Berlin: (hib/KTK) Bei der Anhörung des Rechtsausschusses zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ( 16/11644) am Mittwochmittag hat sich die Mehrzahl der Experten dafür ausgesprochen, Beschuldigten in der Untersuchungshaft frühzeitig einen Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen, wenn diese sich keinen Wahlverteidiger leisten können. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine solche Änderung bislang nicht vorgesehen, sie wurde in der Plenardebatte jedoch von Abgeordneten von Union und SPD sowie der Grünen befürwortet. Bislang wird einem Untersuchungshäftling erst nach drei Monaten ein Pflichtverteidiger beigeordnet, wenn der Staatsanwalt dies nicht schon früher beantragt.
Stefan König vom Deutschen Anwaltsverein schlug vor, dass ein Rechtsbeistand den Beschuldigten "ab dem Zeitpunkt der ersten Vernehmung" unterstützen solle. Der Bundesgerichtshof habe bereits 2001 betont, "dass die Staatsanwaltschaft, wenn sie einen Haftbefehl wegen eines Verbrechens beantragt, auch die Stellung eines Beiordnungsantrages zu erwägen habe". Hans-Ullrich Paeffgen, Bonner Professor für Strafrecht, erinnerte an "die einstmalige Bereitschaft des Bundesjustizministeriums", dem Beschuldigten im Falle eines Haftbefehl-Erlasses einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Der damalige Vorschlag, dass "auf Antrag des Beschuldigten, seines gesetzlichen Vertreters oder der Staatsanwaltschaft ein Verteidiger bereits ab Beginn der U-Haft zu bestellen sein sollte", habe "durch Zeitablauf nichts an Sachrichtigkeit verloren".
Ähnlich argumentierte auch der Münchner Strafrechtsprofessor Heinz Schöch: Er verwies darauf, dass sich etwa 40 Prozent der Beschuldigten "gleich zu Beginn der Untersuchungshaft einen Wahlverteidiger leisten können" und nur wenige zu diesem frühen Zeitpunkt einen Pflichtverteidiger erhalten. Alle anderen Inhaftierten müssten drei Monate warten, bis ihnen ein Verteidiger bestellt würde. Diese Regelung sei "mit dem Leitprinzip der strafprozessualen Waffengleichheit nur schwer zu vereinbaren" und verstoße "gegen den Grundsatz der Chancengleichheit zwischen wohlhabenden und sozial schwächer gestellten Untersuchungsgefangenen". Mehrere Studien hätten ergeben, dass die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand die Untersuchungshaft verkürzt und das Strafverfahren beschleunigt werden könne, was auch der Entlastung des Justizetats zugute komme. Der Kölner Fachanwalt für Strafrecht, Michael Tsambikakis, sagte, die "Pflichtverteidigerbestellung von Beginn an" sei "der wichtigste Baustein", um die Rechte des Untersuchungsgefangenen zu stärken.
Gegen diesen Vorschlag sprach sich Ernst Tschanett, Vizepräsident des Oberlandesgerichts Bamberg, aus. Eine solche Regelung würde "zu einer Vervielfachung der Anzahl der Pflichtverteidigerbestellungen führen, was mit zusätzlichen Kosten für die Staatskasse" verbunden wäre. In vielen Fällen könne ein Verfahren "ohne Pflichtverteidigerbestellung wesentlich effektiver und schneller abgewickelt werden, ohne dass dem Beschuldigten Nachteile entstehen", Das sei beispielsweise "in vielen Fällen der Klein- und mittleren Kriminalität" der Fall. Auch Frank Buckow, Richter am Amtsgericht Berlin Tiergarten, argumentierte gegen die automatische Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Allerdings sprach er sich für einen "leichteren Zugang des Beschuldigten zum beigeordneten Verteidiger" aus, ähnlich dem Zugang des Nebenklägers zum Rechtsbeistand.
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