JUgendroman
Die Geschichte Altenburger Schüler, die Stalin die Stirn boten
Die Nachkriegsjahre in Ostdeutschland, wie kann man die Jugendlichen von heute nahe bringen? Wie die ideologische Härte des Kalten Krieges, des Stalinismus? Angeboten werden 14- oder 15-Jährigen meistens Begriffe, Theorien, unumstrittene Fakten, nicht selten griffige Klischees. Steffen Lüddemann setzt in seinem Jugendbuch "50 Hertz gegen Stalin" auf ein gegenläufiges Prinzip, auf die Lebensgeschichte Gleichaltriger. Im Herbst 1949 fahren zwei Thüringer Abiturienten, die im RIAS von einer "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" gehört haben, nach Westberlin. Sympathisch ist ihnen der Mann aus dem Radio zwar nicht, der auch im Gespräch seine Sätze mechanisch abspult. Und auch mit Geheimdiensten wollen sie nichts zu tun haben. Dennoch planen die Freunde später etwas unglaublich Riskantes.
Die Geschichte jener Altenburger Schüler, denen es tatsächlich gelang, mit einem selbstgebauten Radiosender die Ansprache zu Stalins 70. Geburtstag auf der Frequenz des Senders Leipzig zu stören und knappe Widerworte wie: "Stalin ist ein Massenmörder" zu senden, ist vermutlich einzigartig. Ein zeitgeschichtlicher Stoff der besonderen Art.
Steffen Lüddemann selbst hat zunächst ein Hörfunk-Feature darüber produziert, später einen Film gedreht. Um das Feature gab es eine Debatte, ausgelöst durch ein achtloses Wort des bekannten Filmregisseurs Frank Beyer über "dumme Jungs, die ihr Leben riskierten". Beyer, selber ein Altenburger Abiturient jenes Jahrgangs, hat dies später in seiner Autobiografie bereut.
Der Roman versteht sich nicht als Buch zum Feature, wenngleich Beyer in der Figur eines nicht unsympathischen FDJ-Sekretärs erkennbar ist. Als Autor setzt Lüddemann ganz auf die damalige Gegenwart. Er lässt uns die thüringische Kleinstadt um 1949 mit den Augen eines sensiblen jungen Mannes erleben. Ungeduldig wartend auf den Anfang von etwas Neuem, auf die Liebe, auf ein Leben jenseits der Enge nimmt Joachim, die 19-jährige Hauptfigur, seine Umwelt wahr: Seinen angepassten Vater, die Lehrer, die Russen, die sich über Armbanduhren und Fahrräder wie Kinder freuen und das erleuchtete Bild ihres Führers Stalin Tag und Nacht bewachen.
Lüddemann kann und will nicht die authentischen Figuren jenes Freundeskreises präzise nachzeichnen. Was er aber sehr wohl vermag, ist, eine Innenwelt junger Männer jener Jahre zu entwerfen, in die ihm auch heutige Leser folgen können. Was ging in jungen Leuten vor, die hörten, dass die russischen Sieger ihre Gegner, darunter Unschuldige, in die früheren NS-Konzentrationslager sperrten? Wenn das stimmte, dann stimmten also auch andere Dinge, wie man sie bei Arthur Koestler las oder im RIAS hörte?
Die Geschichte endet tragisch: Der 50 Hertz starke Amateur-Sender der Schüler wird geortet. Joachim, der geistige Kopf der Gruppe, verschwindet in den Kellern sowjetischer Militärgefängnisse, wird zum Tode verurteilt, nach Moskau verbracht und dort - nach vergeblichem Warten auf Gnade - erschossen. Seine Freunde werden für Jahre ins Zuchthaus Bautzen gesperrt.
Der Autor lässt angenehm klischeefrei jene Atmosphäre aufscheinen, die seine Figuren als unfrei empfinden. Die vergebliche Suche der Eltern von Joachim nach einem Lebenszeichen zum Beispiel. Weder Volkspolizei noch die Sowjets geben über den Verhafteten Auskunft - ein Verschwinden, das stumme Angst verbreitet. Oder die Wahlszene: Abgestimmt wird über eine ganze Liste von Kandidaten und die Wahlkabine ist so angeordnet, dass, wer sie benutzen möchte, quer durch den Raum gehen muss. Bleistifte sind nicht ausgelegt, keiner geht hinein.
Überzeugend und in einer fast filmischen Leichtigkeit erzählt Steffen Lüddemann seinen bedrückenden Stoff. Entstanden ist ein sympathisch zartes Buch, das Empathie wachsen lässt, weil es eine fremde Vergangenheit in eine zeitlos verständliche Sprache übersetzt.
50 Hertz gegen Stalin. Roman.
Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2007; 267 S., 14,90 ¤