern die Zahl ihrer Individuen ist entscheidend", sagt Nottmeyer-Linden.
Sein Verband ist eine von 214 Initiativen, Umweltgruppen oder NGOs, die auf der "Plaza der Vielfalt" vor dem Tagungsort der 9. UN-Naturschutzkonferenz zum Erhalt der Artenvielfalt ihre weißen Zelte aufgeschlagen haben. Und auch wenn das Konferenzzentrum nur einen Steinwurf entfernt ist, liegen scheinbar Welten zwischen den Naturschützern an den Ständen und den rund 7.000 Delegierten in dem mit riesigen Kronleuchtern geschmückten Konferenzsaal. Zwei Wochen lang haben dort die Teilnehmer aus 191 Staaten unter deutscher Präsidentschaft diskutiert, gerungen und gefeilscht. Ihr Ziel: Die Festschreibung eines "Bonner Mandats", mit dem die kommende Verhandlungslinie für das 1992 geschlossene Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CDB) bis 2010 festgelegt werden soll. Dem Jahr, bis zu dem der Rückgang der Artenvielfalt nicht mehr gestoppt werden kann, aber signifikant reduziert werden soll. Dabei geht es aber nicht allein um den Erhalt der Artenvielfalt, sondern auch um eine nachhaltige Nutzung der Artenvielfalt und der natürlichen Ressourcen sowie einen gerechten Vorteilsausgleich zwischen reichen und armen Staaten. Konkret umgesetzt werden soll dieser Vorteilsausgleich durch das sogenannte "Access and Benefit Sharing" (ABS) - ein Regelwerk, das den Zugang und die Verwertung von genetischen Ressourcen gerechter aufteilen soll. Denn Pharmafirmen lassen sich noch immer Gensequenzen oder isolierte Substanzen, die aus Entwicklungsländern stammen, patentieren, ohne die Herkunftsländer oder die indigenen Völker, als jahrhundertealte Hüter dieser biologischen Schätze, an den Gewinnen zu beteilen.
Solche Probleme kennt Nottmeyer-Linden in Herford nicht. Der Rückgang der Arten ist als ein "schleichender Prozess" aber auch für ihn spürbar. Die Entwicklung der Biodiversität in seiner Region ist dabei durchaus unterschiedlich: während bekannte Spezies wie Feldlerche oder der Haussperling - besser als Spatz bekannt -"dramatisch zurückgehen", so Nottmeyer-Linden, "ist die Wiederkehr des Uhus mit 200 Paaren in der Region eine Erfolgsgeschichte". Entscheidend ist, wie sich die Tiere an ihre Umgebung anpassen - doch viele bleiben dabei auf der Strecke. Ihre Lebensbedingungen werden immer schlechter: Wo einst Kirschbäume standen stehen jetzt Reihenhäuser, wo einst Hühner umherliefen, wachsen Rhododendron und Buchbaum und wo einst Vögel in Nischen und Mauerspalten nisteten, lassen modernisierte Häuser keinen Platz mehr für die Aufzucht von Nachwuchs. Dennoch sagt Nottmeyer-Linden mit Blick auf die Industrialisierung "Wir haben das größte Artensterben schon hinter uns." Er verweist auf einen relativ stabilen Status von rund 300 Vogelarten in Deutschland. Weltweit sind hingegen, so der Ornitologe, von den geschätzten 9.800 Vogelarten über 1.000 Arten vom Aussterben bedroht - fast Zweidrittel davon in den Tropen.
Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen), die als Delegierte des Bundestages an der Konferenz teilnahm, kann aus ihrem Wahlkreis gleich eine Reihe von Arten aufzählen, die es kaum noch gibt - vor allem bei den Nutztieren. "Das Harzer Höhenvieh kommt nur noch bei alten Bauern vor", sagt die Parlamentarierin aus Sachsen-Anhalt. Die Reduzierung auf ganz wenige, leistungsfähige Nutztierrassen, hält sie für einen "vermeintlichen Fortschritt": Denn im Gegensatz zum Harzer Höhenvieh kann sich die schwarz-buntgefleckte Kuh schwierigen Standortbedingungen nur schwer anpassen und braucht wie viele Nutztiere eine Zufütterung. "Unsere Schweine fressen den Amazonas auf", bringt sie es drastisch auf den Punkt und fordert den Lebensalltag an die Biodiversität anzupassen. "Es reicht nicht nur, zu proklamieren, sondern wir müssen Rahmenbedingungen in allen Politikbereichen schaffen", sagt sie und plädiert dafür "Biodiversität endlich als Querschnittsaufgabe der Politik" zu begreifen.
Im Wahlkreis von SPD-Politiker Heinz Schmitt in der Südpfalz hat die Biodiversität und damit verbunden auch der Klimawandel ein ganz anderes Gesicht. "Auf den Weinbautagen fragen die Leute, ob es an den Südhängen der Pfalz auch in Zukunft möglich sein wird, Riesling anzubauen", sagt er. "Es zeigt sich, dass sich in der Natur vieles verschiebt", berichtet Schmitt. Auch in diesem Jahr habe die Heuernte zwei Wochen früher als gewöhnlich begonnen - kleine Veränderungen, die das Zusammenspiel der komplizierten Ökosysteme durcheinander bringen. Doch trotz der bedrohlichen Szenarien, die in hunderten von Broschüren in allen erdenklichen Sprachen auf den Gängen der Konferenz ausliegen oder auf Vorträgen eindringlich beschrieben werden, bedeutet die Konferenz für Schmitt ein Stück Hoffnung: "Menschen aus der ganzen Welt haben stolz von Erfolgen bei der Einrichtung von Schutzgebieten erzählt", sagt er und fügt hinzu, dass "von Deutschland eine Vorreiterrolle" erwartet werde. Für ihn ist es daher positiv, zu sehen, "dass die Welt da war und alle ein Stück näher zusammengerückt sind". Gerade auch die Parlamentarier sind sich dabei ein Stück näher gekommen. Für den CSU-Politiker Josef Göppel spielen gerade die Parlamentarier auf solchen Konferenzen eine besondere Rolle: "Ein so umfassender Prozess wie der Schutz der biologischen Vielfalt kann ohne Druck der Parlamentarier nicht dauerhaft vorankommen", so sein Argument. Zwar seien es die Regierungen, die die Verträge abschließen würden, aber in Haushaltsfragen seien diese eben von den Parlamenten abhängig. Es sei wichtig, dass "in allen Parlamenten Leute sind, die das Projekt aus innerer Überzeugung unterstützen", sagt Göppel. Er ist selbst Forstingenieur und setzt mit seiner Fraktion bei der Biodiversität auf kooperativen Naturschutz zwischen Landwirten, Naturschützern und Kommunalpolitikern.
Als Parlamentarier erwartet auch Lutz Heilmann (Die Linke) von seinen Kollegen, dass sie das Thema Biodiversität aktiv in ihren Wahlkreisen vertreten. "Auch auf kommunaler Ebene sollte der Sinn dafür geschärft werden, wenn ein Gewerbegebiet erschlossen oder ein Flughafen erweitert werden soll". Als Beispiel aus seinem Wahlkreis nennt er die geplante Überquerung des Fehmarnbelts. In diesem Gebiet, auch als "Kindergarten der Schweinswale" bekannt, fürchtet er, dass es durch den Bau "massive Beeinträchtigungen" der Artenvielfalt geben könnte.
Weitab von heimischen Gefilden möchte die FDP-Politikerin Angelika Brunkhorst die Biodiversität auf ganz andere Weise stärken. Gemeinsam mit dem Umweltausschuss ist sie mit Vertretern indigener Völker, den Ureinwohnern einer Region, auf der Konferenz zusammengetroffen. Vital Bambanze aus Burundi machte dabei nicht nur für seinen Stamm deutlich, dass die indigenen Völker "immer in enger Symbiose mit der Biodiversität gelebt haben". Er kritisiert, dass er und seine Stammesmitglieder bei der Einrichtung von Schutzgebieten nicht konsultiert würden. Und auch der Generalsekretär der indigenen Völker in Afrika (IPACC), Nigel Crawhall, mahnt: "Wenn man nur auf die Menschenrechte abhebt, reicht das nicht aus, sondern man muss hervorheben, wie viel Wissen und Sachverstand diese Völker besitzen". Das möchte die FDP in Zukunft deutlicher machen: "Dieses Wissen, das die Leute haben, ist nicht Wissenschaft nach unseren Vorstellungen, aber es ist ein Wissensschatz, der eine Wertschöpfung und eine starke Stimme braucht", sagt Angelika Brunkhorst.
Dabei setzen die Parlamentarier verstärkt auf eine internationale Vernetzung. Am 27. Mai verabschiedeten sie noch vor den Regierungen eine eigene "Bonner Erklärung" zum Thema Parlamentarier und Biodiversität. Darin fordern sie unter anderem die Einhaltung der für das Jahr 2010 beschlossenen Ziele und heben die besondere Rolle der nationalen Parlamente in diesem Prozess hervor - mit eindringlichen Appellen.
Daran hatte es auch an den letzten drei Tagen der Konferenz nicht gefehlt. "Die Bewahrung der Natur ist eine Überlebensfrage geworden", sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach, sich für den Stopp der Verlust an Biodiversität bis 2010 persönlich einzusetzen. Sie kündigte an, dass Deutschland, wie zuvor schon Norwegen, von 2009 bis 2012 insgesamt 500 Millionen Euro zusätzlich für den Waldschutz bereitstellen wolle.
Ein Ausnahmefall, denn trotz schöner Reden, stockte die Konferenz immer dort, wo es um finanzielle Zusagen ging. Selbst die Mittel für das Sekretariat der CBD waren lange umstritten. Im Vergleich zum gewaltigen Medienauftrieb bei der Klimakonferenz im Dezember 2007 auf Bali, war die Aufmerksamkeit für das Thema Biodiversität in Bonn weitaus geringer. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass das Thema noch nicht auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs diskutiert worden ist. Auf dem kommenden G8-Gipfel in Japan Anfang Juli könnte Angela Merkel versuchen, ihre Kollege für weitere finanzielle Zusagen in Sachen Artenschutz zu gewinnen. Hilfreich könnte dabei sein, ähnlich wie für den Klimawandel, auch die Kosten des Verlustes an Biodiversität sichtbar zu machen. Der Investmentbanker Pavan Sukhdev bezifferte auf der Bonner Konferenz allein die Kosten für den Waldverlust bis 2050 auf zwei Billionen Dollar. Doch bislang wird mit der Zerstörung der Natur noch immer mehr Geld verdient als mit ihrem Schutz. Auch Klaus Nottmeyer-Linden hat immer wieder die Erfahrung gemacht, "dass Artenschutz ein großes Thema ist, aber die Förderung fehlt". Wird nicht mehr in den Artenschutz investiert, könnte er irgendwann vielleicht länger schlafen - aber dann hätte er auch nichts mehr zu zählen.