DEUTSCHE EINHEIT
Schrumpfende Einwohnerzahlen machen neuen Ländern zu schaffen
Die Entwicklung in den neuen Bundesländern gewinnt nach Einschätzung der Bundesregierung an Fahrt. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) stellte am 13. November in der Bundestagsdebatte über den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2008 ( 16/10454) fest: "Wir kommen sehr, sehr gut voran". Tiefensee ist zugleich Beauftragter der Regierung für die neuen Länder.
Der Minister versprach: "Niemand in diesem Hause rüttelt am Solidarpakt II. Das ist das große Versprechen der Solidarität. 156 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, dass wir den Angleichungsprozess beschleunigen." Ostdeutschland hechelt nach den Worten Tiefensees nicht mit hängender Zunge dem Westen hinterher und kopiere nicht einfach, sondern habe eigene Antworten auf wichtige Fragen.
Der Jahresbericht zeigt, dass die neuen Bundesländer auch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer mit erheblichen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-Problemen kämpfen müssen. Die gesamtwirtschaftliche Leistung lag im vergangenen Jahr erst bei 70 Prozent des West-Niveaus. Die Arbeitslosenquote (jeweils bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen) sank zwar nach Angaben des Berichts von 17,3 (2006) auf 15,1 Prozent. Damit war sie aber immer noch doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Bei Langzeitarbeits- losen lag die Quote laut Regierungsbericht sogar bei 40 Prozent. Die Erwerbstätigenquote betrug 66,4 Prozent und war damit leicht höher als 2006.
Außerdem werden schrumpfende Einwohnerzahlen zum Problem der neuen Länder. In dem Bericht heißt es, dass bis zum Jahr 2025 voraussichtlich 11,4 Prozent weniger Menschen im Osten der Bundesrepublik leben werden. Besonders in ländlichen Regionen bedroht der Bevölkerungsschwund die kommunale Infrastruktur.
2007 wuchs die ostdeutsche Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 2,2 Prozent. 2006 betrug das Plus 1,9 Prozent, 2005 lag es bei 0,4 Prozent. Besonders dynamisch entwickelte sich 2007 die Industrie. Mit Zuwachsraten von 9,9 Prozent legte sie deutlich stärker zu als in den alten Ländern (5,9 Prozent). Trotzdem bestünden in der ostdeutschen Wirtschaft nach wie vor strukturelle Defizite, so der Bericht.
Positiv vermerkt die Analyse eine Angleichung der Lebensverhältnisse auf vielen Gebieten, etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen. Tiefensee erklärte in seinem Resümee, Licht und Schatten lägen im Osten nach wie vor dicht beieinander. Der FDP-Abgeordnete Joachim Günther bezeichnete den über 100 Seiten starken Bericht als "Fleißaufgabe der Bundesregierung" und betonte, dass die Menschen nicht nur den Bericht lesen, sondern daraus ein Handeln abgeleitet bekommen wollten. Er beklagte, das "Phänomen, was wir seit Jahren haben: die doppelt so hohe Arbeitslosigkeit im Osten gegenüber Gesamtdeutschland. Diesem Phänomen sind wir leider keinen Schritt näher gekommen."
Volkmar Uwe Vogel von der CDU/CSU-Fraktion nutzte die Aussprache, um noch einmal mit dem untergegangenen SED-Regime und dessen Umgang mit seinen Kritikern abzurechnen. Der CDU-Politiker sagte wörtlich: "Es ist unbeschreiblich - aus heutiger Sicht - was den eigenen Landsleuten von der Stasi, vom Schild und Schwert der SED, auf Befehl dieser Parteiführung angetan wurde." Er forderte außerdem mehr Einsatz für strukturschwache ländliche Räume: Starke landwirtschaftliche Betriebe könnten dort für Arbeitsplätze sorgen.
Nach den Worten von Roland Claus ( Linksfraktion) sollte der Westen stärker vom Osten lernen. In vielen Bereichen kämen Lösungen aus den neuen Ländern. In den alten Ländern werde die deutsche Einheit aber oft nicht als Zugewinn gesehen. Er kritisierte mit Hinblick auf die Wirtschaft, dass es noch immer das Problem der Ost-West-Teilung gebe. Claus lobte den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit zwar zunächst als "bemerkenswert problembewusst", kritisierte dann einen Satz später: "Allerdings wenn man nach Schlussfolgerungen sucht, nach Veränderungen in der Politik der Bundesregierung stellen wir fest: Fehlanzeige."
Peter Hettlich (Bündnis 90/Die Grünen) ging lautstark auf die Diskussion um das geplante Einheitsdenkmal ein. Er kritisierte, dass darüber weder vom Minister noch von der Opposition gesprochen wurde, und vermutete, dass wohl auch bis zum 20. Jahrestag des Mauerfalls kein Denkmal stehen würde. "Vermutlich werden die Leipziger es wieder in die Hand nehmen müssen und sich selber ein Denkmal bauen müssen", sagte der ostdeutsche Abgeordnete.
Abgeordnete von CDU/CSU und SPD forderten die Bundesregierung in einem Antrag ( 16/7015) auf, die Prüfung weiterer Investitionshilfen für Ostdeutschland schnellstmöglich abzuschließen und weitere Hilfen voranzutreiben. Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die FDP-Fraktion enthielt sich. Die Liberalen verlangten von der Regierung, nach Prüfung der Effizienz einzelner Förderprogramme ein Gesamtkonzept der Innovationsförderung zu entwickeln ( 16/7014). Der Antrag wurde von Union, SPD und Die Linke gegen die FDP-Fraktion abgelehnt. Die Grünen entthielen sich.