Berlin: (hib/JOH) Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Rahmen der seit 2001 unter Beteiligung der Nato-Bündnispartner geführten Einsätze ISAF und OEF ist nach Angaben der Bundesregierung unklar. Es sei nicht möglich, Zahlen zu nennen, erklärten Vertreter des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums am Mittwochabend im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, wenngleich die Bundesregierung natürlich ein "großes Interesse" an solchen Informationen hätte.
Der Vertreter des Auswärtigen Amtes nannte als eine Erklärung für die fehlenden Daten, es gebe "keine Statistik, die belastbar wäre." Es kursierten viele, sehr unterschiedliche Zahlen, die zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen und der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA), aber auch von den Taliban veröffentlicht würden. Jede Gruppierung oder Organisation verfolge mit ihnen unterschiedliche politische Ziele und nutze andere Erhebungsmethoden. "Diese Zahlen zu verwenden, wäre falsch", sagte der Regierungsvertreter. Er wies auch darauf hin, dass es in Afghanistan üblich sei, Tote noch am selben Tag zu begraben. Aufständische Kämpfer trügen außerdem keine Uniform und seien somit bei Gewalttaten gegen Zivilisten schwer als solche zu identifizieren. Der Vertreter des Verteidigungsministeriums betonte, dass die Bundeswehr ausschließlich im Norden und in der Hauptstadt Kabul im Einsatz sei. In diesem internationalen Umfeld erhalte die Bundeswehr Berichte über zivile Opfer nur aus dritter Hand. Auch das kürzlich geschaffene Koordinationszentrum, das "civil casualty tracking centre" inmitten des Einheitsführungszentrums der ISAF in Kabul, führe keine Statistik. Das Zentrum steuere und beobachte die Einsätze zentral und solle so auch dabei helfen, zivile Opfer zu vermeiden.
Die Mitglieder des Ausschusses zeigten Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Nennung von Zahlen. Trotzdem wünschten sie sich mehr Informationen. Die SPD-Fraktion nannte die beschriebenen Probleme "sehr einleuchtend", jedoch sei es schwer, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu verteidigen und die Argumente der Gegner zu entkräften, wenn man keine Zahlen nennen könne. Dies sei "ein echtes Dilemma". Die FDP betonte: "Wenn wir als Parlament Bundeswehreinsätze beschließen, aber keine Informationen darüber erhalten, sind wir auf einem Auge blind." Die Einrichtung des Koordinierungszentrums in Kabul mache auch nur einen Sinn, "wenn wir als Parlament über Zahlen rechzeitig informiert werden".
Für Verärgerung sorgte bei den Abgeordneten die Tatsache, dass die Linksfraktion, die die Unterrichtung zu diesem Thema beantragt hatte, selbst nicht in der Sitzung erschien. Die CDU/CSU-Fraktion kommentierte die Abwesenheit mit der Bemerkung: "Wissen schadet, wenn man Agitieren will. Und das will die Linksfraktion." Die Liberalen betonten, es handle sich hierbei für Die Linke offenbar nur um "Symbolpolitik, die keinen ernst gemeinten Hintergrund" habe.
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