Berlin: (hib/HAU) Förderkonzepte für den Spitzensport müssen mehr als nur die finanzielle Unterstützung im Blick haben. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Sportausschusses am Mittwochnachmittag geladenen Experten einig. Als weitere wichtige Säulen wurden die Organisationsstruktur des Spitzensports, die Talentförderung und Trainerausbildung sowie die sportwissenschaftliche Forschung genannt.
Professorin Veerle de Bosscher, Leiterin des internationalen Forscherteams Spliss an der Universität Brüssel, verwies auf eigene Studien, bei denen Spitzensportsysteme von sechs Nationen verglichen wurden. Danach sei beispielsweise nicht die in den Spitzensport investierte Summe entscheidend für den Erfolg. Mit Kanada und Großbritannien hätten die beiden Nationen, die die nächsten Olympischen Spiele ausrichten, die größten Leistungssprünge zu verzeichnen, obwohl sie im untersuchten Zeitraum bei den Investitionen nicht an der Spitze gelegen hätten. Interessant sei auch der Fall von Norwegen, sagte de Bosscher. Das Land liege in allen untersuchten Kategorien über dem Durchschnitt, obwohl es unterdurchschnittlich viel Geld ausgebe. Das, so die Professorin, könne auch für Deutschland ein Beispiel sein, wie man "preiswert zu Erfolgen kommen kann".
Aus Sicht von Rainer Hipp, Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg, leidet die deutsche Spitzensportförderung unter einer fehlenden "zentralen Steuerung". "Jeder Landesverband macht im Grunde was er will", kritisierte Hipp. Daran änderten auch die abgeschlossenen Zielvereinbarungen nichts. Selbst bei Olympiastützpunkten sorge das föderale System für "Konkurrenz statt Zusammenarbeit". Probleme gebe es auch bei der Abstimmung zwischen Hochschulen und Sportverbänden. Hipp erwähnte den Fall zweier Hockeynationalspielerinnen, die von einem Turnier in Australien zurück nach Heidelberg reisen mussten, um dort eine von ihrem Professor anberaumte Prüfung abzulegen. Danach flogen sie wieder zurück nach Australien. Dies sei geschehen, obwohl es eine Vereinbarung zwischen Verband und Universität gegeben habe.
Marcel Fahrner vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Tübingen kann bei den Universitäten derzeit "keinen Bewusstseinswandel hin zur Unterstützung des Leistungssports" erkennen. Viel zu oft sei der studierende Athlet vom Wohlwollen des Professors abhängig. Zwar sei das System der USA, wo jeder, der nur lange genug das Uni-Team erfolgreich vertreten hat, seinen Abschluss bekomme, nicht erstrebenswert, doch mache Frankreich vor, wie es gehen könne. Dort gebe es eine "systematische Unterstützung für Athleten", die auch das Verschieben von Prüfungen möglich mache. "Das beste Förderprogramm ist die Ausrichtung der Olympischen Spiele", sagte Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. Die Erfolge von China und Großbritannien machten dies deutlich. Auch aus Sicht Vespers ist die Frage der Steuerung wichtig. Im Gegensatz zu Rainer Hipp bewertete er jedoch das Instrument der Zielvereinbarung positiv. Wichtig sei es außerdem, den Stellenwert des Trainers herauszuheben und den Trainerberuf aufzuwerten. Im Interesse dualer Karrieren forderte Vesper eine stärkere Unterstützung der Sportler durch Hochschulen wie auch durch die Wirtschaft.
Professor Arndt Pfützner, Leiter des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig, verwies auf die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Sportwissenschaft, Trainer und Athleten. Gewonnene Erkenntnisse müssten gemeinsam ausgewertet und umgesetzt werden. Das sei wie eine "Räderwerk" zu betrachten. Fehle ein Rad, funktioniere das ganze System nicht, so Pfützner.
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