liberia
Das Land ist seit März die meisten Schulden los - nur die Privatgläubiger stehen noch Schlange
Das erste Qualifikationsspiel der liberianischen Nationalelf für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 endete in einer Katastrophe. Mehr als 50.000 Zuschauer hatten sich in das Samuel-Doe-Stadion in der Hauptstadt Monrovia gedrängt, das nur für 35.000 Besucher gebaut ist. Mit gefälschten Tickets und Schmiergeldern hatten sie sich den Weg durch die Kontrollen geebnet, um das Spiel gegen Gambia live zu erleben. Am Ende gab es Dutzende Verletzte, neun Menschen erstickten oder wurden zerquetscht.
"Ich habe gesehen, wie sich die Polizei bestechen ließ", berichtet James Nyenpan, der das Fußballspiel mit seinen Kindern besucht hatte, "das Stadion war schon voll, als die Polizei begann, Eintrittskarten weiterzuverkaufen. Das ist typisch Liberia."
Das westafrikanische Land gehört zu den ärmsten der Welt. Zwischen 1980 und 2003 wurde es von Diktatoren geführt, die Selbstbereicherung zum Prinzip erhoben und das Land 1989 in einen brutalen Bürgerkrieg stürzten. Samuel Doe und später Charles Taylor plünderten die Staatskasse, verschacherten die Einkommensquellen - darunter Diamanten, Edelhölzer und Gummiplantagen - und ließen schließlich selbst Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude zerlegen. Der Bürgerkrieg endete im Ausverkauf des Landes, mehr als 200.000 Menschen wurden verstümmelt und ermordet, eine Million vertrieben und ein Schuldenberg von etwa 3 Milliarden Euro angehäuft.
"Die Geldgeber, darunter der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Großmächte wollten sich damals ihren Einfluss und den Zugriff auf die Rohstoffe sichern", so Joachim Kaiser vom Aktionsbündnis Erlassjahr. "Das Geld ging an die wechselnden Regierungen des Landes, meist ins Finanzministerium. Dabei wurde die Tragfähigkeit und Legitimität dieses Schuldenbergs völlig außer Acht gelassen."
"Im Falle Liberias ist nicht offengelegt, wofür die Kredite ursprünglich gestattet wurden. Sicher war aber schon damals, dass es nicht an friedliebende Demokraten ging", so Kaiser. Das Konzept illegitimer Schulden hat sich zwar noch nicht weltweit durchgesetzt, im Falle Liberias gibt es an der Untragbarkeit und Verabscheuungswürdigkeit solcher Kredite allerdings keine Zweifel.
"Die Schulden, die uns Diktatoren und Warlords hinterließen, haben unseren Neuanfang schwer belastet", so die neue Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, die vor zwei Jahren ins höchste Amt des Staates gewählt worden war, "aber die Liberianer haben wieder Vertrauen gefasst und Mut geschöpft. Unsere Zeit ist gekommen."
Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln muss Johnson-Sirleaf nun Straßen wieder instandsetzen, Schulen bauen und die Sicherheitslage stabilisieren. Zehntausende Kindersoldaten müssen entwaffnet, die Opfer geheilt, die Bedürftigen versorgt und die Polizisten bezahlt werden. Für den Neuanfang ihres Landes braucht die Präsidentin also viel Geld. Kredite, die es zwar schon einmal gab und für die mit den reichen Rohstoffen des Landes und seiner Bevölkerung gebürgt worden war, deren Gelder in der Vergangenheit allerdings in den Taschen der Politiker verschwanden und den Bürgerkrieg mitfinanzierten. "Mama Africa", wie die Liberianer ihre Präsidentin nennen, lässt sich davon allerdings nicht abschrecken. Um die internationale Gemeinschaft von der Entschuldung aber auch dem demokratischen Neuanfang ihrer Heimat zu überzeugen, reiste sie in den vergangenen Jahren um die Welt und empfing internationale Gäste in Monrovia. Im Herbst war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Stippvisite und schaute sich unter anderem neu gebaute Schulen und Polizeistationen an. Sichtlich angetan versprach die Bundeskanzlerin dabei: "Wir haben ein sehr großes Interesse daran, dass Liberia seinen wirtschaftlichen Weg gehen kann. Deshalb werden wir alles daran setzen, die Schulden zu erlassen."
Noch bis vor Kurzem war Monrovia die einzige Hauptstadt weltweit ohne Stromnetz. Nur wo Generatoren knatterten, gab es Licht, konnten Radio und Fernsehen Nachrichten senden und Sportveranstaltungen übertragen. Doch im März gingen in Liberia in zweifacher Hinsicht die Lichter an. Die Präsidentin erreichte den Erlass aller Schulden bei internationalen Finanzinstitutionen und dem Club of Rome, der die bilateralen Kredite der Industrienationen verwaltet, und sie konnte das erste Elektrizitätswerk einweihen.
In der Ashmun Street im Herzen Monrovias tummeln sich nun auch nach Einbruch der Dunkelheit wieder Verkäufer, Passanten und Schüler. Unter den Straßenlaternen werden Haare geschnitten, Kuchen und Kekse angeboten und Hausaufgaben gemacht. Lasteten vor der Entschuldung noch durchschnittlich 1.000 Euro pro Kopf auf den etwa drei Millionen Liberianern, die durchschnittlich mit knapp einem Euro pro Tag ihr Leben bestreiten müssen, so sind sie jetzt schuldenfrei. Der Erlös ihres Handels, ihrer Rohstoffe und ihrer Exporte muss nicht mehr für den Schuldenabbau aufkommen, sondern kann in die Zukunft des Landes investiert werden. Doch private Gläubiger warten schon darauf, dass sich das Land erholt, um ihre Kredite im Umfang von einer weiteren Milliarde Euro inklusive Zinsen wieder einzufordern. Die internationale Staatengemeinschaft sollte also an einem neuen rechtlichen Rahmen arbeiten, der nicht nur Regierungen an einen Erlass illegitimer Schulden bindet, sondern auch private Gläubiger. Dann kann das Land auch wieder mehr in die eigene Polizei investieren. Bestechung und Korruption lassen sich nur durch Bildung, einen angemessenen Lohn und Sicherheiten vermeiden. Dafür braucht Liberia auch den Erlass der privaten Schulden.