VerGiftete Container
Im Hamburger Hafen wächst die Gesundheitsgefahr für Zöllner und Arbeiter
Unsichtbar, geruchlos, gefährlich: Giftige Gase und chemischen Rückstände in Containern aus Übersee bedrohen nicht nur die Gesundheit von Hafenarbeitern und Zöllnern, sondern auch die der Konsumenten. Das haben Hamburger Forscher in einer weltweit einmaligen Studie nachgewiesen, bei der 2.111 Transportcontainer unter die Lupe genommen wurden, die 2006 im Hafen der Hansestadt ankamen. Die Experten des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin (ZfA) hatten zusammen mit Kollegen der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TU) und mit mobilen Messgeräten nach Begasungs-Rückständen gefahndet. Ihr alarmierender Befund: Bei 17,5 Prozent aller untersuchten Container wurden die zulässigen Grenzwerte deutlich überschritten. In 33 Fällen mussten die Experten feststellen, dass die Grenzwerte toxisch wirkender Stoffe sogar um mehr als das Zehnfache überschritten wurden.
Hochgerechnet auf den Umschlag des prosperierenden Hamburger Hafens sind allein in der Elbmetropole rund 250.000 Container pro Jahr vergiftet. Die Stahlboxen werden mit Stoffen wie Brommethan, Phosphorwasserstoff und dem Kampfgas Triochlornitromethan (auch Grünkreuz genannt) begast, um Ungeziefer zu bekämpfen, das die wertvollen Waren beschädigen oder in fremde Regionen einwandern könnte - aber sie sind meist nicht mit Warnzeichen gekennzeichnet. "Das kann zu lebensbedrohlichen Beschwerden führen, wenn die Container ohne Spezialkleidung geöffnet werden", sagt Xaver Baur, Chef des ZfA. Krebs, Asthma und schwere Nervenleiden sind prognostizierte Langzeitschäden, massive Kopf- und Gliederschmerzen plagen die Arbeiter oft schon kurz nach Öffnung eines kontaminierten Containers.
Verschärft wird die Bedrohung durch giftige Gase, bei denen es sich nicht um Schädlingsbekämpfungsmittel handelt, sondern um toxische Rückstände aus der Herstellung der Produkte. Dazu gehören krebserregendes Benzol und Formaldehyd. Speziell bei Gütern aus Asien (Textilien, Schuhe) schlugen die Messgeräte der Forscher aus. Einige der Gase, die zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden, durchdringen auch Verpackungen problemlos. Zwar verflüchtige sich vom Auspacken der Container bis zum Käufer viel, schätzt Baur, aber weitere Untersuchungen halten ZfA und TU für dringend notwendig. In Rotterdam seien etwa Matratzen aufgetaucht, die noch ein Jahr nach Einfuhr chemische Rückstande aufwiesen.
Die FDP-Fraktion sieht darin eine Herausforderung für Arbeits- und Verbrauchersicherheit und fordert die Regierung in einem Antrag ( 16/5612 ), den der Bundestag am 15. November mit den Stimmer der Koalitionsfraktionen und der Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt hat, dazu auf, schnell und entschieden weitere Untersuchungen anzustrengen, um Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß der Belastungen und mögliche gesundheitliche Risiken für Verbraucher in Deutschland zu erhalten. Außerdem müssten geeignete Maßnahmen geprüft werden, um Risiken zu begrenzen oder gänzlich auszuschließen. Die Bundesregierung sollte sich nach dem Willen der FDP auf europäischer Ebene für konsequente Kontrollen und schärfere Sanktionen einsetzen, falls Container nicht gekennzeichnet sind. Nationale Regelungen seien nicht zielführend, "weil in der Folge Warenströme allenfalls umgelenkt werden", prognostizierte die Fraktion.
Auch die Hamburger Forscher hatten als Konsequenz aus ihrer Studie im März 2007 gefordert, dass die Politik in den internationalen Gremien aktiv werden muss. Es handele sich um ein globales Problem, das angesichts des boomenden Welthandels an Gefährlichkeit gewinnt: Rund 400 Millionen Standardcontainer wurden allein 2006 weltweit umgeschlagen, doppelt so viele wie noch 2000. Und mehr als 30 Prozent werden mittlerweile mit Gasen behandelt. Da nach Einschätzung der Experten bei 90 Prozent aller ankommenden Kisten die nötigen Warnschilder fehlen, sind die Arbeiter den Gefahren hilflos ausgeliefert.
Zwar empfehlen die Technischen Regelungen für Gefahrstoffe (TRGS 512) bei "potenziell begasten Transporteinheiten" (zu erkennen etwa an verklebten Lüftungsschlitzen) Kontrollmessungen, sechs Meter Sicherheitsabstand und 30 Minuten Lüften, bevor die Hafenarbeiter mit der Entladung beginnen. Aber die FDP prophezeit, dass sich die Umsetzung dieser Vorkehrungen in der Praxis "aufgrund zeitlicher Engpässe, der hohen Zahl potenziell begaster Container und insbesondere in kleinen Unternehmen durch das Fehlen geeigneter Messgeräte oder entsprechend ausgebildeten Personals als schwierig erweisen wird". Deshalb müssten die bestehenden Kennzeichungspflichten durchgesetzt werden. Außerdem müsse der Zoll mit mobilen Messgeräten ausgestattet werden.
Andererseits gelte es aber auch, Mittel und Wege zu finden, um Container, die keine toxischen Rückstände beinhalten, aber aufgrund typischer Merkmale derzeit als "potenziell begast" eingestuft werden, von den "aufwendigen und zeitraubenden Vorsichtsmaßnahmen zu befreien", so die Liberalen. Auch Xaver Baur kennt Wege, wie die notwendige Schädlingsbekämpfung gesundheitsschonender durchgeführt werden kann: Erfolgversprechend sei etwa der Einsatz hitzebehandelter Holzpaletten oder die Sauerstoffreduktion in den Containern. "Weil diese Verfahren aufwendiger sind, wurden sie weltweit bisher fast nicht beachtet."