TELEKOM-AFFÄRE
Einzelfall oder nicht? Die Opposition fordert ein Ende der Vorratsdatenspeicherung
Der Fall Telekom ist ein Einzelfall. Oder etwa nicht? In keinem Fall hat er mit der gesetzlich geregelten Vorratsdatenspeicherung zu tun. Oder etwa doch? Auch knapp zwei Wochen nach Bekanntwerden der Spitzelvorwürfe treten immer mehr Fragen auf.
Eine der entscheidenden ist wohl die, ob es sich bei dem aktuellen Fall nur um die sprichwörtliche Spitze eines Eisberges handelt. Ob etwa große Unternehmen glauben, sich in einem datenschutztechnisch gesehen "rechtsfreien Raum" zu befinden, wie es der SPD-Innenpolitiker Michael Bürsch während der Bundestagsdebatte zur Telekom-Affäre am 4. Juni ausdrückte.
Der oberste Datenschützer des Landes, der Bundesbeauftragte Peter Schaar, glaubt nicht, dass es sich bei der Telekom um einen Einzelfall handelt. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte er: "Dass Datenschutzvorschriften nicht eingehalten werden, ist nicht nur bei der Telekom so, sondern auch bei anderen Unternehmen in der Privatwirtschaft, wie der Fall Lidl belegt, der ja noch nicht lange zurückliegt." Allerdings denke er, dass die Schwere der heutigen Vorwürfe gegen die Telekom "in Deutschland ohne Beispiel" sei.
Wie nun geht die Politik mit der Situation um? Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Telekom und andere Branchenvertreter am 2. Juni zu einem Treffen geladen. Dabei habe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt und einen Arbeitskreis eingesetzt, sagte Innenstaatssekretär Hans Bernhard Beus. Mit ersten Ergebnissen sei Anfang Juli zu rechnen. Schäuble verteidigte den von Kritikern wie dem Bund Deutscher Kriminalbeamter als "Kaffeekränzchen" bezeichneten Erfahrungsaustausch im Bundestag. Es sei gut, mit den betroffenen Verbänden und Unternehmen darüber zu reden, was zu tun sei, um die Wahrscheinlichkeit, das solche Verstöße vorkommen, zu verringern.
Der Bundesinnenminister zieht derzeit eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft schärferen gesetzlichen Regelungen vor. Auch der CDU-Rechtspolitiker Jürgen Gehb warnt vor "hektischer Betriebsamkeit". Die Vorgänge bei der Telekom seien ein Skandal. Das müsse in aller Klarheit gesagt werden. Allerdings seien nun nicht der Gesetzgeber, sondern die Strafvollzugsbehörden am Zuge. Es sei bereits alles gesetzlich geregelt. "Man kann nur noch hineinschreiben: Die Gesetze sind einzuhalten." Gehb verwies darauf, dass der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, eine Schwachstellenanalyse vornehmen wolle. "Wenn da etwas gefunden wird, müssen wir überlegen, wie wir die Lücken schließen."
Das reicht der Opposition nicht aus. Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz nannte die von Gehb verteilten Zuständigkeiten von Justiz und Politik "völlig falsch". "Es ist nämlich Sache der Politik, wenn in diesem Land mit persönlichen Daten wie mit Freibier umgegangen wird", so Piltz.
Ihr liberaler Kollege Jörg van Essen rief dazu auf, den Vorfall zum Anlass zu nehmen, darüber nachzudenken, wie der Staat mit dem Datenschutz umgehen solle. Der Eindruck, je mehr Daten wir sammeln, desto sicherer ist unser Leben, sei falsch. Van Essen verlangte ein Ende der Vorratsdatenspeicherung. "Das wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Datenschutz in unserem Land." Dem stimmten die anderen Oppositionsredner zu. Petra Pau (Die Linke) etwa kritisierte, die Koalition habe mit der Vorratsdatenspeicherung "das Gegenteil von Bürger- und Datenschutz" erreicht. Je mehr Daten erfasst würden, umso größer sei die Gefahr, dass dadurch alles aus dem Ruder laufe, sagte Pau.
Mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sei die Telekom quasi zur "Schatzhüterin der Verbindungsdaten der Bürger" gemacht worden, kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast: "Das Gesetz muss weg, denn es schafft eine Gelegenheit für Diebe."
Datenschützer Schaar sieht die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor kritisch: "Die Vorgänge bei der Telekom haben sich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung ereignet. Insofern kann ich zwar einen politischen Zusammenhang sehen, die Vorratsdatenspeicherung war aber nicht ursächlich für die Vorfälle bei der Telekom." Also war es doch die "kriminelle Energie" von Einzelnen? Ein Lösungsansatz für diesen Fall hatte Schaar schon im Innenausschuss präsentiert. Der Zugriff auf die Daten im Unternehmen müsse umfassender protokolliert werden. Dies sei derzeit nicht ausreichend gewährleistet.
Ebenfalls nicht ausreichend ist aus Sicht von SPD-Politiker Bürsch die Sanktionierung bei Verstößen gegen den Datenschutz. Vergleichsweise bescheidene 300.000 Euro würden fällig. In Griechenland sei man da wesentlich weiter, so Bürsch. In einem vergleichbaren Fall seien Strafen im zweistelligen Millionenbereich verhängt worden.
Doch was auch immer nun geschieht: Der Vertrauensverlust wiegt schwer. Dennoch, so vermutete Jörg Tauss (SPD), biete der Skandal auch eine Chance, den Datenschutz wieder zu einem gesellschaftlichen Thema werden zu lassen und um deutlich zu machen: "Unterlassener Datenschutz ist Täterschutz."