Berlin: (hib/CHE) Den Plan der Bundesregierung, in einem neuen Kinderschutzgesetz ( 16/12429) Haubesuche des Jugendamtes bei gefährdeten Familien gesetzlich vorzuschreiben, stößt bei Experten auf Kritik. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montagnachmittag überwog bei den Sachverständigen außerdem Skepsis gegenüber dem Plan einer verpflichtenden Informationsweitergabe durch Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, aber auch Lehrer, Erzieher oder Bademeister.
Henriette Katzenstein vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) sagte, das Gesetz schaffe bei den Informationspflichten eher Verwirrung als Klarheit. Schon die Reihenfolge von eigener fachlicher Einschätzung, Erörterung der Situation mit den Betroffenen, Hilfsangeboten und Informationsübermittlung erscheine vollkommen unklar. "Vor allem aber sind die erforderlichen Aufgabenstellungen und Ressourcen bei den einzelnen Berufsgruppen nicht vorhanden", begründete Katzenstein ihre ablehnende Haltung. Sie fügte hinzu, dass "die breite Gruppe von Personen, die hier adressiert wird, vielfach gar nicht dafür qualifiziert ist, Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung zu erkennen und fachlich einzuschätzen". Die Pflicht, Eltern über "Erkenntnisse" von Kindeswohlgefährdung zu informieren, würde in vielen Fällen "wertvolles Porzellan" zerschlagen, warnte Katzenstein. Jörg Fegert, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik in Ulm, wies darauf hin, dass grundsätzlich Vertrauensverhältnisse nicht konterkariert werden dürften: "Kindern und Jugendlichen muss es möglich bleiben, mit Vertrauenspersonen ihre Probleme zu besprechen ohne dass, quasi in einem Automatismus, Eltern informiert und Behörden einbezogen werden."
Zum Thema Hausbesuche merkte Christine Keil, Bezirksstadträtin des Bezirksamtes Berlin-Pankow an: "In bestimmten Gefährdungssituationen sind Hausbesuche unbedingt nötig." Jedoch sei eine bundesweite Regelverpflichtung zum Hausbesuch unverhältnismäßig überregulierend und mit der Methodik der Kinder- und Jugendhilfe unvereinbar. Dies werde der komplexen Vielfalt möglicher Gefährdungssituationen nicht gerecht, fügte Keil an. "Denn insbesondere bei sexuellem Missbrauch oder psychischer Misshandlung sind Hausbesuche zur Gefährdungseinschätzung nicht geeignet." Sinnvoll seien aus ihrer Sicht vielmehr untergesetzliche fachliche Standards und Leitlinien. Christian Lüders vom Deutschen Jugendinstitut betonte, es gebe kein "Schema F" für den Kinderschutz, denn es komme dabei sehr auf fachliche Details und den richtigen Zeitpunkt an. Insofern sei die zentrale Frage, was gesetzlich geregelt und was der fachlichen Praxis überlassen werden soll. Allerdings existierten in vielen Bereichen kaum belastbare Daten darüber, wo Änderungsbedarf bestehe. Hinsichtlich der Hausbesuche bemerkte Lüders: "Selbstverständlich kann ein Hausbesuch im Einzelfall wesentliche Erkenntnisse über den Schutz oder die Gefahr des Kindes bringen. Dabei gilt es allerdings, zunächst das Instrument des Hausbesuches auf seine Ergiebigkeit und seine kontraproduktiven Elemente andererseits sensibel zu reflektieren."
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