Elfter Teil: Kultur in Deutschland (2003-2007)
Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament, über den Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.
Wie steht es um die öffentliche und private
Kulturfinanzierung? Kommt der Staat seiner Verantwortung
ausreichend nach, Kultur als öffentliches Gut zu finanzieren?
Sind rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen eigentlich
noch zeitgemäß, in denen Kulturorganisationen arbeiten?
Und nicht zuletzt: Wie ist es um die wirtschaftliche Situation von
Kunst- und Kulturschaffenden in Deutschland bestellt?
Fragen wie diese waren es, die zu Beginn des neuen Jahrtausends die Kulturpolitiker im Bundestag beschäftigten. Immer deutlicher war zu diesem Zeitpunkt geworden, dass die wachsende Not öffentlicher Haushalte die Ausgaben für Kultur sinken ließ.
Theater, Orchester, Musikschulen oder Bibliotheken zwischen Kiel
und Konstanz waren immer öfter von Schließungen
betroffen. Zudem stellten Entwicklungen wie Internet und
Digitalisierung neue Anforderungen an den Gesetzgeber, so etwa im
Bereich des Urheberrechts, das für neue digitale
Verwertungsformen ergänzt und ausgebaut werden musste.
Zwar fallen Kulturpolitik und -förderung grundsätzlich in den Hoheitsbereich der Länder, doch da der Bund für viele Rechtsgebiete, die Kunst- und Kulturschaffende betreffen, Verantwortung trägt, vereinbarte die 2002 gerade wieder gewählte rot-grüne Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, eine Enquete-Kommission einzurichten, die die deutsche Kulturlandschaft einer gründlichen Bestandsaufnahme unterziehen sollte – nach fast dreißig Jahren zum ersten Mal.
Zuletzt hatte der Bundestag 1975 eine Untersuchung zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage der künstlerischen Berufe
veranlasst. Den Antrag auf Einsetzung der Enquete-Kommission
"Kultur in Deutschland" stellten 2003 schließlich alle
Fraktionen des Bundestages – SPD, CDU/CSU, Bündnis
90/Die Grünen und FDP – gemeinsam.
Das Gremium solle "Empfehlungen zum Schutz und zur Ausgestaltung
der Kulturlandschaft sowie zur weiteren Verbesserung der Situation
der Kulturschaffenden erarbeiten", so die Vorlage vom 1. Juli 2003,
"und, soweit Bedarf besteht, Vorschläge für
gesetzgeberisches oder administratives Handeln des Bundes
vorlegen".
Das war ein äußerst umfangreicher Auftrag, dem sich das 22-köpfige Gremium (elf Parlamentarier und elf Sachverständige) unter dem Vorsitz von Gitta Connemann (CDU/CSU) nach seiner Konstituierung am 13. Oktober 2003 zu widmen begann. Mit sieben Themen sollte sie sich in parlamentarischem Auftrag vordringlich befassen, so etwa mit den "Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in Staat und Zivilgesellschaft", der kulturellen Bildung sowie der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Künstlern.
Zwei Jahre später, im Herbst 2005, sollte die Kommission
bereits ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen dem Bundestag
übergeben. Doch bevor sie den Abschlussbericht vorlegen
konnte, führten Auflösung des Bundestages und Neuwahlen
im Herbst 2005 zu einem vorzeitigen Ende der Kommission.
Um die bisherigen Ergebnisse nicht zu gefährden, drangen die Mitglieder jedoch auf eine Fortsetzung ihrer Arbeit. Mit Erfolg: Am 13. Februar 2006 setzte der Bundestag die Enquete-Kommission erneut ein. Neben vier SPD- und vier Unionsabgeordneten, jeweils einem FDP- und Grünen-Abgeordneten gehörte nun auch ein Politiker der Linksfraktion zum Gremium.
Im Dezember 2007 dann - nach vier Jahren Arbeit, insgesamt 40
Sitzungen, sechs öffentlichen Anhörungen und 15
Expertengesprächen zu Themen wie "Urheberrecht",
"Kultursponsoring" oder "Kultur in Europa" - legte die Kommission
ihren Abschlussbericht vor. 1202 Seiten schwer, ein Konvolut
gespickt mit 459 Handlungsanweisungen an Politik und Gesetzgeber in
Bund und Ländern.
"Wir skizzieren die Grundzüge der nationalen Kulturpolitik im Wissen und in der Verantwortung um die Bedeutung von Kultur für unsere Gesellschaft", betonte die Kommissionsvorsitzende Gitta Connemann bei der Beratung des Abschlussberichts am 13. Dezember 2007 im Bundestag, "denn Kultur gibt mehr als Identität. Kultur ist das, was von einer Gesellschaft bleibt".
Die CDU-Politikerin kritisierte, dass "zu viele" Theater oder
Musikschulen in den vergangenen Jahren dem Sparzwang zum Opfer
gefallen seien, da Ausgaben für Kultur in vielen Ländern
zu den "freiwilligen Leistungen" gehörten. "Zu einer
funktionsfähigen Infrastruktur gehören aber zwingend
Kultur- und Bildungseinrichtungen", so Connemann.
In dieser Hinsicht seien Kulturausgaben nicht als Subventionen, sondern als Investitionen zu verstehen. Auch aus diesem Grund sprach sich die Kommission in ihrem Abschlussbericht dezidiert für die Festschreibung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz aus.
"Wir brauchen ein verfassungsrechtlich eindeutiges Signal, das
sagt, dass nicht nur wie bisher die natürlichen
Lebensgrundlagen als Staatsziel geschützt sind, sondern auch
die andere Seite der Medaille, die geistigen Grundlagen",
erklärte Hans-Joachim Otto (FDP) und forderte eine
Entscheidung darüber noch in der laufenden
Legislaturperiode.
Siegmund Ehrmann (SPD) plädierte zudem dafür, das 2002 zuletzt novellierte Urheberrecht erneut zu überarbeiten: Die Beschäftigung mit der sozialen und wirtschaftlichen Situation von Künstlern habe der Kommission deutlich gemacht, dass der "Anspruch, Urhebern eine angemessene Vergütung zukommen zu lassen, in weiten Teilen nicht Wirklichkeit ist".
Auf eine Stärkung des Urheberrechts drang auch Dr. Lukrezia
Jochimsen (Die Linke): Die Einkommenssituation vieler Künstler
und Kulturschaffender in Deutschland bezeichnete sie als "elend".
Viele verdienten nur unregelmäßig, im Durchschnitt rund
11.000 Euro pro Jahr. Die Mehrheit könne auch daher auch keine
Alterversicherung aus eigenen Einnahmen finanzieren, so die
Linkspolitikerin.
Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) appellierte gerade vor dem Hintergrund des erstarkten Rechtsextremismus daran, "Kultur und Bildung zusammen zu denken" und stärker zu fördern.
"Kultur befähigt uns, Demokratie zu leben, Urteile zu
fällen und abzuwägen", sagte die Abgeordnete. Kultur sei
wie ein "Trainingszentrum für unsere Sozialisation". Stehe es
leer, dürfe man sich nicht wundern, "wenn andere es
besetzen".
Ein breites Handlungsfeld für Politik und Zivilgesellschaft, denen die Enquete-Kommission mit ihrem Abschlussbericht zumindest aber einen nützliches Werkzeug an die Hand geben konnte: Die Vorsitzende Connemann formulierte es so: "Dieser Bericht kann ein Kompass sein, der richtungsweisend ist – wenn denn die Empfehlungen auch umgesetzt werden."
Tatsächlich ist die Debatte über zentrale Vorschläge
der Kommission, etwa Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu
verankern, längst nicht beendet, auch wenn der Bundestag am
19. Juni 2009 eine entsprechende Initiative der FDP-Fraktion
abgelehnt hat.