Aus der wechselvollen Geschichte des Petitionsrechts
Das Petitionsrecht ist alt. Die Spuren seiner wechselvollen Geschichte weisen weit in die Antike zurück. Trotz vielerorts unbeachtet gelassener Bitten, trotz bisweilen verhängter Petitionsverbote überdauerte die zentrale Funktion des Petitionsrechts den Wandel der Zeiten und die verschiedenen politischen Systeme.
I. Petitionsrecht im Wandel der Zeiten
Bürgern der Römischen Kaiserzeit von Caesar bis Justitian war es gestattet, sich mit ihrem Begehren, damals supplicium genannt (lat. = demütiges Bitten), an den Kaiser zu wenden.
Auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (15. bis 18. Jahrhundert) konnten sich die Untertanen dem absolut herrschenden Kaiser, König oder Fürsten mit Suppliken, die meist im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten standen, auf schriftlichem Wege oder mitunter in einer Anhörung nähern. Dass der Herrscher den Armen und Schwachen Recht und Gnade zu gewähren habe, gehört zu den tradierten Leitbildern jener Zeit.
In Deutschland zeigten sich noch vor der französischen Revolution im Jahre 1789 im Umgang des ständischen Reichstags mit Suppliken erste Ansätze, das Recht, einzeln oder gemeinsam supplizieren zu dürfen, nicht bloß zu dulden. Vor einer möglichen Überweisung der Supplike an den absoluten Herrscher wurde während der Sitzungsperioden ein Ausschuss ins Leben gerufen, der für die Bearbeitung der Eingaben verantwortlich war. Monarchen und Fürsten hatten allerdings – wie für die Zeit des Absolutismus kennzeichnend – die Macht, selbst rechtskräftige Urteile der Gerichte aufzuheben.
Zum ersten Mal schuf das von Friedrich dem Großen auf den Weg gebrachte Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 in § 156 Abs. II Ziffer 20 die rechtliche Verpflichtung zu einer sorgfältigen Behandlung einer Petition, insbesondere bei einer gut begründeten Petition von allgemeinem Interesse: „Dagegen steht es einem Jeden frey, Einwendungen und Bedenklichkeiten gegen Gesetze und andere Anordnungen im Staate sowie überhaupt seine Bemerkungen und Vorschläge über Mängel und Verbesserungen sowohl dem Oberhaupt des Staates, als den Vorgesetzten der Departments anzuzeigen; und letztere sind der gleichen Anzeigen mit erforderlicher Aufmerksamkeit zu prüfen verpflichtet.“
Der Bundestag des Deutschen Bundes (1815 bis 1866) kümmerte sich nur bei individuellen Problemen um Petitionen. Als ab 1815 auch in Süddeutschland neue Verfassungen entstanden, wurde das Recht fixiert, die Stände anrufen zu können. Die Stände-Versammlungen konnten den Monarchen allerdings – ohne jede Entscheidungsbefugnis – auch nur ihrerseits wie Petenten um Unterstützung des jeweiligen Anliegens bitten. In den Jahren zwischen 1820 bis 1830 befassten sich die süddeutschen Stände regelmäßig mit Petitionen, während diese Praxis der preußischen Provinzialstände selten Bedeutung erlangte.
1848 legte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche den Grundstein für das heutige Petitionsrecht. § 159 der Paulskirchenverfassung sollte jedem Deutschen das Recht gewährleisten, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen „an die Volksvertretungen und an den Reichstag zu wenden“. Die Verfahrensvorschrift des § 48 der „Geschäftsordnung für die constituirende Nationalversammlung“ schenkte dem Petitionsrecht eine ungewöhnlich hohe Bedeutung: „Dem Petitions-Ausschusse ist ein bestimmter Tag in jeder Woche zur Vorlegung seiner Berichte einzuräumen. Erst nach völliger Erledigung dieser Berichte kann zur anderweitigen Tagesordnung übergegangen werden.“
Die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 verzichtete auf die Formulierung von Grundrechten. Dennoch ist in der parlamentarischen Praxis das Petitionsrecht anerkannt gewesen. Der Reichstag hatte in Artikel 23 das Recht erhalten, die an ihn gerichteten Eingaben sachlich zu prüfen und „dem Bundesrate resp. Reichskanzler“ zur abschließenden Erledigung zu überweisen. Von diesem Recht machte er ernsthaft und auch häufig Gebrauch.
1919 hob die Weimarer Reichsverfassung in Artikel 126 die individualrechtliche Seite des Petitionsrechts hervor, erwähnte aber zugleich die von mehreren Petenten eingebrachte Petitionen: „Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten und Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam ausgeübt werden.“
Während der nationalsozialistischen Diktatur (1933 bis 1945) wurde das Petitionsrecht seiner kritisch oppositionellen Potenz beraubt; demokratisch legitimierte, durchsichtige Prüfverfahren waren außer Kraft gesetzt. Das Petitionsrecht verlor für das Individuum seine schützende Funktion gegenüber staatlicher Willkür. Schlimmer noch: „Hartnäckigen Quenglern“ drohte „Schutzhaft“. Zur selben Zeit gab es die Zuständigkeit eines NSDAP-Reichsleiters für die persönlich an Hitler bzw. die Kanzlei des Führers gerichteten Eingaben aus dem Volke. Der "Sekretär des Führers", Martin Bormann, bearbeitete (1943 ff.) alle Eingaben aus dem Bereich der Partei und ihren Organisationen. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr konnte er beeinflussen, wer direkten Zugang zu Hitler bekam, um seine Anliegen vorzutragen.
In der DDR (1949-1990) gab es kein Verwaltungsrecht und keinen Verwaltungsrechtschutz in dem Sinne, dass den Bürgerinnen und Bürgern subjektive Rechte gegenüber der Verwaltung zustanden und ein Verwaltungsgerichtssystem zum Schutz dieser Rechte etabliert war. Zu Beginn der 60er Jahre wurde per Erlass des Staatsrates ein Eingabewesen eingeführt, das als Ersatz für Rechtsbehelfe gegen die Verwaltung anzusehen war. Eingaben sollten dazu dienen, das Vertrauen der Menschen in den Staat und die Justiz zu festigen. Vom Inhalt her gesehen waren sie nicht eingeschränkt; sie reichten von Beschwerden über die Wohnungssituation bis zu Ausreiseanträgen. Bei Eingaben mit politischem Gehalt bestand allerdings wenig Aussicht auf Erfolg. Oft fungierten Eingaben als Mittel, um sich gegenüber staatlichen Organen über Erscheinungen der Mangelwirtschaft der DDR zu beschweren. Eingaben dienten jedenfalls nicht der externen Kontrolle der Verwaltung sondern ihnen haftete der Ruf an, dass mit ihnen Gnade statt Recht gewährt werde.
II. Petitionsrecht in der Bundesrepublik (1949-2006)
Der Parlamentarische Rat machte 1949 das Petitionsrecht im Grundgesetz zu einem unantastbaren Grundrecht. Artikel 17 des Grundgesetzes lautet seitdem: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“
1975 wurde das Petitionsrecht erheblich aufgewertet. Der Petitionsausschuss, dessen Arbeit seit 1949 nur in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verankert war, erhielt jetzt einen festen Platz in Artikel 45 c des Grundgesetzes. Mit erweiterten Rechten zur Sachaufklärung rückte er in die Nähe eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses: „Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. Die Befugnisse des Ausschusses zur Überprüfung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz.“
Seit dem 1. September 2005 bietet der Petitionsausschuss den Bürgern die Handlungschance neben der schriftlichen Einsendung bzw. der Übermittlung per Telefax eine Petition mit Hilfe eines Web-Formulars über das Internet an den Ausschuss zu senden. Darüber hinaus kann jedermann, sich mit einem Anliegen von allgemeinem Interesse in Form einer „öffentlichen Petition“ an der Aufdeckung von Schwachstellen behördlicher Maßnahmen und Gesetzeslücken beteiligen. Jeder kann das Für und Wider zu einer solchen Petition in einem Diskussionsforum auf der Internetseite des Petitionsausschusses diskutieren, kann sich dem Initiator einer öffentlichen Petition anschließen und sogar mit einer virtuellen „Postkarte“ weitere Mitstreiter suchen. Schon Anfang Januar 2006 zeigt sich, dass beide Ergänzungen des Petitionswesens gut angenommen werden. Etwa 10% der Neueingaben gehen seitdem mit dem Web-Formular ein und in wachsender Anzahl werden „öffentliche Petitionen“ im Internet vorgestellt. Leichter als je zuvor lässt sich auf komfortable Weise die politische Willensbildung überregional vernetzt organisieren.
III. Petitionsrecht als Chance zum Dialog zwischen Bürger und Staat
Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland garantiert Artikel 17 Grundgesetz jeder Person – ob Kind, Ausländer, Inhaftierterr, Soldat, Entmündigter, ob Bürgerinitiative, Verband oder Gliederung einer Partei –, das Recht, sich mit Bitten zur Gesetzgebung und Beschwerden an die zur Entscheidung befugten Stellen und Behörden zu wenden: an kommunale Ratsvertretungen, an die Volksvertretungen der Bundesländer, an den Deutschen Bundestag, an das Europäische Parlament und an internationale Einrichtungen (z.B. Europarat, Europäische Menschenrechtskommission).
Das Grundgesetz gibt den Bürgerinnen und Bürgern neben Wahlrecht und Abstimmungen über Länderneugliederungen wenig direkt-demokratische Entscheidungschancen. In dieser Situation kommt das Petitionsrecht dem gestiegenen Bedürfnis nach Mitsprache in öffentlichen Dingen entgegen und regt zur Mitverantwortung, Gestaltung und Fortentwicklung des politischen Lebens und Rechtssystems an.
Bürgerinnen und Bürger können mit ihren Petitionen auf die Politik einwirken und tun dies seit Jahren in beachtlichem Umfang. Nahezu 20.000 Petitionen erreichen Jahr für Jahr den Bundestag; die Zahl der Petenten und Unterstützer von Petitionen übersteigt inzwischen die Millionengrenze.