Herr Präsident, wie bewerten Sie das deutsch-polnische Verhältnis ein Jahr nach dem Regierungswechsel in Warschau?
Ich habe schon davor, jedenfalls auf der Ebene der beiden Parlamentspräsidien, einen starken Trend zur Intensivierung der Zusammenarbeit beobachtet. Dieser Trend hat sich nach dem Regierungswechsel deutlich stabilisiert. Es gibt auf beiden Seiten die ausgeprägte Entschlossenheit, die bilateralen Beziehungen in ähnlicher Weise zu entwickeln, wie das zwischen Deutschland und Frankreich in der Vergangenheit auch gelungen ist.
Gibt es noch strittige Fragen?
Ganz sicher, aber es gibt keinen Katalog von gelösten und strittigen Fragen. Beim letzten Wechsel im Amt des Sejmmarschall hat mich aber die Haltung des neuen Kollegen Bronislaw Komorowski beeindruckt. Er hat mir - mit Blick auf das gemeinsame Präsidientreffen in Kreisau - erklärt, dass er es für zweckmäßig halten würde, den Schwerpunkt der Betrachtung nicht auf das Abarbeiten historischer Bilder und Wahrnehmungen zu legen, sondern mehr auf die gemeinsame Beschäftigung mit zukünftigen Herausforderungen.
Mit welchen Erwartungen fahren Sie nächste Woche nach Polen zu dieser gemeinsamen Präsidiensitzung der Parlamente?
Dass wir das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Welche konkreten Themen stehen auf der Agenda in Kreisau?
In einem Gespräch mit der deutsch-polnischen Schulbuchkommission und mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) wollen wir uns über den Stand der Bemühungen in der Aufarbeitung der Vergangenheit und in der Entwicklung von Begegnungen und der Zusammenarbeit gerade der jungen Generation austauschen. Und wir wollen Felder der Zusammenarbeit im europäischen Kontext identifizieren. Es gibt ein besonders ausgeprägtes und verständliches Interesse der Polen, sich mit der Frage einer "europäischen Ostpolitik" intensiver zu beschäftigen. Die Einladung, mit uns gemeinsam darüber nachzudenken, wie diese Politik aussehen könnte, nehmen wir gerne an.
Wo liegen die Schwerpunkte der Kooperation zwischen Bundestag und Sejm im Alltag?
Sie ergeben sich aus der laufenden Arbeit. Manches spricht dafür, dass sich das Thema "europäische Ostpolitik" zu einem Schwerpunkt entwickeln könnte, weil damit auch die prinzipielle Frage nach der weiteren Entwicklung der EU einhergeht. Gemeinsam mit Bronislaw Komorowski haben wir auch ins Auge gefasst, dass wir uns im Sinne der im Lissaboner Vertrag vorgesehenen gewichtigeren Rolle der nationalen Parlamente in europäischen Gesetzgebungsprozessen häufiger miteinander abstimmen wollen.
Die Fragen stellte
Bernadette Schweda