Die Architekten des Parlamentes
Nur zufällig soll der Architekt Paul Baumgarten in seinen Entwurf für das Reichstagsgebäude einen Platz für einen Plenarsaal eingezeichnet haben. Der Architekten-Wettbewerb für die Wiederherstellung, den der Bundestag Mitte der 50er Jahre auslobte, sah einen Plenarsaal auch gar nicht vor.
Das Parlament in Bonn beschloss damals, den Reichstag für "parlamentarische Zwecke" wieder herzustellen. Welche Funktion das ehemalige Parlamentsgebäude im geteilten Deutschland aber haben sollte, blieb offen.
Als der Architekt 1961 mit den Bauarbeiten begann, war nicht
mehr viel übrig vom alten Reichstag. Gerade die Grundmauern
und die Inschrift "Dem Deutschen Volke" hatten den Krieg
überlebt. Baumgarten tilgte den Rest preußischer Pracht
und gestaltete den Bau in der nüchternen Formensprache der
60er Jahre.
Baumgarten fand das imposante Gebäude, das bis Ende Februar
1933 als Parlament genutzt wurde, als Kriegsruine vor. Die Kuppel
zerschossen, das Gemäuer rußgeschwärzt. Auf den
Freiflächen drum herum hatten die hungernden Menschen
Rüben und Kartoffeln angepflanzt. Zu Beginn der fünfziger
Jahre wurde die Ruine enttrümmert, die Reste der Kuppel wurden
aus Sicherheitsgründen 1954 abgetragen. Gleich hinter dem
Ostportal verlief die deutsch-deutsche Grenze. Der Reichstag wurde
so mehr und mehr zum Symbol für das geteilte
Deutschland.
Paul Gotthilf Reinhold Baumgarten wurde 1900 in Tilsit geboren.
Von 1919 bis 1924 studierte er in Danzig und Berlin Architektur und
trat anschließend in das Büro von Mebes & Emmerich
ein. 1929 eröffnete er sein eigenes Architekturbüro. Von
1937 bis 1945 leitete er das Hochbaubüro der Holzmann AG. Ab
1943 lehrte er an der Hochschule der Künste Berlin, von
der er 1952 zum Professor berufen wurde. In den Jahren 1950
bis 1970 baute er markante Gebäude in West-Berlin. Neben der
Umgestaltung des Reichstages und des Schillertheaters entstanden
nach seinen Entwürfen unter anderem das so genannte
Eternithaus in Berlin-Tiergarten und der Konzertsaal der Hochschule
der Künste. Baumgarten starb 1984 in Berlin.
Der Umbau des Reichstages nach dem Krieg zog sich lange hin,
länger als der Neubau von 1884 bis 1894. Im Jahr 1961
begonnen, wurde das Gebäude 1973 durch einen formalen
Verwaltungsakt dem Deutschen Bundestag übergeben. Baumgartens
Umbau erscheint heute sehr rigoros. Er verzichtete auf den
Wiederaufbau der Kuppel und kürzte die vier Ecktürme um
ein Geschoss. Die Fassade wurde von allem Stuck befreit. Im Inneren
ließ Baumgarten die noch vorhandenen Originalwände mit
einfachen Platten verkleiden, Decken wurden tiefer gehängt und
neue Zwischengeschosse eingezogen. Gerade Linien und glatte
Flächen dominierten, die Räume sollten hell und offen
wirken. Er vergrößerte den Plenarsaal und öffnete
ihn für das Tageslicht. Wie später beim Umbau durch den
britischen Architekten Foster steht die Verglasung für
Transparenz. Mit seiner zeitgenössischen Bauweise, die
international auf Anerkennungstieß, setzt sich Baumgarten
bewusst von der Vergangenheit ab. Sein Reichstagsgebäude
sollte für die neue parlamentarische Demokratie
stehen.
Bundestagssitzungen in Berlin waren in der Viermächte-Stadt Berlin nicht erlaubt, nur Fraktions- und Ausschusssitzungen durften stattfinden. Am 21. März 1971 wurde im Reichstag die Ausstellung des Bundestages "Fragen an die Deutsche Geschichte" eröffnet und damit kamen viele tausend Besucher in das Gebäude. Der Plenarsaal, der den Abgeordneten beider deutscher Staaten oder eines wieder vereinigten Deutschlands hätte Platz bieten können, blieb zur Mahnung an die ungelöste deutsche Frage meistens leer. Seine historische Stunde kam tatsächlich am 4. Oktober 1990, als das erste gesamtdeutsche Parlament zu seiner ersten Sitzung im Reichstagsgebäude zusammentrat.