Bei solchen Skandalen sind fette Schlagzeilen garantiert: Gammelfleisch landet in Dönerbuden, beim Weltkonzern Siemens fliegen Schmiergeldzahlungen auf, Lidl spioniert Beschäftigte aus, die Telekom betreibt Datenmissbrauch und bespitzelt Führungskräfte.
Affären dieser Art haben nun Regierung und Bundestag in Marsch gesetzt: Verbessert werden soll der Informantenschutz für Arbeitnehmer, die Missstände und Gesetzesverstöße in ihren Betrieben bei zuständigen Stellen melden, etwa bei Staatsanwaltschaften, Datenschutzbehörden oder der Lebensmittelüberwachung. Das Arbeits-, das Verbraucherschutz- und das Justizministerium wollen ein solches Anzeigerecht im Bürgerlichen Gesetzbuch verankern.
Der Streit um diesen Vorschlag verspricht für die nächste Zeit einen munteren Tanz, wie sich jetzt bei einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 4. Juni offenbarte. Vor allem Arbeitgeber und Gewerkschaften stehen sich konträr gegenüber: Erstere wehren sich vehement gegen ein gesetzliches Anzeigerecht, Letztere unterstützen das Projekt der Regierung umso nachdrücklicher.
Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, führte den Abgeordneten vor Augen, dass die behördliche Überwachung personell hoffnungslos unterbesetzt sei: Regional unterschiedlich sei ein Kontrolleur für 1.000 bis 2.500 Betriebe dieser Branche zuständig. Angesichts dieser Lage sei man im Falle krimineller Machenschaften auf die Mithilfe von Arbeitnehmern in Unternehmen angewiesen, weshalb ein Informantenschutz dringend geboten sei.
In Müller hatte Micha Heilmann, der die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und den DGB vertrat, einen wackeren Mitstreiter. Heilmann sagte, dass Beschäftigte, die Missstände melden wollen, derzeit Angst vor Benachteiligungen haben müssten. Der Gewerkschafter hofft, dass ein Anzeigerecht auch einen Beitrag zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit leisten wird. Heilmann verteidigte die geplante Regelung, dass sich Arbeitnehmer nach außen wenden können, wenn sie der Auffassung sind, auf innerbetrieblichen Wegen ließen sich Gesetzesverstöße nicht abstellen.
Gerade dieser Punkt war Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Michael Andritzky von der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss ein Dorn im Auge. Dieser Passus beschwöre die Gefahr des Denunziantentums herauf, kritisierte Wolf, die Gesetzesnovelle sei ein "schwerer Schlag gegen die Loyalität" in Unternehmen. Konkret kritisierte er, dass Beschäftigte schon dann Anzeige erstatten sollen, wenn sie den subjektiven Eindruck haben, ein Problem sei innerbetrieblich nicht zu lössen. Jede Anzeige berge das Risiko in sich, so Andritzky, dass ein Betrieb unberechtigt an den Pranger gestellt werde und eine massive Rufschädigung erleide. Wolf wies darauf hin, dass die Gerichte ein Anzeigerecht für Arbeitnehmer bereits geregelt und dabei die Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern abgewogen hätten. Schon jetzt könnten sich Arbeitnehmer bei großen Bedrohungen der Allgemeinheit direkt an Behörden wenden.
Der Deutsche Anwaltverein fürchtet, ein umfassendes Anzeigerecht sei geeignet, den Betriebsfrieden massiv zu untergraben. Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth meinte hingegen, die Gesetzesnovelle könne das zivilgesellschaftliche Engagement stärken. Klaus Rinck vom Bundesarbeitsgericht wiederum riet zu Präzisierungen. Die Kündigung eines Arbeitnehmers müsse dann möglich sein, wenn er eine Anzeige erstatte, weil er sich am Chef rächen oder diesen schädigen wolle. Auch sollten als Meldestellen nur Behörden und Staatsanwaltschaften in Frage kommen, nicht aber Medien oder Verbände. Stehe dahinter das Motiv, sich am Arbeitgeber zu rächen oder diesen zu schädigen, so müsse auch eine Kündigung möglich sein.