BREITBANDVERKABELUNG
Wirtschaft und »Datensauger« auf dem Lande haben noch das Nachsehen. Kleine Kommunen suchen nach Wegen ins digitale Zeitalter
Aus meiner Region Stade-Cuxhaven wandern Mittelständler ab, weil sie keinen leistungsfähigen Internetanschluss haben", erzählt die Unionsabgeordnete Mar- tina Krogmann. Franz-Reinhard Habbel assistiert: "Architekturbüros ziehen aus ländlichen Gegenden Brandenburgs nach Potsdam, weil dort große Datenmengen rascher übertragen werden können." Der IT-Fachmann beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) klagt: "Eine fehlende Breitbandverbindung ärgert nicht nur Computerfreaks, sondern benachteiligt auch Schreinermeister, die Konstruktionspläne nicht übers Netz zu empfangen vermögen." Dicke Datenbündel durchs Internet beamen können: Dieser Aspekt sei auch für Logistikunternehmen bei der Standortwahl wichtig. In Attendorn im südlichen Sauerland droht ein Hersteller von Wagenleuchten einen Autokonzern als Auftraggeber zu verlieren, der auf der digitalen Übermittlung von bislang postalisch zugestellten Entwicklungsunterlagen besteht: In letzter Minute wird mit Hilfe der Gemeinde eine Breitbandlösung gefunden, 50 Arbeitsplätze werden gerettet.
Solche Beispiele illus- trieren ein "gravierendes Problem" (Krogmann): In vielen ländlichen Zonen sieht es mit einem preisgünstigen "schnellen Internet" düster aus, das in größeren Städten längst Standard ist. Ob DSL, Glasfaser, Kabel-TV, Funkfrequenzen oder eine andere Technik: Ohne Netzverknüpfung mit hohem Tempo haben Firmenchefs, bildungsbeflissene Studenten oder "Sauger" von Musik- und Filmdateien das Nachsehen. DStGB-Sprecher Habbel sagt: "Breitband ist die moderne Straße des 21. Jahrhunderts." CDU-Expertin Krogmann betont, "beim Thema Infrastruktur darf man nicht mehr nur an Bahnlinien, Asphaltpisten und Kanalisation denken". Martin Dörmann: "Fehlende Breitbandtechniken hemmen die ökonomische Entwicklung vor allem in ohnehin strukturschwachen Regionen." Der Fachmann der SPD-Fraktion warnt vor einer "sozialen Spaltung". FDP-Kollege Christoph Waitz sieht nicht zuletzt in den neuen Ländern Unternehmen mit Standorten auf dem Lande benachteiligt. "In Ballungsräumen geht die Post ab, und bei uns bleibt sie liegen", klagt Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetages.
Erst seit kurzem gilt die digitale Zweiteilung als Topthema. Dass sich der Bundestag bereits intensiv mit diesem Problem befasst und mit der Regierung ein von 2008 bis 2010 reichendes Förderkonzept in Höhe von 30 Millionen Euro auf den Weg gebracht hat, segelte weithin im Schatten der Schlagzeilen. Mittlerweile engagieren sich auch die Länder mit eigenen Programmen. Die EU ist derzeit dabei, ihrerseits im Rahmen eines Telekommunikationspakets auch das schnelle Internet voranzubringen.
Aber ist die Misere wirklich so schwerwiegend? Wirtschaftsminister Michael Glos meint: "Mehr als 98 Prozent der Haushalte können Breitbandanschlüsse nutzen", lediglich 700.000 Haushalte hätten diese Möglichkeit nicht. Waitz kontert: "Glos redet das Problem klein." Dem Breitbandatlas des Ministeriums, kritisiert der FDP-Parlamentarier, liege als Kriterium für leistungsfähige Internetverbindungen eine Übertragungsgeschwindigkeit von nur einigen hundert KiloBit pro Sekunde zugrunde. Wie Waitz meinen auch Krogmann und Dörmann, dass heute ein MegaBit als Mindestnorm gelten müsse, Habbel nennt sogar zwei MegaBit. Der DStGB schätzt, dass drei Millionen Haushalte mit fünf Millionen Bürgern in 800 Städten und Gemeinden mit 2.000 einzelnen Ortschaften kein adäquates Breitband zur Verfügung haben. Der Verband und das Wirtschaftsministerium wollen eine präzise Erhebung im Frühjahr publizieren. Nach Tests in Rheinland-Pfalz rechnet Habbel mit einer Verdoppelung der bisherigen Zahlen des DStGB.
Prinzipiell ist auch in entlegenen Gegenden das schnelle Internet drin. Doch alle Lösungen haben technische und vor allem finanzielle Tücken. Eigentlich kann sich jeder via Satellit ins Netz einklinken: Freilich treten Schwierigkeiten beim Versenden dicker Datenbündel auf. DSL hat auf dem Land den Nachteil, dass in einer Entfernung von vier Kilometer zu Endabnehmern Vermittlungsstationen nötig sind, deren Einrichtung teuer ist. Ideal ist Glasfaser, doch ist diese kostenintensive Technik im Breitbandsektor noch nicht massentauglich und eignet sich in erster Linie für Unternehmen mit großen Datenmengen. Schnelles Internet funktioniert auch über Stromleitungen: Allerdings kann der Radio- und Fernsehempfang gestört werden, überdies schwankt das Übertragungstempo. Eine gute Alternative bietet das Kabel-TV, doch dessen Anbieter sind erst dabei, dieses System aufzurüsten.
Keine sehr hohen Kosten verursacht in der Regel der breitbandtaugliche Ausbau von Funkfrequenzen. Auf diese Weise haben etwa im Hochsauerland zwölf Kommunen über Verträge mit Funknetzbetreibern schnelles Internet installiert. In gebirgigen Regionen tauchen jedoch Hindernisse auf. Große Hoffnungen ruhen auf der "digitalen Dividende": Im Zuge der Umstellung von analoger auf digitale Technik werden Funkfrequenzen frei, über deren Zuteilung an Rundfunk-, Mobilfunk- und Telekommunikationsfirmen derzeit gerungen wird. Der SPD-Abgeordnete Dörmann ist überzeugt, dass die Breitbandversorgung auf dem Land von der "digitalen Dividende" erheblich profitieren wird: "Nächstes Jahr werden auf diese Weise viele Stolpersteine beseitigt werden können." Mit Spannung wird ein Funk-Pilotprojekt erwartet, das im Dezember im Raum Wittstock in der Prignitz starten soll. Auch der Liberale Waitz plädiert dafür, die "digitale Dividende" stärker zu nutzen. CDU-Expertin Krogmann sieht ebenfalls große Chancen in Funkfrequenzen, warnt aber vor dem Trugschluss, "auf diese Weise alle Probleme lösen zu können".
Laut Habbel haben rund 250 Kommunen Kooperationsverträge mit Breitbandfirmen abgeschlossen. Dabei geht es nicht nur um die Suche nach der lokal optimalen Technik, sondern auch um die Kostenverteilung. Ohne Zuschüsse rechnet sich es für Anbieter meist nicht. Immerhin können Bürgermeister Fördermittel des Bundes und der Länder sowie EU-Töpfe anzapfen. Brüssel gab jetzt grünes Licht für staatliche Subventionen beim Ausbau des schnellen Internets. Aus diversen Quellen würden etwa in Niedersachsen, so Krogmann, Zuschüsse in Höhe von insgesamt immerhin 70 Millionen Euro bereit stehen.
DStGB-Geschäftsführer Gerd Landsberg kalkuliert die für eine flächendeckende Breitbandversorgung erforderlichen Investitionen auf 2,4 Milliarden Euro. Die Politik gehe "das Thema zögerlich und nur halb- herzig an". Das 30-Millionen-Paket der Regierung, das über das Agrarministerium läuft, kommentiert Landsberg so: Ein einziger Kilometer Autobahn koste zehn Millionen Euro. Krogmann will nicht ausschließen, dass der Bundestag vor der Wahl noch einmal über Initiativen zur Förderung der Breitbandversorgung diskutiert. Der Liberale Waitz ist dagegen, "neue Fördertöpfe aufzumachen". Zunächst einmal solle man den Breitbandanbietern das nötige Datenmaterial über den ländlichen Raum zugänglich machen.
Dörmann sieht das Wirtschaftsministerium gefordert, den Kommunen mit Informationen und technischer Hilfe beizustehen. Der SPD-Fachmann sagt: "Gefragt ist auch die Kreativität der Gemeinden, oft sind Lösungen möglich, die nicht sehr teuer sind."
Im bayerischen Kreis Schwandorf hat der DStGB eine republikweit angelegte Kampagne gestartet, um Lokalpolitikern mit praktischen Tipps unter die Arme zu greifen. Habbel hat eine Visionder digitalen Welt: "Künftig wird in immer mehr Wohnungsanzeigen neben Küche, Bad, Balkon und WC auch auf den Breitbandanschluss hingewiesen werden." In der Stadt und auf dem Land.