Chancen und Risiken der Gentechnologie (1984 bis 1987)
Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament, über den Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.
Für ihre Befürworter war die
Gentechnik schon früh eine Schlüsseltechnologie. Sie galt
zugleich als Wirtschaftsfaktor mit großem
Arbeitsplatzpotenzial und als Schlüssel zur Lösung
drängender Probleme in Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt
und Medizin. Ihre Kritiker jedoch sehen bis heute in dem Eingriff
in das Erbgut von Lebewesen ein großes Risiko. Die Folgen
für Mensch und Umwelt seien überhaupt nicht
abzuschätzen, so die Gentechnologie-Gegner.
Seit es Anfang der siebziger Jahre Forschern in den USA gelungen war, das erste genetisch veränderte Bakterium zu erzeugen, hatte die Diskussion um Chancen und Risiken der Gentechnik stets ihre Weiterentwicklung begleitet. Auch in Deutschland löste die Technologie nicht nur Hoffnungen und Ängste aus, sie warf auch die ganz grundsätzliche, ethische Frage auf, inwieweit der Mensch eigentlich Schöpfer spielen dürfe.
Als Reaktion beschloss der Bundestag auf
Antrag der SPD mit großer Mehrheit (aber bei Enthaltung der
Grünen) am 29. Juni 1984 die Einsetzung einer
Enquete-Kommission, deren Aufgabe es sein sollte, die Gentechnik in
"ihren Chancen und Risiken“ darzustellen. Doch so
fraktionsübergreifend der Wille zur Einrichtung dieses
Gremiums, so unterschiedlich waren auch die Erwartungen, die die
einzelnen Fraktionen an die Kommission hatten.
Die Grünen planten, die Kommission zu nutzen, um auf die Gefahren der Gentechnologie hinzuweisen. "Ich hoffe“, sagte Kommissionsmitglied Erika Hickel (Grüne), "dass der Druck der Öffentlichkeit ... dazu führen wird, dass die Sicherheitsbestimmungen (in den Forschungsinstituten) noch vor Abschluss unserer Arbeiten verschärft werden“.
Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP begrüßten die
Enquete dagegen mit dem Ziel, eine größere Akzeptanz der
Gentechnik bei der Bevölkerung zu erlangen: "Auf den
Erkenntnisfortschritt mit Technikfeindlichkeit zu reagieren ...
wäre falsch“, betonte Roland Kohn. "Aber ebenso falsch
wäre es auch, blindlings und unreflektiert die Dinge treiben
zu lassen“, so der FDP-Abgeordnete.
Unter dem Vorsitz des SPD-Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen nahm das 17-köpfige Gremium – neun Abgeordnete und acht Experten aus Wissenschaft (Genetik, Recht, Biochemie, Medizin, Theologie) und Industrie – am 14. August 1984 seine Arbeit auf.
Der Auftrag war mehr als komplex: Zielkonflikte zwischen
Forschungsfreiheit und anderen Grundrechten untersuchen, Grenzen
der gentechnologischen Anwendungen erarbeiten, Empfehlungen
für Sicherheitsstandards aufzeigen und mögliche
Maßnahmen zur Förderung der Gentechnik vorschlagen
Im Januar 1987 legte die Kommission nach 55 Kommissionssitzungen,
mehr als 20 Anhörungen und einer Delegationsreise nach Japan
ihren Bericht vor. In rund 180 Einzelempfehlungen nahm sie Stellung
zu den wichtigsten Anwendungsbereichen der Gentechnologie,
behandelte Sicherheitsfragen im Umgang mit der Freisetzung von
gentechnisch veränderten Organismen sowie Fragen der
militärischen Nutzbarkeit der Gentechnik. Ein klares Nein
erteilten die Kommissionsmitglieder vor allem aber Eingriffen in
das menschliche Genom.
Hatte sich die Kommission in ihren Empfehlungen noch um größtmöglichen Konsens bemüht, so zeigten sich bald jedoch sehr deutlich die Differenzen zwischen den Fraktionen – insbesondere zwischen Regierungskoalition und den Grünen. Die waren mit der Arbeit der Kommission insgesamt unzufrieden: So kritisierte Regula Schmidt-Bott in der Bundestagsdebatte am 4. Juni 1987, die Kommission habe die gesellschaftliche Debatte über die Gentechnik aus Angst vor "Polarisierungen“ zu verhindern versucht.
Darüber hinaus warf die Abgeordnete dem Gremium vor, sich
"einseitig und tendenziös“ mit den Chancen, nicht mit
den Risiken gentechnischer Forschungsprojekte beschäftigt zu
haben. In den Anhörungen seien "alternative Strategien fast
völlig ignoriert worden“, bemängelte sie. Die
Kommissionsmehrheit habe den "Schutz von Forschung und
Industriemanagern“ über den von Mensch und Umwelt
gestellt, so Schmidt-Bott.
Trotz solcher Kritik, die in ihrer Vehemenz aber eine Ausnahme blieb, stellte der Kommissionsbericht eine wichtige Vorarbeit für spätere Gesetze dar: Die Empfehlungen der Kommission waren die Grundlage für das am 3. Oktober 1990 in Kraft getretene Gentechnikgesetz.
Die Nutzung der Gentechnologie und die Verhütung von Gefahren
wurden damit erstmalig in Deutschland gesetzlich geregelt. Im
gleichen Jahr beschloss der Bundestag zudem das
Embryonenschutzgesetz, das die Forschung an befruchteten,
entwicklungsfähigen Eizellen regelt und beschränkt.
Die Debatte um die Gentechnik war damit aber nicht beendet: 1996
führte der Import von gentechnisch veränderten Sojabohnen
zu einer öffentlichen Kontroverse über den Anbau von
genmanipulierten Pflanzen. 2004 wurde daraufhin das Gesetz zur
Neuordnung des Gentechnikrechts beschlossen, das europäische
Richtlinien umsetzt und das Nebeneinander von herkömmlicher
Landwirtschaft und der Landwirtschaft, die gentechnisch
veränderte Pflanzen anbaut, regelt.