ABGEORDNETENENTSCHÄDIGUNG
Bund der Steuerzahler lobt das Modell
Auch in Nordrhein-Westfalen werden höhere Diäten diskutiert - und doch leben die Düsseldorfer Parlamentarier in einer anderen Welt. Sie haben als einziges Bundesland das System ihrer Bezüge bereits im April 2005 grundlegend reformiert. Seitdem gilt das bevölkerungsreichste Bundesland für Haushaltsrechtler und Steuerzahler als der Primus. Grüne und FDP fordern im Bundestag immer wieder, sich am NRW-Modell zu orientieren. "Das Land ist vorbildlich", sagt auch Heiner Cloesges, Haushaltsexperte beim Bund für Steuerzahler NRW zum Parlament.
Der Hauptunterschied zu den Berliner Bezügen: Die NRW-Abgeordneten erhalten einen Pauschalbetrag von momentan 9.600 Euro monatlich. Er liegt also deutlich über den Berliner Diäten von rund 7.000 Euro. Aber: Die Nordrhein-Westfalen müssen selbst für ihre Altersvorsorge aufkommen und führen 1.500 Euro ihres versteuerten Einkommens in ein Versorgungswerk ab.
Die steuerfreie Kostenpauschale ist an Rhein und Ruhr ganz aufgehoben: Landespolitiker müssen ihre Aufwendungen wie Laptop, Wahlkreisbüro und Geschäftsessen einzeln bei der Steuererklärung geltend machen. Bundestagsabgeordnete hingegen erhalten ohne Nachweis der Einzelkosten derzeit 3.720 Euro für diese Kosten. Außerdem erhalten sie nur drei Monate lang das so genannte Übergangsgeld, das ehemaligen Politikern den Einstieg ins Berufsleben erleichtern soll.
Für viele nordrhein-westfälische Parlamentarier war die Umstellung ein Schock. Vor allem in den großen Fraktionen SPD und CDU rebellierten zunächst die Hinterbänkler aus der Provinz gegen den Bruch mit der jahrzehntealten, sehr komfortablen Regelung. Sie beschwerten sich zum Beispiel darüber, dass nun alle ihre Treffen und Tätigkeiten öffentlich würden, weil sie in der Steuererklärung auftauchten. Die Finanzverwaltung beruhigte die aufgebrachten Politiker: Natürlich unterliegen diese Angaben dem Steuergeheimnis. Wie viele Einzelposten, Geschäftsessen und Berufspräsente die NRWler heute abrechnen, ist deswegen auch heute nicht zu klären. Es seien meistens aber recht geringe Summen, heißt es aus der Verwaltung.
Die Düsseldorfer Revolution war allerdings ein Kraftakt: Bevor die NRWler ihre eigenen Bezüge reformierten, verstrichen mehrere Jahre. Schon 2001 hat eine Diätenkommission Vorschäge gemacht. Sie war mit ehemaligen Abgeordneten, Steuerrechtlern, Gewerkschaftlern und dem Bund der Steuerzahler besetzt. Nach Monaten der Beratung schlug die Komission ein Modell vor, das heute genutzt wird. Der Vorschlag wurde zwar von allen Parteien für gut befunden. Trotzdem dümpelte er jahrelang in den Schubladen herum. Das Eisen war zu heiß.
Zwei Jahre später dann nahm eine so genannte "interfraktionelle Arbeitsgruppe" ihre Arbeit auf. Sie kam zu denselben Ergebnissen, aber auch diese wurden kaum beachtet. Zuhilfe kamen den Befürwortern der Reform allerdings zwei Umstände: Die Landtagswahl 2005 hievte das Thema auf die politische Agenda. Und die öffentliche Meinung in allen großen Regionalzeitungen befürwortete eindeutig ein neues System. Sogar die Bild-Zeitung stritt auf ihren NRW-Seiten für die neue Diätenregelung.
Auch die Bürgerinnen und Bürger im Land wurden tätig. Innerhalb weniger Wochen wurden knapp 70.000 Unterschriften für eine neue Diätenordnung gesammelt. Die Gehaltsaffären um die nordrhein-westfälischen CDU-Politiker Laurenz Meyer und Hermann-Josef Arentz brachten neuen Schwung in die Debatte um die Politikereinkünfte. Und so beschlossen SPD und Grüne kurz vor ihrer Abwahl im Mai 2005 das neue NRW-Modell. Sogar die Christdemokraten machten mit. Die CDU sah durch die Reform damals gar "neue Maßstäbe in der deutschen Parlamentsgeschichte" gesetzt.
Seit April 2005 beziehen alle 187 Landtagsabgeordneten nun die neue Diät. Seitdem hat auch Schleswig-Holstein ein ähnliches System eingeführt, in vielen Ländern wird das Modell diskutiert. "Wir sind Vorbild für alle Länder", sagt der christdemokratische Finanzminister Helmut Linssen nicht ohne Stolz.Aber auch Empfänger von Häme und Kritik. NRW-Abgeordnete berichten, dass sie von Kollegen des Bundestags belächelt würden, weil sie sich "die Butter vom Brot" haben nehmen l assen. Und bei jeder Debatte um Politiker-Bezüge steht das NRW-Modell zur Disposition. So hat der niedersächsische Landtagspräsident Jürgen Gansäuer das NRW-Gesetz scharf angegriffen - gerade in dem Moment, als in seinem Bundesland eine Debatte um die Diäten tobte. In einem Brief an seine Amtskollegen in den Ländern sowie an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) listete der Christdemokrat seine Kritikpunkte auf. Er glaubt, dass die NRW-Reform so genannte Berufspolitiker begünstige.
Denn an Rhein und Ruhr zahlt sich ein längeres Politikerleben und damit auch ein längeres Einzahlen in die Altersvorsorge direkt aus: Die Rente steigt mit jedem Jahr im Parlament. So blieben Abgeordnete an ihrem Stuhl kleben. Cloesges vom Bund der Steuerzahler findet dieses Argument vorgeschoben. "Dass es zuwenig Quereinsteiger gibt hat ganz andere Gründe", sagt er. Zum Beispiel verhindere die lange Ochsentour, die von Politikern jahrelanges Plakatekleben verlange, einen raschen Einstieg ins Parlament. "Das hat mit den Diäten nichts zu tun."
Eine Debatte um höhere Diäten läuft in NRW trotzdem. Zumindest hinter den Kulissen. Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) hatte die Fraktionen Anfang November in einem "Angemessenheitsbericht" dazu aufgefordert, sich zu einer möglichen Anhebung der Diäten um rund 1,2 Prozent eine Meinung zu bilden.
Zahlreiche Zeitungskommentatoren hatten die angedachte Lohnerhöhung für die Parlamentarier scharf kritisiert. Die Bezüge der Landtagsabgeordneten waren erst im April um 1,4 Prozent oder 133 Euro auf 9.633 Euro angehoben worden. Auch hier verfährt das Land anders als der Bund: Eine Erhöhung der Diäten berechnet sich aus der allgemeinen Preiserhöhung und dem Rentenniveau. Einsame Beschlüsse wie in Berlin sind so ausgeschlossen.
Doch die bundesweite Diskussion scheint SPD, CDU, Grüne und FDP alarmiert zu haben - sie halten die Debatte im Land klein. Zu einer möglichen Diätenerhöhung zum 1. Januar 2008 gebe es "noch keine Entscheidung", betonen die Sprecher aller vier Landtagsfraktionen.
Jedenfalls haben die nordrhein-westfälischen Abgeordneten keine Wut der Wählerinnen und Wähler zu befürchten: Während die Telefone des Steuerzahlerbundes in Berlin nicht mehr still stehen, sind die Bürger in NRW zufrieden. Bei der vergangenen Diätenerhöhung hat es nur sehr vereinzelte Anrufer gegeben.