Arbeit
Wer über 50 Jahre alt ist und seinen Job verliert, kann etwas aufatmen. Die Bundesagentur nicht.
Die REchnung der Bundesagentur für Arbeit (BA) kam schon vor der Abstimmung im Bundestag. Auf 5,4 Milliarden Euro bezifferte BA-Chef Frank-Jürgen Weise das Defizit, das die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 4,2 (2007) auf 3,3 Prozent (2008) sowie die längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I (Alg I) an Ältere seinem Haushalt beschert. Gut investiertes Geld, befanden die Politiker der Großen Koalition einen Tag später, am 16. November, und votierten für den fraglos bedeutendsten arbeitsmarktpolitischen Gesetzentwurf der Legislaturperiode ( 16/6741 , 16/715 1neu). Erst in der Koalitionsrunde am Wochenanfang waren diese beiden zentralen Punkte festgezurrt worden. Die verlängerte Alg-I-Bezugsdauer für Ältere steht allerdings nur als Absichtserklärung im Gesetz. In einem weiteren Bundesgesetz sollen die Details geklärt werden, etwa die Ausgestaltung des Eingliederungsgutscheins, mit dem Ältere die Jobsuche erleichtert werden soll.
Wie die "kostenneutrale" Finanzierung aussehen soll, ist in einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ( 16/7190 ) beschrieben, den der Bundestag ebenfalls verabschiedete. Die Koalition geht von jährlichen Mehrkosten in Höhe von 1,1 Milliarden Euro bei der BA aus, die BA selbst von 2,9 Milliarden Euro. Rund ein Drittel der zusätzlichen Belastung, so die Koalition, führe zu Einsparungen des Bundes beim Alg II von rund 270 Millionen Euro, die der BA erstattet werde. Ferner solle auf bisher nicht verwendete Eingliederungsmittel für Langzeitarbeitslose rund 500 Millionen Euro zurückgegriffen werden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer Gerd Andres (SPD) bezeichnete die Verlängerung der Bezugsdauer als einen "tragfähigen Kompromiss". Der CDU-Abgeordnete Peter Rauen unterstrich, damit werde älteren Arbeitnehmern "ein Stück Angst genommen". Er fügte mit Blick auf die Beitragssatzsenkung hinzu: "Wir haben Wort gehalten, die Sozialabgaben unter 40 Prozent gedrückt."
Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer kritisierte, die längere Bezugsdauer schaffe keine wirkliche Sicherheit für Ältere, sondern "Anreize für eine verfehlte Frühverrentungspolitik". Dem Linken-Fraktionschef Gregor Gysi ging der Schritt der Koalition für Ältere nicht weit genug. Zugleich lehnte er die Beitragssenkung ab.
Diese ist für die BA im Falle einer erlahmenden Konjunktur mit finanziellen Risiken verbunden. Der Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund, Wilhelm Adamy, drückte dies bei einer Anhörung im Fachausschuss am 13. November am krassesten aus: "3,3 Prozent führen die BA direkt in die roten Zahlen." Auf eine Finanzspitze aus Berlin braucht Nürnberg dann nicht zu warten. Denn bis zum Jahr 2011 sollen finanzielle Hilfen des Bundes ausgeschlossen werden.
Der FDP geht die beschlossene Senkung nicht weit genug. Es gebe Spielraum für eine Reduzierung auf unter drei Prozent, wenn versicherungsfremde Leistungen gestrichen würden, sagte Dirk Niebel für die FDP. Ihr Antrag ( 16/6434 ) wurde aber abgewiesen. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf kommen erst einmal neue versicherungsfremde Leistungen hinzu. Die Beitragszahlungen des Bundes an die BA für die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten entfallen künftig. Dadurch entstehen der BA 2008 und in den Folgejahren voraussichtlich Mindereinnahmen in Höhe von je 290 Millionen Euro.
Doch nicht nur Beitragssatz und Alg I erhitzten die Gemüter. Denn mit dem Entwurf verbunden ist auch die Abschaffung des Aussteuerungsbetrages - einer Art Strafabgabe der BA für neue Alg-II-Empfänger - bei gleichzeitiger Einführung eines Eingliederungsbeitrages. Dies führt 2008 zu einer Nettoentlastung des Bundes und einer entsprechenden Mehrbelastung der BA in Höhe von rund 3 Milliarden Euro. Mit dem Eingliederungsbeitrag soll sich die BA zur Hälfte an den Aufwendungen des Bundes für arbeitsmarktpolitische Hilfen für Langzeitarbeitslose und Verwaltungskosten im Bereich des Alg II beteiligen. FDP und Grüne äußerten verfassungsrechtliche Bedenken und sprachen von der Zweckentfremdumg von Beitragsmitteln. Auch in der Anhörung zu dem Entwurf ließ kein befragter Experte ein gutes Haar am Eingliederungsbeitrag. Die Koalition findet ihn dagegen "sachgerecht".
Völlig unstrittig ist hingegen die Schaffung eines Versorgungsfonds für die rund 8.000 Pensionäre und derzeit 20.000 aktive Beamten der BA. Der Grundstock in Höhe von 2,5 Milliarden Euro soll der BA-Rücklage entnommen werden.